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Gastkommentar – Global ChallengesWarum das Mercosur-Abkommen noch gelingen muss

Die Ära des Freihandels geht zu Ende. Umso wichtiger ist das Abkommen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten. Gerade Deutschland sollte sich dafür einsetzen, fordert Peter Wittig. 26.06.2024 - 19:43 Uhr
Foto: AP

Die USA haben eine neue Ära des Protektionismus eingeleitet. Zwischen den USA und China herrscht Handelskrieg. Wir sollten uns nichts vormachen: Einerlei, ob Biden oder Trump US-Präsident ist – der Schutz der US-Industrie hat oberste Priorität. Prinzipien und Institutionen des offenen Welthandels werden an den Rand gedrängt, nationale Sicherheit hat Vorrang vor der Effizienz der Globalisierung.

Das sind die US-Megatrends der kommenden Jahre. Zielscheibe ist vor allem der Großmachtrivale China. Peking reagiert mit Retorsionen. Massiv betroffen ist aber auch Europa.

Die US-Zölle ziehen die EU stark in Mitleidenschaft – unter Trump käme es noch schlimmer. China leitet seine Exporte und Überkapazitäten in die EU-Staaten um – besonders im Green-Tech-Bereich. Die EU sieht sich zu Gegenmaßnahmen genötigt und hat bereits Strafzölle gegen chinesische E-Autos beschlossen. Chinas Antwort darauf wird nicht ausbleiben. Die Konkurrenzfähigkeit europäischer Unternehmen wird mithin auf eine harte Probe gestellt.

Die Handelsmacht EU ist grundsätzlich herausgefordert: Kann sie im Sturm von Protektionismus, Subventionswettlauf und Handelskrieg noch Bannerträger des Freihandels sein? Deutschland als industrielle Exportnation ist wie kein zweites EU-Land auf eine offene Weltwirtschaft angewiesen.

Die EU-Handelsstrategie von 2021 – „Open Strategic Autonomy“ – ist überholt. Sie muss von der nächsten EU-Kommission neu gefasst werden. Die EU steht dabei vor einem grundsätzlichen Dilemma. Einerseits hat sie ein fundamentales Interesse, die Offenheit der Handelsbeziehungen zu wahren. Andererseits wird sie gezwungen, sich gegen WTO-widrige Zölle und Subventionen sowie gegen ökonomische Zwangsmaßnahmen der Großmächte zu schützen.

Mit Mercosur entstünde eine der weltweit größten Freihandelszonen

Dafür hat sich die EU in den vergangenen Jahren gerüstet – etwa durch das Instrument zur Bekämpfung von Zwangsmaßnahmen eines Drittstaates sowie durch verschiedene Regulierungen zur Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen. Ihr Einsatz würde wiederum den freien Handel schwächen.

Weltweit sind traditionelle Freihandelsabkommen auf dem Rückzug. Die Biden-Administration hat sie sogar explizit ausgeschlossen. Die Zukunft gehört ambitionsarmen Einzelabkommen: sektorale Vereinbarungen, etwa über digitalen Handel oder spezifische Rohstoffe, oder auch technische „Miniabkommen“ wie über gegenseitige Anerkennung von Produktstandards.

Zwar verfügt die EU über ein beeindruckendes Netz von Freihandelsabkommen mit 74 Ländern, die 44 Prozent des EU-Außenhandels abdecken. Aber neue Vorhaben sind notleidend. Das EU-Abkommen mit Australien ist gescheitert, die Verhandlungen mit Indonesien ziehen sich endlos hin, das Großprojekt eines Freihandelsabkommens mit Indien hat absehbar keine Aussichten auf Erfolg.

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Doch der „große Preis“ ist noch nicht ganz verloren: das Handelsabkommen mit Mercosur (Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay). Die EU muss ihn heimholen! Es ist ein strategisches Projekt. Mit dem Abkommen entstünde eine der weltweit größten Freihandelszonen mit über 715 Millionen Einwohnern. Allein in Deutschland hängen über 240.000 Arbeitsplätze von Exporten in den Mercosur ab.

Nach jahrelangem Stillstand kam mit dem brasilianischen Präsidenten Lula wieder Bewegung in die Verhandlungen. Im Dezember 2023 war die EU-Kommission noch zuversichtlich, dass bestehende Divergenzen überwunden werden könnten: Die EU verlangt ein noch stärkeres Bekenntnis zum Thema Entwaldung und zum Pariser Klima-Abkommen.

Berlin sollte nicht zulassen, dass Paris Mercosur wegen seiner Bauernproteste scheitern lässt

Mercosur fordert eine pragmatische Umsetzung der EU-Entwaldungsregulierung, zudem Präferenzen für die eigene Industrie angesichts verschärfter EU-Regulierung durch den „Green Deal Industrial Plan“. Keine einfachen Themen, aber beide Seiten sahen ein Abkommen in greifbarer Nähe.

Dann begannen im vergangenen Februar die Bauernproteste in der EU. Das traditionell agrar-protektionistische Frankreich sagte noch deutlicher „non“. Hintergrund war der Widerstand französischer Bauern gegen die Marktöffnung von Fleisch und Geflügel für Mercosur. Hochrangige französische Politiker, Präsident Macron an der Spitze, stellten das Abkommen infrage. Andere Skeptiker wie Österreich, Belgien, die Niederlande und Irland fühlten sich ermutigt.

In den Mercosur-Staaten wachsen inzwischen die Zweifel am politischen Willen der EU. Die Zeit ist nicht auf Europas Seite. Mercosur wendet sich anderen potenziellen Handelspartnern zu. China ist bereits dabei, das Vakuum zu füllen.

In dieser Lage ist deutsche Bundesregierung an erster Stelle gefragt. Will sie zulassen, dass Frankreich mit Rücksicht auf seine Bauern Mercosur scheitern lässt und wesentliche Industrieinteressen Europas und Deutschlands opfert? Das wäre ein schwerer strategischer Fehler. Das Thema gehört ganz nach oben auf die Agenda deutsch-französischer Divergenzen, sobald sich Frankreich nach den Neuwahlen sortiert hat. Mit Spannung bleibt ohnehin abzuwarten, mit welcher Regierung Berlin dann in Paris sprechen wird.

Verwandte Themen US-Strafzölle Europäische Union Außenpolitik

Der Autor: Peter Wittig war Botschafter in Washington und London sowie bei den Vereinten Nationen. Heute ist er unter anderem als Gastprofessor an der Georgetown University in Washington und als Berater für den deutschen Auto- und Industriezulieferer Schaeffler tätig.

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