1. Startseite
  2. Meinung
  3. Gastbeiträge
  4. Gastkommentar: Forschung – wie Europa vom US-Braindrain profitieren kann

GastkommentarWie Europas Forschung vom US-Braindrain profitieren kann

Die EU muss als Forschungsstandort attraktiver werden. Sonst ziehen Talente künftig nur nach China, Kanada oder Südkorea, warnt Spitzenforscher Wil van der Aalst. 25.05.2025 - 13:50 Uhr Artikel anhören
Die größte Barriere für exzellente Wissenschaft und Innovation liegt nicht auf dem anderen Kontinent, schreibt Wil van der Aalst. Foto: Celonis [M]

Der internationale Wettbewerb um Talente und Technologien spitzt sich zu. Die politische Polarisierung in den USA, befördert vor allem durch die Trump-Regierung, wirkt dabei wie ein Brandbeschleuniger – durch die Kürzung von Fördergeldern, Angriffe auf die Wissenschaftsfreiheit und gezielte Einschränkungen von Diversitätsprogrammen.

Angesichts dieser Entwicklungen erwägen immer mehr Forschende den Wegzug aus den USA – im Rahmen einer Erhebung des Fachblatts „Nature“ zogen sogar 75 Prozent der befragten US-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler diesen Schritt für sich in Betracht.

Ziele sind der Befragung zufolge vor allem Kanada – wohin es auch prominente Forscher wie den Historiker Timothy Snyder oder den Philosophen und Faschismusforscher Jason Stanley verschlug – und Europa.

Um die Gunst der Stunde zu nutzen, hat die EU ein 500-Millionen-Euro-Paket auf den Weg gebracht, um internationale Spitzenkräfte gezielt nach Europa zu holen. Eine richtige und wichtige Initiative. Aber reicht das?

Nicht ganz. Denn die Wahrheit ist: Die größte Barriere für exzellente Wissenschaft und Innovation liegt nicht auf dem anderen Kontinent, sondern hier bei uns. Europa – und speziell Deutschland – hat in dieser Hinsicht kein Erkenntnis-, sondern ein manifestes Umsetzungsproblem.

16 Personen für eine Abrechnung von 1000 Euro

Zwar gehört Deutschland in der Grundlagenforschung weiterhin zur Weltspitze. Doch sobald es um die Überführung wissenschaftlicher Erkenntnisse in wirtschaftliche Wertschöpfung geht, zeigt sich ein altbekanntes Muster: Risikoaversion, Bürokratie und fragmentierte Zuständigkeiten bringen den Prozess ins Stocken.

Deutschlands Hochschulen sind unterfinanziert, Nachwuchsforschende hangeln sich über Jahre von Projekt zu Projekt, und selbst einfache Vorhaben scheitern an den bürokratischen Hürden einer teils absurd minutiösen Verwaltungsakribie.

Voller Hörsaal: Ein Problem sind systemische Fehlanreize – etwa, dass Lehre nach Umfang statt Wirkung bezahlt wird, schreibt Wil van der Aalst. Foto: dpa

Ein Beispiel aus der Praxis: An der Abrechnung einer Veranstaltung an der RWTH Aachen – mit Kaffee und Kuchen für etwas über 100 teils externe Teilnehmer – waren am Ende sage und schreibe 16 Personen beteiligt. Sie benötigten sechs Wochen für eine Abrechnung von weniger als 1000 Euro.

Ein absurdes Maß an Aufwand, das zeigt, wie dringend die öffentliche Hand ihre Prozesse hinterfragen und verbessern muss. Dabei ist paradoxerweise gerade die Prozessoptimierung mittels Process Mining – also der Prozessanalyse und -optimierung durch eine KI-gestützte Auswertung von Unternehmensdaten – eine Domäne, in der Deutschland international ganz vorn mitspielt. Hierzulande aus dem universitären Umfeld heraus gegründete Unternehmen wie Celonis bieten Lösungen an, welche die Effizienz von Unternehmensabläufen weltweit maximieren.

