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B.wertetKampf gegen die Nein-Sager

Stuttgart 21, neue Flugbahnen in Frankfurt oder München, Kohlekraftwerke oder schlicht Stromleitungen: Immer mehr Deutsche werden zu Nein-Sagern, obwohl sie den Fortschritt eigentlich wollen. Wir brauchen mehr Ja-Sager.Christine Bortenlänger 29.03.2012 - 08:04 Uhr Artikel anhören

Christine Bortenlänger – B.wertet. Christine Bortenlänger leitet ab September 2012 das Deutsche Aktieninstitut in Frankfurt.

Foto: Handelsblatt

Im Jahr 1931 veröffentlichte der bekannte Dramatiker Bert Brecht quasi im Doppelpack die zwei Schulopern „Der Jasager“ und „Der Neinsager“. Im Wesentlichen geht es darum, dass ein Junge sich dessen bewusst ist, dass er ums Leben kommt, wenn er zu einer Entscheidung ja sagt, dass er aber überlebt, wenn er nein sagt. So kommt es zur Einführung eines neuen Brauchs, wie der Knabe es selbst nennt. Mir scheint es nun, dass der einmal neue Brauch des Nein-Sagens sich bei uns in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten so fest eingebürgert hat, dass wir zusehends das Ja-Sagen verlernt haben.

Fast allen anspruchsvollen Projekten schallt erst einmal ein lautes Nein entgegen. Wobei hier an die Worte des bayerischen Liedermachers Konstantin Wecker erinnert sein mag, dass „nicht immer die Lauten stark sind, nur weil sie lautstark sind“. Will heißen, das Nein manifestiert sich laut und deutlich und für alle sehr vernehmlich, aber es ist schwer auszumachen, ob wirklich die Mehrheit dahinter steht.

Selbst wenn es bei institutionalisierten Protesten zu einem demokratischen Bürgerentscheid kommt, der sich um ein konkretes Projekt dreht, gewinnt meist die Fraktion der Ablehnung, weil sie ihre Gefolgschaft geschlossen hinter sich zu bringen vermag. Die Befürworter agieren da meist gelassener und weniger motiviert. Prompt werden sie dann meistenteils überstimmt.

Stuttgart 21 manifestierte sich für mich zu einem Höhepunkt des Nein-Sagens. Allerdings auch zu einem Wendepunkt, denn hier dürfte erstmals die leise Mehrheit gegen die laute Minderheit gewonnen haben, setzten sich beim Volksentscheid doch die Befürworter klar durch. Vielleicht ist damit – endlich – ein Ende des Nein-Sagens erreicht und wir treten in eine neue Phase des Ja-Sagens ein. Ähnliches gibt es derzeit in München zu beobachten.

Kurz und schmerzhaft: alle Kolumnen Foto: Handelsblatt

In der bayerischen Landeshauptstadt tritt der starken und lauten Gruppe der Gegner einer dritten Startbahn am Flughafen inzwischen eine Initiative für den Bau dieser Startbahn entgegen. Mitte Juni ist ein Bürgerentscheid zum Flughafenausbau geplant, und die Befürworter wollen auch hier nicht den Neinsagern das Feld überlassen. Neben den drei Parteien SPD, CSU und FPD sind dem Bündnis fünfzehn Vereine, Kammern und Verbände, 23 Unternehmen und viele Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens beigetreten.

Auch der FC Bayern und 1860 München zählen dazu. Der Standort München profitiert von einem funktionierenden und wettbewerbsfähigen Drehkreuz. Natürlich gibt es Argumente für und gegen einen Ausbau, die Bürger sollten aber die Chance bekommen, sich ohne Diffamierung zu entscheiden. Die Gegner haben mit Boykottaufrufen und Verunglimpfung auf das Bündnis für die 3. Startbahn reagiert – offensichtlich müssen sich „Neinsager“ erst noch an die offensiven „Jasager“ gewöhnen.

Doch so dringend wie selten zuvor brauchen wir eine Kultur des Ja-Sagens, beispielsweise schon wenn wir die Energiewende ernst nehmen. Das über Jahrzehnte gepflegte lautstarke Nein zu Atomkraftwerken muss sich jetzt in ein überzeugendes Ja zu regenerativen Energien mit allen daraus resultierenden Belastungen für Teile der Bevölkerung drehen.

Neue Stromleitungen, Windräder (nicht nur weit weg vor der Küste sondern auch vom Stromverbraucher), Sonnenkollektoren auf Hausdächern und Freiflächen werden die Landschaft Deutschlands verändern und beinträchtigen. Doch wir werden sie benötigen.

 Es wird überall örtlichen Widerstand geben, aber für das Gemeinwohl muss dieser überwunden werden. Insofern ist es heute umgekehrt: Wir müssen einen neuen Brauch, den neuen Brauch des Ja-Sagens einführen, um zu überleben – oder, weniger pathetisch – um wettbewerbs- und zukunftsfähig zu bleiben.

Ihre cb

Christine Bortenlänger, geboren 1966 in München, ist Geschäftsführerin der Börse München.

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