Gastkommentar: Warum Kryptowährungen kein Schneeballsystem sind

Wolfgang Münchau ist Direktor von eurointelligence.com.
Einige Makroökonomen bezeichnen Bitcoin und andere Kryptowährungen als Ponzi-Spiel. Diese Spiele sind Betrügereien, bei denen scheinbare Gewinne aus den Einzahlungen späterer Anleger bezahlt werden. Es ist das Original der Schneeballsysteme.
Hinter der Einschätzung der Makroökonomen steckt jedoch eine Kombination aus Wunschdenken und Unwissenheit. Einige der Kritiker verstehen Bitcoin zwar auf technischer Ebene. Die Unkenntnis bezieht sich jedoch auf die Frage, warum die Menschen Nicht-Fiat-Geld verwenden wollen und warum es überhaupt geschaffen wurde. Fiat-Geld bezeichnet Währungen, die nicht an den Preis eines Rohstoffes wie Gold oder Silber gebunden sind.
In seiner Abrechnung mit Bitcoin schreibt der Wirtschaftshistoriker Barry Eichengreen aus Berkeley, dass Bitcoin die traditionellen Funktionen von Geld – als Transaktionsmittel, als Rechnungseinheit und als Wertaufbewahrungsmittel – nicht erfüllt.
Diese Aussage ist technisch korrekt, geht aber am Kern der Sache vorbei. Die altehrwürdige Klassifizierung der Verwendungszwecke von Geld hat zwar eine gewisse kategorische Ästhetik, lässt aber außer Acht, dass es noch andere Gründe für Menschen geben kann, Geld zu besitzen, als Transaktionen durchzuführen und zu sparen.
Satoshi Nakamoto, der pseudonyme Autor des Bitcoin-Protokolls, schuf die Währung als ein Zahlungsmittel, das nicht der Kontrolle von Regierungen unterliegt. Man kann leicht an Geldwäsche oder Schlimmeres denken. Aber es gibt durchaus legitime Gründe, Transaktionen außerhalb der offiziellen Kanäle durchzuführen.
Legitime Nutzung von Kryptowährungen
In einigen Ländern mit eingeschränkten Menschenrechten ist der Bitcoin vielleicht die einzige Finanzierungsquelle für Oppositionspolitiker. Der Dollarwert eines Bitcoins schwankt stark, was ihn zu einer nicht idealen Quelle für traditionelle Ersparnisse macht. Aber er ist ein partielles Wertaufbewahrungsmittel und eine partielle Rechnungseinheit für Online-Transaktionen, die selbst in Bitcoin denominiert sind.
Es gibt bereits kleine Bitcoin-Wirtschaften. Man denke an kleine Netzwerke von Online-Dienstleistern, die miteinander handeln. Sie können Transaktionen zu viel niedrigeren Kosten als über klassische Kanäle abwickeln, ohne Banken, Clearingstellen und Zentralbanken einzubeziehen. Auch müssen sie sich nicht gegen die Inflation absichern.
Eine weitere legitime Nutzung ist die Kryptofinanzierung. Das Bitcoin-Protokoll ist dafür nicht geeignet. Die Währung Etherium hingegen schon, und es könnte sich als die erfolgreichere der beiden großen Kryptoplattformen herausstellen.
Der Ether dient hauptsächlich als Transaktionswährung für das Etherium-Netzwerk und nicht als eigenständige Währung. Etherium basiert auf einer ähnlichen Blockchain-Technologie wie Bitcoin, allerdings mit Zusätzen, die es als Handelsplattform für Finanzdienstleistungen geeignet machen.
Kryptofinanzierung hat die höchst wünschenswerte Eigenschaft, dass sie die Oligopolgewinne des Finanzsektors auffrisst. Kryptowährungen versprechen, den finanziellen Mittelsmann auszuschalten.
Paul Volcker, ein ehemaliger Vorsitzender der Federal Reserve, scherzte, dass der Geldautomat das einzige Beispiel für eine Finanzinnovation sei, das er in seinem Leben kennengelernt habe. Was üblicherweise als Finanzinnovation bezeichnet wird, entpuppte sich entweder als Fintech-Betrug – Wirecard – oder als obskures Umpacken von Krediten.
Bitcoin gehören zu keinem Schnellballsystem
Kryptofinanzierung hingegen hat das Potenzial einer echten Finanzinnovation. Wir haben bereits ein kleines Beispiel gesehen: Kryptofinanzierung in Form von nicht-fungiblen Token (NFT) ist die einzige technisch machbare Möglichkeit, einen Markt für digitale Kunst zu schaffen.

