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EnergiewendeWie innovative Solarprojekte doppelten Nutzen erzeugen

Auf dem Wasser, in Obstplantagen oder auf Bahngleisen: Unkonventionelle Solarlösungen eröffnen neue Potenziale für die Energiewende. Wir stellen vielversprechende Ansätze vor.Julia Rieder 06.11.2025 - 12:41 Uhr Artikel anhören
Floßfahrt mit Ministerpräsident Markus Söder (CSU, v.l.): Einweihung einer schwimmenden Solaranlage in Bayern Foto: Peter Kneffel/dpa

Zwei-in-eins-Produkte haben nicht unbedingt den besten Ruf. Duschgel und Shampoo in einer Flasche oder Tütchen mit Instant-Kaffee und Milchpulver lösen nur bei wenigen Menschen Begeisterung aus. In einem speziellen Bereich finde ich den Zwei-in-eins-Ansatz aber sehr einleuchtend: bei der Erzeugung von Solarstrom.

Denn freie Flächen für Solaranlagen sind knapp – und trotzdem wächst der Bedarf an sauberem Strom. Forschende und Unternehmen setzen bei der Lösung dieses Dilemmas auf Kreativität. Und so entstehen spannende Photovoltaik-Projekte fernab von klassischen Solardächern.

Mein Kollege Axel Höppner berichtete zum Beispiel kürzlich über ein Solarkraftwerk auf einem Baggersee im oberbayerischen Gilching. Auf dem türkisblauen Gewässer schwimmen 2600 Photovoltaikmodule. Sie liefern Strom für das Kieswerk, zu dessen Gelände der See gehört. Die Module sind senkrecht in Ost-West-Richtung ausgerichtet und sollen so über den Tag verteilt relativ gleichmäßig Energie produzieren.

Der Vorteil dieser „Floating Photovoltaik“: Es werden keine Flächen vereinnahmt, die auch landwirtschaftlich genutzt werden können.

Schwimmende Kraftwerke auf Baggerseen

In Asien sind die schwimmenden Systeme schon deutlich öfter zu sehen. Die erste Anlage dieser Art wurde laut Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) bereits in den frühen 2000er-Jahren in Japan installiert. Inzwischen befinden sich fast 90 Prozent der installierten Kapazität schwimmender PV-Anlagen in Asien, fast jede zweite davon in China.

Schwimmendes Kraftwerk: Photovoltaikmodule auf einem Baggersee in Gilching. Foto: Sinn Power

Auch hierzulande findet das Konzept zunehmend Fans. In Nordrhein-Westfalen etwa sind bereits sechs große Floating-PV-Anlagen in Betrieb. Derzeit sind Solarkraftwerke nur auf künstlich entstandenen oder erheblich veränderten Gewässern zugelassen. Mehr als 6000 gibt es davon bundesweit, vor allem in der Nähe von Tagebauen. Dort könnten Solarmodule helfen, die angrenzenden Sand- oder Kieswerke mit grünem Strom zu versorgen.

Clevere Nutzung: Solarmodule zwischen Schienen

Es gibt weitere ungewöhnlich anmutende Orte, an denen wir Solarenergie „ernten“ können. Oft geht es darum, bestehende Flächen oder Strukturen auf clevere Weise mehrfach zu nutzen.

Das Schweizer Start-up Sun-Ways will diese Idee auf Bahngleisen umsetzen. In dem Raum zwischen den Schienen sollen Solarpanele Strom produzieren, der genutzt werden kann, um Signale und Weichen zu betreiben, über Oberleitungen Züge mit Energie versorgt oder ins öffentliche Stromnetz fließt.

Solarmodule im Gleisbett: Ein Test in Buttes soll zeigen, ob sich Stromerzeugung zwischen Schienen lohnt. Foto: picture alliance/KEYSTONE

Im schweizerischen Buttes im Kanton Neuenburg wird die Technologie derzeit auf einer 100 Meter langen Strecke erstmals getestet. 48 Solarmodule wurden von einem Spezialzug im Gleisbett montiert und sollen 16.000 Kilowattstunden Strom im Jahr produzieren. Das entspricht etwa dem Jahresverbrauch von vier Haushalten.

Nach Angaben des Unternehmens kann das Schienenkraftwerk Geschwindigkeiten bis zu 150 Stundenkilometern aushalten. Auch wenn die Züge auf der Strecke, die nun für den ersten Test genutzt wird, höchstens 70 Stundenkilometer schnell fahren.

