Gastkommentar – Homo oeconomicus: Gehaltstransparenz hat nicht nur Vorteile
Wer denkt, er verdiene weniger als seine Kollegen, kann weniger Lust auf die Arbeit haben.
Foto: dpaJe höher man auf der Karriereleiter in einem Unternehmen kommt, umso mehr Geld verdient man in aller Regel. Da Informationen über das Gehalt aber zu den bestgehüteten Geheimnissen im Berufsleben zählen, ist es schwierig, eine gute Vorstellung von den Gehältern auf den höheren Hierarchiestufen zu haben.
Die meisten Menschen stellen jedoch Vermutungen darüber an, wie viel die Kollegen auf der gleichen und der nächsthöheren Stufe wohl verdienen. Diese Schätzungen – selbst wenn sie weit weg von der Realität sind – haben Auswirkungen auf die Arbeitsleistung, wie eine Studie von Zoë Cullen und Ricardo Perez-Truglia zeigt.
Die beiden Harvard-Forscher befragten über 2000 Mitarbeiter einer großen asiatischen Privatbank über deren Einschätzung der Gehälter in der Bank. Beispielsweise wurde dabei ein Junior Analyst gefragt, wie viel die Senior Analysten auf der nächsten Hierarchiestufe wohl im Durchschnitt verdienen. Außerdem wurde die Schätzung abgefragt, wie viel die anderen Junior Analysten im Durchschnitt verdienen.
Tatsächlich verdienen in dieser Bank die Manager auf der jeweils nächsthöheren Ebene zwischen dem Doppelten und dem Fünffachen der Ebene darunter. Im Schnitt schätzen die Mitarbeiter das Gehalt auf der nächsten Ebene um etwa 15 Prozent zu niedrig ein. Es kommt aber auf die individuelle Schätzung an: Je höher die Erwartung zum Gehalt auf der nächsten Ebene war, umso härter arbeiteten die Mitarbeiter.
Konkret ließ sich zeigen, dass diejenigen Mitarbeiter länger arbeiteten, mehr Verkäufe tätigten und mehr E-Mails beantworteten, die eine höhere Schätzung zum Gehalt auf der nächsten Ebene abgaben. Eine Person, deren Schätzung zehn Prozent über dem Durchschnitt lag, arbeitete im Schnitt eine Stunde länger pro Woche als der andere Beschäftigte.
Gehaltsschätzungen haben negative Motivationseffekte
Etwas anderes gilt, wenn man glaubt, dass die anderen Mitarbeiter auf der eigenen Ebene mehr Geld verdienen als man selbst. Wer davon ausging, unterdurchschnittlich bezahlt zu werden, drosselte seine Arbeitsleistung eher. Vor allem aber zeigt sich, dass solche Mitarbeiter deutlich weniger zufrieden mit dem Arbeitsklima und dem eigenen Gehalt sind und dass sie hohe Gehaltsunterschiede eher für inakzeptabel halten.
Matthias Sutter ist Direktor am Max-Planck-Institut Bonn und Autor von „Der menschliche Faktor oder worauf es im Berufsleben ankommt“.
Foto: ECONtribute/Dustin PreickDaraus folgt, dass horizontale Gehaltsvergleiche (gegenüber Mitarbeitern auf derselben Stufe) fast exakt gegenteilige Auswirkungen als vertikale Gehaltsvergleiche (zu den Mitarbeitern auf der nächsten Stufe) haben.
Das sollte in Zukunft bei der Diskussion über Gehaltstransparenz berücksichtigt werden, da diese ein zweischneidiges Schwert sein kann. Wenn schon Gehaltsschätzungen negative Motivationseffekte haben können, dann ist das bei offengelegten Gehältern erst recht zu erwarten.
Mehr: Wie sich Vergütungsmodelle durch New Work verändern