Zentralbankwesen und Kryptowährungen werden dem Autor zufolge wohl nebeneinander existieren.
Die Tatsache, dass der Preis von Bitcoin in Dollar ausgedrückt volatil ist, macht Bitcoin zu einem spekulativen Vermögenswert, dessen Wert durchaus irgendwann einbrechen kann. Das macht ihn aber nicht zu einem Schneeballsystem.
Das Bitcoin-Protokoll ist seit 2009 ohne Unterbrechung in Betrieb. Auch ich teile die Skepsis gegenüber Stablecoins und einigen anderen derivativen Produkten. Innerhalb des Kryptouniversums kann es durchaus Schneeballsysteme geben, genauso wie außerhalb. Einige von ihnen könnten echten Schaden anrichten. Stablecoin könnte abstürzen und Investoren verschrecken. Aber Bitcoin selbst wird weiter bestehen.
Ich denke, dass die alte und die neue Welt nebeneinander existieren werden. Eine gute Analogie ist die Medienbranche. Das Radio hat die Zeitungen nicht vernichtet, genauso wenig wie das Fernsehen das Radio vernichtet hat. Das Internet hat die Medienbranche verändert. Aber nicht, indem es sie umbrachte, sondern, indem es ihr die Oligopolgewinne wegnahm – die sagenumwobene Lizenz zum Gelddrucken.
Das ist buchstäblich das, was mit den Zentralbanken passieren wird. Sie haben mit Sicherheit eine Lizenz zum Gelddrucken. Kryptowährungen nehmen ihnen die Möglichkeit, dieses Privileg zu missbrauchen, indem sie zum Beispiel Inflation erzeugen. Krypto hat vielleicht nicht alle Eigenschaften von Geld, aber einige davon. Es hat auch einige der Eigenschaften von Gold.
Zentralbankwesen und Kryptowährungen werden nebeneinander existieren
Es ist auch denkbar, dass das moderne Zentralbankwesen mehr Merkmale eines Ponzi-Spiels aufweist als Kryptowährungen. Zum Beispiel könnten die Zentralbanken aufgrund ihrer fiskalischen Dominanz nicht in der Lage sein, ihre Ankäufe von Vermögenswerten loszuwerden.
Während ich mir hypothetische Ereignisse vorstellen kann, die dem Euro wirklich schaden könnten, fällt es mir wirklich schwer, mir ein Szenario vorzustellen, das den Zusammenbruch von Bitcoin oder Ether auslösen würde.
Höchstwahrscheinlich werden die beiden nebeneinander existieren. Die Zukunft des Fiat-Geldes wird ähnlich sein wie die der gedruckten Zeitungen heute. Sie haben ihre glorreichen Zeiten definitiv hinter sich. Das Zentralbankwesen wird weniger glamourös werden. Und seine Fähigkeit, Inflation zu erzeugen, wird stark abnehmen.
Und das bringt uns zu dem wahren Grund, warum sich die Ökonomen über die Kryptowährungen aufregen. Die Kryptogemeinschaft ist kein Freund von ihnen. In diesem Bereich gibt es keine Arbeitsplätze für Ökonomen. In der Bitcoin-Welt gibt es keine geldpolitischen Ausschüsse. Es gibt keine Davos-Treffen, wo sie sich unter die Reichen mischen können. Und die einzigen Papiere, die geschrieben werden, stammen von Leuten, die anonym sind.




Der Autor ist Direktor von www.eurointelligence.com
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