Gastkommentar: Donald Trump sucht gezielt die Demütigung Europas

In der guten alten Zeit, vor Erfindung des Internets, blieben Gespräche zwischen Staats- und Regierungschefs vertraulich. Allenfalls konnte man Jahre später in den Autobiografien nachlesen, wie unangenehm die eine oder andere Begegnung gewesen sein muss.
So haben wir erfahren, dass der Austausch mit Helmut Schmidt für den amerikanischen Präsidenten Jimmy Carter zu den unangenehmsten Zusammenkünften seiner Amtszeit gezählt hatte, als er vom deutschen Bundeskanzler in rüdem Ton belehrt wurde. Was Selenskyj einst über die öffentliche Hinrichtung im Weißen Haus am vergangenen Freitag schreiben wird, ist ungewiss.
Schon jetzt hat das im Netz viral gegangene Video millionenfache Aufrufe, und Elon Musk hatte nichts Besseres zu tun, als es mit einem lachenden Emoji weiterzuverbreiten. Selenskyj mag durch die vielfachen Zustimmungsbekundungen der letzten Tage aufgebaut worden sein. In Wirklichkeit ist auch er geschwächt.
Noch hält er am Angebot des Rohstoffabkommens mit den Vereinigten Staaten fest. Mit dem Aussetzen der US-Militärhilfe übt US-Präsident Donald Trump enormen Druck auf Selenskyj aus. Wie unter diesen Umständen der Weg zu einem gerechten Frieden gefunden werden kann, ist schwer vorstellbar.
Trump sucht gezielt die Demütigung Europas
Der Eklat ist weit mehr als eine Momentaufnahme im Medienzeitalter. Er dokumentiert die größte Krise im transatlantischen Verhältnis seit der Suez-Krise von 1956, als der Alleingang von Briten und Franzosen nach kurzer Zeit beendet wurde und dem britischen Premier eine Nervenkrise bescherte.
Der noch größere Skandal besteht heute darin, dass der amerikanische Präsident mit seiner Ankündigung, dass man die Nato-Mitgliedschaft der Ukraine vergessen könne, einen Riesenfehler begangen hat. Damit hat er den wichtigsten Trumpf aus der Hand gegeben, bevor die Verhandlungen überhaupt begonnen haben.
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Trump scheint das Tauwetter in den amerikanisch-russischen Beziehungen höher zu bewerten als den in über sieben Jahrzehnten bewährten transatlantischen Zusammenhalt. Es geht heute um viel mehr als um europäisch-amerikanische Lastenteilung. Das atlantische Bündnis schlingert.
Trump sucht gezielt die Demütigung Europas, weil die Sicherheit in Europa an die Deckung durch die amerikanische Macht gebunden ist und immer abhängig von den globalen sicherheitspolitischen Entwicklungen. Denn ein Gleichgewicht gegen Russland wird Europa auch dann nicht herstellen können, wenn es politisch geeinter und militärisch handlungsfähiger auftritt, als es heute ist.
Auf dem Westbalkan wird es neue Konflikte geben
Die strategische Abhängigkeit Europas von den Vereinigten Staaten wird in der Ukrainefrage besonders deutlich. Eine Österreich-Lösung von 1955 - bei der sich die Alpenrepublik zur Neutralität verpflichtete und im Gegenzug die sowjetischen Truppen abzogen - ist für die Ukraine keine Option. Allianzfreiheit würde die Ukraine auf prekäre Weise angreifbar machen. Neutralität ist in der globalisierten Welt immer weniger ein zukunftsfähiges Konzept.
Die Enttäuschung über den Westen, der zuerst viel zu zögerlich bei den Waffenhilfen war und nun die 2008 auf dem Nato-Gipfel in Bukarest gegebene vage Zusage, die Ukraine in die Nato aufzunehmen, nicht einhält, wird Verwerfungen hervorrufen. Kiew war, von der europäischen Politik über lange Zeit vernachlässigt, 2022 Opfer der russischen Aggression und heute des transatlantischen Zerwürfnisses.
Eine Zuspitzung der strategischen Probleme Europas wird sich insbesondere auch bei der Erweiterungsfrage des Westbalkans zeigen. Putin wird alles tun, um die neuen Probleme der Europäer zu vergrößern. Und der innenpolitisch stark bedrängte serbische Präsident Vucic wird sein virtuos gehandhabtes Spiel der Ablenkung von eigenen Problemen durch Einmischung in Nachbarländer - Kosovo, Bosnien, Montenegro - fortsetzen.
Die strukturellen Probleme, der innere Zwist und die ungeklärten Fragen der Europäischen Union werden wie im Scheinwerferlicht grell beleuchtet werden. Die Europäische Union, wie wir sie kannten, wird dann der Vergangenheit angehören. Weitere Wetterstürze werden folgen.
Wir müssen Trump überzeugen, dass die Bindung an Europa den USA nützt
Kann der Weg in den Abgrund aufgehalten werden? Antiamerikanismus, Trump-Schelte, Selenskyj-Hype und Wunschdenken von der Weltmacht Europa sind keine geeigneten Rezepte. Es bleibt nur die Mühsal der Ebenen, Trump und sein Team davon zu überzeugen, dass die Bindung an Europa auch weiterhin im amerikanischen Interesse liegt.
Eine funktionierende Nato braucht mehr als eine Jahresübersicht des Kassenwarts, wo am Ende mit spitzer Feder Leistungen gegenseitig verrechnet werden. Die heutige Weltlage bringt es mit sich, dass nur Mut zur Führung und Charakter Wege aus der Gefahr aufzeigen können.






Wir erleben das Ende einer alten Ordnung, eine historische Umwälzung und ein neues Zeitalter der Konfrontation. Die Weltordnung, die einst Amerika maßgeblich mitgestaltet hat, ist längst nicht mehr identisch mit der Welt von heute, die von einer Rückkehr der Großmächte und zunehmenden Rivalitäten geprägt ist. Trumps Aufbäumen gegen diese Einsicht könnte zum Rückzugsgefecht auf dem Weg in eine post-amerikanische Welt werden, wenn weitere diplomatische Fehler folgen.
Der Autor: Ulrich Schlie ist Politikwissenschaftler und Historiker und seit 2020 Henry-Kissinger-Professor für Sicherheits- und Strategieforschung an der Universität Bonn. Zuvor gehörte er über 27 Jahre dem deutschen Auswärtigen Dienst an.





