1. Startseite
  2. Meinung
  3. Kolumnen
  4. EU-Kolumne: Der Krisenmodus der EU stößt an seine Grenzen

EU-KolumneAbgeordnete in Aufruhr: Der Krisenmodus der EU stößt an seine Grenzen

Die EU bewältigt Krisen mit einer Vielzahl von Notfallgesetzen ohne Einbeziehung des EU-Parlaments. Die Abgeordneten wollen sich das nicht mehr gefallen lassen.Christoph Herwartz 06.12.2022 - 10:09 Uhr Artikel anhören

Die EU-Kommission holt sich für ihre Vorschläge das Okay der Mitgliedstaaten, nicht aber die Zustimmung des EU-Parlaments.

Foto: dpa

Der Brief von Ursula von der Leyen kam nicht gut an. Kürzlich bot die Kommissionspräsidentin der Europäischen Union an, Abgeordnete des Europaparlaments besser über Entscheidungen in der Energiekrise zu informieren.

Mit einer „Kontaktgruppe“ aus Parlamentariern wolle die Kommission „den Dialog vertiefen“. Die Abgeordneten fühlten sich verschaukelt. Schließlich haben sie sich wählen lassen, um politische Entscheidungen zu treffen und nicht um über politische Entscheidungen informiert zu werden.

Doch bei der Bewältigung der Energiekrise haben die Volksvertreter bislang wenig Einfluss. Die EU-Kommission holt sich für ihre Vorschläge das Okay der Mitgliedstaaten, nicht aber die Zustimmung des EU-Parlaments. Die EU wächst gerade geopolitisch über sich hinaus bei Themen wie Rohstoffen, Russlandsanktionen und Energie und das Parlament steht dabei nur an der Seitenlinie.

Gedacht ist das so nicht. Gesetze werden in der EU eigentlich von zwei gleichberechtigten Gesetzgebern erlassen: dem Parlament und dem Rat. Im Parlament sitzen die Abgeordneten, die alle fünf Jahre bei der Europawahl gewählt werden. Im Rat sind die Regierungen der Mitgliedstaaten mit ihren Ministern oder Staatssekretären vertreten.

Bis sich diese beiden Machtzentren auf ein neues Gesetz geeinigt haben, können manchmal Jahre vergehen. Darum gibt es in Krisenzeiten eine Abkürzung: Wenn notwendig, kann der Rat auch allein entscheiden.

Das passiert derzeit ständig, etwa wenn es darum geht, Gas einzusparen, Gas gemeinsam einzukaufen oder Übergewinne von Energiekonzernen abzuschöpfen. Praktisch die gesamte Krisenreaktion der EU stützt sich auf ein Verfahren, bei dem das Parlament außen vor bleibt, festgelegt in Artikel 122 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union.

>> Lesen Sie auch: Noch sind die Speicher gefüllt: Drei Gründe, warum sich die Energiekrise 2023 verschärfen könnte

Je länger dieser Zustand andauert, desto weniger sind die Abgeordneten bereit, das hinzunehmen. Kürzlich feierte das Europaparlament seinen 70. Geburtstag und wurde in angemessener Weise als historisch einmalige Institution gepriesen. Nie zuvor haben Völker einen entsprechend großen Teil ihrer Souveränität an ein gemeinsames Parlament abgegeben.

Doch seine Mitglieder sehen diese Errungenschaft derzeit gefährdet. Manfred Weber (CSU), Chef der größten Fraktion im Parlament, sagte beispielsweise: „Wir sollten nicht weitermachen mit Gesetzesvorschlägen auf Basis von Artikel 122. Es hört sich technisch an, ist aber demokratisch sehr wichtig.“

Verwandte Themen Europäische Energiekrise Europäische Union EU-Kommission

Christoph Herwartz, Korrespondent im Handelsblatt-Büro in Brüssel, analysiert Trends und Konflikte, Regulierungsvorhaben und Strategiekonzepte aus dem Innenleben der EU. Denn wer sich für Wirtschaft interessiert, muss wissen, was in Brüssel läuft. Sie erreichen ihn unter: herwartz@handelsblatt.com

Foto: Handelsblatt

Solange Eile bei für die EU wichtigen Themen geboten ist, dringt das Parlament mit seinen Bedenken kaum durch. Derzeit lässt der Rat aber bei manchen Gesetzen kaum Zeitdruck erkennen. So wurde das Gesetz zur gemeinsamen Gasbeschaffung kürzlich um mehrere Wochen verschoben, obwohl es fertig ausgehandelt war. Der Grund: Einige Staaten blockierten einen Entschluss, um bei einem anderen Thema Fortschritte zu erzwingen.

Die im Vergleich zum Sommer deutlich entspanntere Versorgungssituation lässt solche politischen Manöver zu. Die Verzögerung verschlimmert die Krise nicht. Wenn das so ist, fehlt allerdings auch das zentrale Argument, das Parlament weiterhin nicht an der Krisenbewältigung zu beteiligen.

Mehr: EU-Kolumne: Bidens Wirtschaftsnationalismus fordert die EU heraus

Mehr zum Thema
Unsere Partner
Anzeige
remind.me
Jetziges Strom-/Gaspreistief nutzen, bevor die Preise wieder steigen
Anzeige
Homeday
Immobilienbewertung von Homeday - kostenlos, unverbindlich & schnell
Anzeige
IT Boltwise
Fachmagazin in Deutschland mit Fokus auf Künstliche Intelligenz und Robotik
Anzeige
Presseportal
Direkt hier lesen!
Anzeige
STELLENMARKT
Mit unserem Karriere-Portal den Traumjob finden
Anzeige
Expertentesten.de
Produktvergleich - schnell zum besten Produkt