Die Technology Experience Convention (TECH) ist eine Initiative gegründet von der Handelsblatt Media Group in Zusammenarbeit mit Schwarz Digits. Vom 25. bis 27. Mai 2025 kommen in Heilbronn Expertinnen und Experten aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Technologie zusammen. Alle Inhalte lassen sich auch live im Stream verfolgen: Blue Stage: Zum Livestream | Purple Stage: Zum Livestream

Ein weiteres Problem sind systemische Fehlanreize: Die Bezahlung nach geleisteten Semesterwochenstunden honoriert Lehre nach Umfang statt nach Wirkung. Junge Talente werden häufig nur befristet und auf Basis von Minimalbudgets angestellt, die mit hohem bürokratischen Aufwand beantragt werden müssen.

Förderlogiken belohnen formale Erfüllung statt Experimentierfreude. Der Übergang von der Forschung in die Anwendung gelingt in vielen Fällen nicht schnell oder konsequent genug – obwohl die wissenschaftliche Exzellenz oftmals unbestritten ist.

Wir brauchen weniger Papier und mehr Fortschritt

Dabei zeigen Beispiele, dass es auch anders geht. Das Gründungszentrum UnternehmerTUM in München etwa beweist, wie aus dem Dreiklang von Universität, Start-up-Förderung und Industriepartnerschaften ein echtes Innovationsökosystem entstehen kann. Der Wille ist da, Talente und Bedarf sind es ebenfalls. Was hierzulande fehlt, sind eine kohärente Strategie und die Bereitschaft umzusetzen, was seit Jahren bekannt ist.

Denn es ist keine neue Erkenntnis, dass Förderprogramme planbar, mehrjährig und unbürokratisch angelegt sein müssen. Dass Hochschulen mehr Autonomie brauchen. Und dass ein funktionierendes Innovationssystem nicht allein darin besteht, immer neue Cluster auszuzeichnen, sondern auch darin, bestehende Strukturen arbeitsfähig zu machen.

Der „Trump-Braindrain“ kann Europa kurzfristig neue Talente bringen. Unser Anspruch muss jedoch sein, als Wissenschaftsstandort strukturell attraktiver zu werden – nicht nur im Vergleich zu den USA, sondern auch mit Blick auf Länder wie China, Kanada oder Südkorea.

USA

Trumps Braindrain – Wie Deutschland um Amerikas klügste Köpfe kämpft

Gerade in Schlüsseldisziplinen wie Biotechnologie, Energietechnik oder KI-Forschung entscheidet im Wettbewerb der nächsten Dekade nicht allein Exzellenz im Hörsaal, sondern auch die Fähigkeit, Wissen in Wirkung zu verwandeln.

Dafür braucht es keine Symbolpolitik, sondern ein koordiniertes Update des Forschungs- und Innovationssystems. Die 500 Millionen Euro aus Brüssel sind ein guter Anfang. Nachhaltige Wirkung entfalten sie jedoch nur, wenn die Voraussetzungen stimmen: verlässliche Förderung, kluge Regulierung, gelebte Offenheit und operative Exzellenz. Kurz: weniger Papier, mehr Fortschritt.

Verwandte Themen Europa USA Kanada Europäische Union Donald Trump Forschung

Nur dann wird aus dem Braindrain eine echte Braingain-Strategie – und aus der EU-Initiative „Choose Europe for Science“ gelebte Realität.

Der Autor: Wil van der Aalst ist Professor für Process and Data Science an der RWTH Aachen und Chief Scientist bei Celonis, einem Anbieter von Process Mining und Process Intelligence.

Mehr: Wo jetzt Europas Zukunft entsteht – das Spezial zur TECH

Mehr zum Thema
Unsere Partner
Anzeige
remind.me
Jetziges Strom-/Gaspreistief nutzen, bevor die Preise wieder steigen
Anzeige
Homeday
Immobilienbewertung von Homeday - kostenlos, unverbindlich & schnell
Anzeige
IT Boltwise
Fachmagazin in Deutschland mit Fokus auf Künstliche Intelligenz und Robotik
Anzeige
Presseportal
Direkt hier lesen!
Anzeige
STELLENMARKT
Mit unserem Karriere-Portal den Traumjob finden
Anzeige
Expertentesten.de
Produktvergleich - schnell zum besten Produkt