Falls das Pilotprojekt funktioniert, wäre das Potenzial enorm. In einem 2024 veröffentlichten Forschungsbericht im Auftrag des Deutschen Zentrums für Schienenverkehrsforschung äußerte sich der TÜV Rheinland noch skeptisch darüber, ob PV-Module im Gleisbett den hohen Belastungen durch den Zugverkehr standhalten können. Sollten aber marktreife Komponenten entwickelt werden, seien theoretisch etwa ein Viertel des über 37.000 Kilometer langen Schienennetzes in Deutschland für Photovoltaik im Gleisbett nutzbar, schreiben die Studienautoren.

Forschung setzt auf Synergien

Auch das Fraunhofer ISE forscht an ungewöhnlichen Konzepten, die die Energiewende voranbringen könnten. In einem Projekt geht es darum, wie PV-Module Apfelplantagen vor Hagel schützen und gleichzeitig Strom erzeugen können. In einem anderen Projekt haben die Forscherinnen und Forscher farbige Solarmodule entwickelt, die sich unauffällig in Fassaden oder Glasdächer und Motorhauben von Autos integrieren lassen.

Kaum sichtbar: In die Motorhaube dieses Autos sind Solarzellen integriert. Foto: Fraunhofer/Piotr Banczerowski

Warum die Forschung an solchen eher unkonventionellen Einsatzgebieten so wichtig ist, hat mir der Wissenschaftler Harry Wirth erklärt. Er koordiniert beim Fraunhofer ISE die Forschung zu „Integrierter Photovoltaik“.

Herr Wirth, warum ist es wichtig, dass wir Solaranlagen nicht nur auf Dächern errichten?
Das hat mehrere Gründe: zum einen Geschwindigkeit. Dächer kann man mit Photovoltaik bestücken, wenn sie gebaut oder saniert werden. Bis das große Potenzial für Solarerzeugungen auf Gebäuden gehoben ist, wird es deshalb Jahrzehnte dauern. Die Klimakrise drängt aber; wir haben nicht mehr viel Zeit. Also müssen wir parallel auch andere Potenziale erschließen.

Was sind weitere Gründe?
Die Ausrichtung der PV-Module beeinflusst, wann sie wie viel Strom erzeugen. Module an Südfassaden liefern Strom beispielsweise gleichmäßiger über das Jahr verteilt als Aufdachanlagen. Und wenn sich die Module automatisch zur Sonne drehen, verteilt sich die Produktion besser über den Tag. Außerdem kann man wunderbar Synergieeffekte erzeugen. Indem man – wie auf dem Dach – mit kleinem Mehraufwand Strukturen nutzt, die ohnehin bestehen, etwa Lärmschutzwände. Oder indem man Strom erzeugt und gleichzeitig einen Zusatznutzen schafft, zum Beispiel für die Landwirtschaft.

Harry Wirth vom Fraunhofer ISE. Foto: Fraunhofer ISE

Wie können solche Synergieeffekte konkret aussehen?
In der Landwirtschaft kann die teilweise Verschattung durch Photovoltaikmodule verhindern, dass der Boden zu stark austrocknet. Außerdem konnten wir in einem Obstbauprojekt nachweisen, dass dank der PV-Module weniger Fungizide gebraucht werden, weil die Blätter besser gegen Regen geschützt sind. Ein anderes Beispiel ist schwimmende Photovoltaik. Sie kann helfen, die Verdunstung von Seen zu reduzieren. Gleichzeitig können die Module gekühlt vom Wasser etwas mehr Strom erzeugen. Und wenn man Photovoltaik an Bord von Elektrofahrzeugen einbaut, ist der Zusatznutzen ganz einfach: Sie müssen seltener an die Ladesäule.

Wenn es so vielversprechende Anwendungsmöglichkeiten gibt, warum sind Solarmodule auf Bahnschienen, in Obstplantagen und an Lärmschutzwänden noch so wenig verbreitet?
Neben der geringen Bekanntheit mancher Optionen und den komplexen Regularien ist der Hauptgrund sicher der Kostenaspekt. Solarmodule, die andere Formate und Farben haben, sind einfach teurer als das subventionierte Standardmodul aus China. Bei schwimmender Photovoltaik braucht man keine speziellen Module, allerdings machen Zusatzanforderungen wie die Verankerung die Systeme etwas teurer.

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Dafür bringen sie aber doch auch zusätzlichen Nutzen. 
Das stimmt. Den exakt gegen die Mehrkosten aufzurechnen, ist aber komplex. Also etwa: Welche Kosten für Pflanzenschutzmittel, Bewässerung und Schutzfolien spart der Obstbauer im Detail? An der Stelle braucht es einfach noch mehr Forschung, um den Wert der Synergien zu quantifizieren.

Herr Wirth, herzlichen Dank für das Gespräch!

Dieser Text ist zuerst am 3. November 2025 im Newsletter Handelsblatt Shift erschienen. Den Newsletter können Sie hier abonnieren.

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