Gastkommentar: Wir brauchen keine Aktienrente, sondern eine Rentenversicherung, die öffentlichen Wohnungsbau fördert

Cansel Kiziltepe (SPD) ist Senatorin in Berlin für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung.
Tom Krebs ist Professor für Makroökonomie an der Universität Mannheim.
Das umlagefinanzierte Rentensystem sichert in Deutschland seit Jahrzehnten das Einkommen im Alter. Bei allen demografischen Herausforderungen ist das Umlagesystem eine gesamtdeutsche Erfolgsgeschichte und wird auch zukünftig die zentrale Säule der deutschen Altersvorsorge sein.
Die Erfahrungen mit der kapitalgedeckten Riester-Rente sind hingegen mehr als durchwachsen. Die Konstruktionsfehler sollten keinesfalls verdrängt werden, wenn jetzt über die Verwendung eines kreditfinanzierten Generationenkapitals in Höhe von zehn Milliarden Euro als Ergänzung des Umlagesystems diskutiert wird.
Der aktuell diskutierte Vorschlag eines Generationenkapitals sieht vor, dass der deutsche Staat öffentliche Gelder in ein internationales Portfolio von Aktien und Unternehmensanleihen anlegt. Die aus den Anlagen gewonnenen Renditen sollen genutzt werden, um die Rente zu stabilisieren und einen weiteren Anstieg der Beitragssätze zu vermeiden.
Auf den ersten Blick erscheint das Argument für einen global investierten Staatsfonds zur Altersvorsorge überzeugend. Jeder Bürger und jede Bürgerin wäre automatisch Mitglied im Staatsfonds und würde von den anfallenden Renditen profitieren.
Beispielsweise hat der norwegische Staatsfonds, der die Öleinnahmen des Landes weltweit anlegt, seit 1998 einen durchschnittlichen Ertrag von knapp sechs Prozent erwirtschaftet.
Investitionen in bezahlbaren Wohnraum versprechen hohe gesamtwirtschaftliche Renditen
Doch ein zweiter Blick zeigt die Schwächen des Ansatzes. Zum einen ist eine staatliche Aktienrente mit hohem Risiko behaftet, denn Finanzmarktrenditen unterliegen erheblichen Schwankungen. Der norwegische Staatsfonds etwa erlitt im Jahr 2022 einen Verlust von 14,1 Prozent - insgesamt 152 Milliarden Euro Verlust in nur einem Jahr.
Darüber hinaus besteht keine Gewähr, dass die durchschnittlichen Finanzmarktrenditen in den kommenden Dekaden nicht weit unter dem Schnitt der letzten zwei Dekaden liegen. Es ist fast unmöglich, unerwartete Krisen und die Entwicklung der Finanzmärkte langfristig vorherzusagen. Etwaige Ausfälle müssten dann wiederum aus dem öffentlichen Haushalt ausgeglichen werden.
Zum anderen ist Deutschland nicht Norwegen. Für Norwegen mag es sinnvoll sein, dass der Staat Einnahmen aus der Erdölförderung verstärkt im Ausland investiert. Für Deutschland sind jedoch öffentliche Investitionen in die deutsche Volkswirtschaft das Gebot der Stunde.
Investitionen in bezahlbaren Wohnraum und die öffentliche Infrastruktur versprechen hohe gesamtwirtschaftliche Renditen. Gerade im kommunalen Wohnungsbau steht Deutschland vor einer gewaltigen Herausforderung, welche die Gesellschaft als Ganzes betrifft.
Es macht daher wenig Sinn, dass der deutsche Staat den Abfluss inländischer Ersparnisse ins Ausland fördert. Deutschland braucht im Gegenteil eine Politik, die es den vorhandenen inländischen Ersparnissen erleichtert, ihren Weg zu den notwendigen inländischen Investitionen zu finden.
Die private Wohnungswirtschaft stellt nicht genug bezahlbare Wohnungen bereit
Konkret plädieren wir für eine Rentenversicherung, die ihr Engagement im öffentlichen Wohnungsbau wiederbelebt. Vor nicht allzu langer Zeit war die Rentenversicherung in Deutschland einer der größten Akteure in der Förderung bezahlbarer Wohnungen.
Von 1918 bis 2004 wurde dieses Engagement über die Gagfah, die Gemeinnützige Aktien-Gesellschaft für Angestellten-Heimstätten, organisiert. Es wurden günstige Finanzierungsmöglichkeiten für den Haus- und Wohnungsbau zur Verfügung gestellt und eigene Wohnprojekte umgesetzt, wobei auch genossenschaftliche Wohnungsbaugesellschaften finanzielle Unterstützung erhielten.
>> Lesen Sie auch: Vonovia stellt alle Neubauprojekte ein
Die Wohnungspolitik von Rentenversicherung und Gagfah kam breiten Schichten der Bevölkerung zugute. Die Gagfah handelte in erster Linie gemeinwohlorientiert und erzielte nur moderate Renditen.
Dabei profitierte sie bis 1990 auch von den Privilegien der Gemeinnützigkeit. Ein günstigerer Zugang zu Krediten oder ein Vorkaufsrecht für ausgewiesene staatliche Grundstücke halfen ihr und ermöglichten den Bau guter Wohnungen für Tausende Bürgerinnen und Bürger. Mit der Aufhebung des Gemeinnützigkeitsgesetzes im Jahr 1990 verschwand jedoch dieser Vorteil, und 2004 wurde die Gagfah letztlich an einen US-amerikanischen Investor verkauft.
Die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum hat aktuell in Deutschland wieder höchste Priorität. Der Staat ist gefragt, weil die private Wohnungswirtschaft bezahlbare Wohnungen nicht im nötigen Umfang bereitstellt.
Rentnerinnen und Rentner leiden besonders unter stark steigenden Mieten und Wohnungsmangel, denn die Altersarmut in Deutschland steigt stetig an: Im Jahr 2021 waren 17,4 Prozent aller Seniorinnen und Senioren armutsgefährdet, während es 2005 nur elf Prozent waren.
Deutschland braucht keine staatlichen Finanzinvestitionen in riskante Vermögenswerte im Ausland, sondern ein Generationenkapital zur Unterstützung der inländischen Realwirtschaft. Die aktuelle Wohnungsnot erfordert eine erneute Verknüpfung von nachhaltiger Rentenversicherung und bezahlbarem Wohnungsbau. Ein solches Generationenkapital wäre ein wichtiger Schritt hin zu einer stabilen Rentenversicherung mit realwirtschaftlichem Mehrwert.
Die Autoren:






Cansel Kiziltepe (SPD) ist Senatorin in Berlin für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung.
Tom Krebs ist Professor für Makroökonomie an der Universität Mannheim.
Mehr: Misstrauensbeweis für Christian Lindner – Bürger lehnen Aktienrente mehrheitlich ab





