Gastkommentar Werner Hoyer: „Die EU steht auf dem Spiel“

Der Autor ist Präsident der Europäischen Investitionsbank.
Europas Regierungschefs haben eine gesundheitspolitische Antwort auf die Covid-19-Pandemie gefunden. Unter anderem finanzieren sie gemeinsam die Suche nach Impfstoffen und organisieren den Einkauf medizinischer Güter. Eine gemeinsame wirtschaftspolitische Antwort allerdings steht noch aus.
Das ist bedauerlich, denn wir haben keine Zeit für Schuldzuweisungen und Verzögerungstaktik. Die Europäische Union steht auf dem Spiel, und mit ihr das Versprechen von Frieden, Wohlstand und Solidarität für alle EU-Bürger.
Wir müssen schnell handeln, um die europäische Wirtschaft zu retten. Das sage ich nicht nur als Präsident der Europäischen Investitionsbank, sondern als jemand, der sich seit mehr als 30 Jahren in der Europapolitik engagiert.
Der wirtschaftliche Schock durch die Pandemie ist extrem: Laut Ifo-Institut könnte die europäische Wirtschaft, je nach Szenario, um sieben bis 20 Prozent schrumpfen. Unternehmen drohen massenhaft zu scheitern, Millionen Arbeitsplätze verloren zu gehen.
Die Antwort auf diese schwere Krise war in Europa bisher weitgehend national geprägt. Zwar hat die Europäische Zentralbank ein Rettungspaket von 750 Milliarden Euro aufgelegt und zugesagt, dass sie alles tun wird, um den Euro zu bewahren. Sie hat aber auch darauf hingewiesen, dass die Fiskalpolitik einen erheblichen Beitrag zu leisten hat.
Die Kommission hat die Fiskalregeln der Euro-Zone ausgesetzt, um jedem Mitgliedstaat freie Hand für die nötigen Ausgaben zu geben. Aber nicht jeder Staat hat den nötigen fiskalischen Spielraum.
Wenn der Ansatz „Italy first“, „France first“ oder „Germany first“ lautet, dann wird Europa an letzter Stelle kommen. Wir sind wirtschaftlich zu eng miteinander verflochten, als dass wir diese Krise als Einzelkämpfer bewältigen könnten. Deutschland leistet, gemessen an der Wirtschaftsleistung, doppelt so viel Hilfe für die Realwirtschaft wie Italien, Frankreich oder Spanien. Diese enormen Unterschiede verstärken die ökonomischen Fliehkräfte und bringen den Binnenmarkt in Gefahr.
Die politischen Kosten einer zu späten und mutlosen europäischen Antwort kommen hinzu. Die Wut breitet sich schneller aus als das Virus. In einer Meinungsumfrage beklagten im März 88 Prozent der Italiener mangelnde Unterstützung Europas, und 67 Prozent bezeichneten die EU-Mitgliedschaft als nachteilig – manche haben das Gefühl, dass ihnen China und Russland eher zu Hilfe eilen als die EU-Partner.
Um weiteren Schaden zu verhindern, muss die EU jetzt drei Dinge tun:
- Erstens muss sie den Mitgliedstaaten helfen, die Gesundheitsausgaben zu tätigen, die nötig sind, um die Pandemie zu besiegen.
- Zweitens brauchen wir eine europaweite Auffanglösung, vor allem für kleine und mittelständische Unternehmen.
- Und drittens brauchen wir ein Programm, um so viele Arbeitsplätze wie möglich zu erhalten. Zugleich müssen wir einen gemeinsamen Plan für die wirtschaftliche Erholung entwickeln, damit von der Schumpeter’schen kreativen Zerstörung nicht nur die Zerstörung übrig bleibt.
Europa darf in Sachen Innovation, Technologie und Wettbewerbsfähigkeit nicht noch weiter zurückfallen. Wir müssen sicherstellen, dass unsere besten Unternehmen mit ihrem Know-how in Europa bleiben.
Die Maßnahmen auf EU-Ebene müssen komplementär sein. Ich begrüße den Vorschlag der EU-Kommission, ein Instrument zur temporären Bekämpfung von Arbeitsplatzverlusten zu schaffen, das „Sure“-Programm.
Auch der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) kann eine wichtige Rolle dabei spielen, den wirtschaftlichen Schock abzufedern. Die EIB-Gruppe hat einen eigenen Vorschlag für einen paneuropäischen Garantiefonds von 25 Milliarden Euro vorgelegt. Durch ihn können Mittel im dreistelligen Milliardenbereich bereitgestellt werden, um europäische Unternehmen zu finanzieren, die wirtschaftlich solide sind, aber in der Coronakrise Liquiditätsengpässe haben.
Der frühere belgische Ministerpräsident Paul-Henri Spaak hat einmal gesagt: „In Europa gibt es nur zwei Typen von Staaten: kleine Staaten … und kleine Staaten, die noch nicht verstanden haben, dass sie klein sind.“
Wir haben viele Krisen gemeinsam überstanden: die Euro-Schuldenkrise, die Flüchtlingswelle und den Brexit. Wir haben gelernt, dass wir gemeinsam stärker sind.
Ich hoffe, dass wir dies auch im Kampf gegen das Coronavirus beherzigen und eine mutige, solidarische europäische Lösung finden. Nur so können wir das Europa bewahren, das wir gemeinsam aufgebaut haben. Das Europa, das wir lieben.
Mehr: Euro-Gruppe will erstes Corona-Notpaket für die Wirtschaft beschließen. Lesen Sie hier mehr.
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Die hohe Ablehnungsquote der Italiener zur EU ist ein Ergebnis von 20 Jahren Populismus und EU Kritik, zum Teil sehr unfair. es begann mit Berlusconi, gin g über die Sterne, und im Augenblick macht Salvini Druck. Ich persönlich habe das langsam satt. Sollen die Italiener doch abstimmen. Wenn sie rauswollen, ziehen lassen.
dann konzentrieren wir uns lieber auf die "Willigen" und verschwenden nicht weiter unsere Kräfte.