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GastkommentarGrenzschließungen sind weder verhältnismäßig noch nachvollziehbar

Bundesinnenminister Horst Seehofer muss die Grenzkontrollen wieder aufheben. Die Pandemie lässt sich auch anders bekämpfen.Stephan Thomae 12.05.2020 - 10:39 Uhr

Die Coronakrise hat auch zu Kontrollen und langen Warteschlangen an den innereuropäischen Grenzen geführt.

Foto: dpa

Manch einem mag es wie ein schlechter Traum vorkommen. Doch es ist traurige Realität, dass das Schengener Abkommen seit Wochen außer Kraft gesetzt ist. Familien und Paare bleiben getrennt, die Tourismusbranche und die Gastronomie liegen brach, Berufspendler sind gehindert, ihrer Arbeit nachzugehen, lange Staus und Wartezeiten an den Grenzübergängen sind Alltag und ein Ende der Grenzkontrollen ist nicht in Sicht. 

Deutschland gleicht einem Flickenteppich und es scheint so, als käme es auf die Überzeugungskraft des jeweiligen Ministerpräsidenten an, ob die Grenzen auf oder zu bleiben dürfen. Dass der Unmut in der Bevölkerung wächst, ist mehr als nachvollziehbar. Denn ein Andauern der Grenzschließungen ist inzwischen nicht mehr zu rechtfertigen. Sie sind weder verhältnismäßig, noch erforderlich. Ob sie überhaupt dazu geeignet sind, das Virus einzudämmen, ist zweifelhaft. 

Eine nachvollziehbare Begründung für diese Maßnahme ist der Bundesinnenminister Seehofer bislang schuldig geblieben. Die Pandemie lässt sich auch auf andere Weise bekämpfen. Dazu müssen die EU und andere europäischen Staaten noch enger zusammenarbeiten. Die Vorschriften zur Einhaltung von Hygiene- und Abstandsregeln sind jetzt schon grenzüberschreitend in Kraft. 

Aber anstatt auf eine gemeinsame Linie innerhalb des Schengen-Raums hinzuarbeiten, setzt Horst Seehofer seit Wochen auf einen nationalen Alleingang und riskiert damit die Errungenschaften der Gemeinschaft. Ein Europa ohne Grenzen ist keine Selbstverständlichkeit.

Das ist ein Vierteljahrhundert nach Abschaffung der stationären Grenzkontrollen an den Binnengrenzen leider offensichtlich. Umso wichtiger ist es jetzt, den freien Waren- und Personenverkehr gegen Tendenzen der Abschottung und Nationalstaatlichkeit zu verteidigen. 

Der Leidensdruck wird immer größer

Erst Ende März haben wir den 25. Jahrestag des Inkrafttretens des Schengener Abkommens gefeiert. Das Jubiläum sollte ein Weckruf an die Bundesregierung sein. Der Schengen-Raum ist Ausdruck gelebter Freiheit und Freizügigkeit und eine der größten Errungenschaften in der Geschichte Europas. Beseelt von dem Traum des europaweiten Reisens ohne Grenzkontrollen ist er ein Musterbeispiel internationaler Verflechtung. Einseitige und unabgesprochen eingeführte Grenzkontrollen bedrohen dagegen den Wohlstand Europas.

Selbst in den eigenen Reihen und im Kanzleramt bröckelt das Vertrauen in den Bundesinnenminister. Die Rufe nach einer Rückkehr zu den Regeln des Schengener Abkommens werden immer lauter, und das zurecht. Denn je länger die Situation andauert, desto gravierender sind nicht nur die wirtschaftlichen, sondern auch die sozialen Folgen. Mit jedem weiteren Tag nimmt die Belastung für Berufspendler und den Warenverkehr zu. Der Leidensdruck, insbesondere in der Grenzregion wird auf beiden Seiten immer größer. 

Die Frage der Sinnhaftigkeit der Grenzkontrollen stellt sich auch, weil ein grenzüberschreitender Freizeit-Reiseverkehr ohnehin kaum stattfindet. Grenzkontrollen sind wie Steine im Getriebe und sollten auf den vor der Corona-Krise bestehenden Umfang zurückgenommen werden. Zudem sollte die Krise nicht als Anlass und Vorwand dazu verwendet werden, um sich langsam von einem Europa ohne Binnengrenzen zu verabschieden.

Die Aufgabe der europäischen Staaten ist es, sich schnellstmöglich auf gemeinsame Maßnahmen zur Eindämmung des Virus zu einigen und einen Weg zurück zu Schengen zu finden.

Stephan Thomae ist stellvertretender Vorsitzender der Fraktion der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag.

Mehr: Trotz Covid-19 soll internationaler Tourismus innerhalb der EU bald wieder möglich sein. Doch Brüssel knüpft die Öffnung von Grenzen an Bedingungen.

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