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GeoeconomicsEuropas digitale Souveränität ist erreichbar, wird aber teuer

Ein Expertenteam hat errechnet, dass Europa mindestens 300 Milliarden Euro investieren muss, um ein eigenes technologisches Ökosystem – seinen „Tech-Stack“ – aufzubauen.Daniela Schwarzer 04.04.2025 - 11:51 Uhr Artikel anhören
Daniela Schwarzer ist Vorständin der Bertelsmann-Stiftung und verantwortet dort die Programme und Projekte zur Zukunft Europas sowie zu Demokratie und Zusammenhalt. Foto: Klawe Rzeczy, Bertelsmann Stiftung

Die Welt sortiert sich neu in Macht- und Einflusszonen – und Europa ringt mit nie da gewesener Dringlichkeit um seine digitale Souveränität. Denn diese entscheidet über seine geopolitische Handlungsfähigkeit, Sicherheit, Wettbewerbsfähigkeit und demokratische Resilienz.

Noch ist Europas Tech-Realität ernüchternd. Die EU importiert mehr als 80 Prozent ihres Technologiebedarfs aus dem Ausland. Der europäische Cloud-Markt etwa wird zu rund 70 Prozent von den US-Firmen Amazon, Microsoft und Google dominiert, die sensible Daten europäischer Unternehmen, Behörden und Bürger verwalten. In Zeiten geopolitischer Spannungen ist dies ein Sicherheitsrisiko.

Sehr wichtig ist es daher, dass die europäische Cloud-Community nach dem Scheitern von Gaia-X nun einen neuen Anlauf unternimmt gemeinsame Interoperabilitätsstandards zu erarbeiten, als konsequenten Schritt zu einer wertegeleiteten europäischen Cloud-Infrastruktur. Ebenso wichtig ist die Entwicklung von Künstlicher Intelligenz, Quantencomputing und eigenen Chips inklusive sicherer Lieferketten.

Weitere Aufgaben stehen auf der Liste: Europa braucht sichere Kommunikationsnetze – auf der Erde und im All. Angesichts des zunehmenden Risikos gezielter Störungen ist das europäische Satellitenkommunikationsnetz Iris², das bis 2030 sichere, verschlüsselte Verbindungen für Regierungen, Unternehmen und kritische Infrastrukturen bereitstellen soll, so wichtig.

Europäische Demokratien brauchen zudem eigenständige soziale Medien, die digitale demokratische Diskurse nach europäischen Standards ermöglichen. Derzeit prägen die Algorithmen von Meta, Tiktok und X unsere öffentliche Debatte. Ihre Geschäftsmodelle kontrollieren zudem ganze Daten-Ökosysteme – ohne Rücksicht auf europäische Interessen.

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Europas digitale Souveränität ist erreichbar, wird aber teuer. Ein Expertenteam um Francesca Bria und Martin Hullin hat errechnet, dass Europa mindestens 300 Milliarden Euro investieren muss, um ein eigenes technologisches Ökosystem – seinen „Tech-Stack“ – aufzubauen. Die Aufgabe ist so immens, weil lange zu wenige Entscheider in Europa ernsthaft mit dem Szenario arbeiteten, dass sich die transatlantischen Beziehungen in Konfrontation verkehren und gleichzeitig die Spannungen mit China steigen könnten.

China und die USA nutzen Dominanz

Heute nutzen China und die USA ihre technologische Dominanz, um Einfluss auf Wirtschaft, Sicherheit und Demokratie in Europa zu nehmen. Und der Tech-Wettlauf beschleunigt sich: Das neue chinesische KI-Modell Deepseek rivalisiert mit den besten US-Modellen, während das 500-Milliarden-Dollar KI-Projekt Stargate die globale Technologieführerschaft der USA ausbauen soll. In Europa wächst die Angst, zwischen den beiden Supermächten zerrieben zu werden.

Doch Angst ist kein guter Ratgeber. Europa braucht einen Perspektivwechsel. Der Weg zur digitalen Souveränität ist die Chance, zurück an die Spitze der globalen Technologielandschaft zu gelangen und dabei Innovationen zu fördern, die unseren Werten entsprechen: Tech-Souveränität ist Teil der europäischen Lebensweise.

Erste Umsetzungspriorität ist ein europäischer Technologiefonds, der innovative und skalierbare digitale Produkte „made in Europe“ fördert. Er würde öffentliche und private Mittel bündeln und Anreize für Folgeinvestments setzen.

Inspiration bieten Erfolgsmodelle wie die strategische Investitionspraxis der KfW oder Frankreichs Bpifrance. Das Kapital zielgerichtet in den Markt bringen könnten „Euro-Stack-Challenges“, offene Wettbewerbe, die innovative Projekte rasch zur Marktreife führen. Die öffentliche Beschaffung kann Anreize durch Quoten für europäische Dienstleiter setzen.

Deutschland hat alle Chancen

Auf dem Weg zum Euro-Stack spielt Deutschland als Europas führender Industriestandort eine entscheidende Rolle, dank seiner technologischen Expertise, seiner industriellen Basis und Finanzierungskraft. Deutsche Unternehmen können europäische Standards für digitale Produkte und Lösungen mit setzen und diese mit Partnern skalieren.

Wichtig ist, dass die neue Bundesregierung die Weichen richtig stellt. Es reicht nicht, dass Deutschland nationale Tech-Souveränität fördert, die europäisch anknüpfungsfähig ist. Gleiches gilt für Frankreich, das seit dem KI-Gipfel im Februar eine ambitionierte KI-Strategie vorantreibt, die gezielt Start-ups stärkt und ethische und regulatorische Standards voranbringen will. Deutschland und Frankreich können gemeinsam grenzübergreifende Datenräume, verknüpfte Industrien und ein wachsendes KI-Ökosystem als Kern der Europäischen Digitalen Infrastruktur entwickeln, in die sich andere Europäer einbringen können.

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Gelingt ein integriertes Vorgehen nicht, geht wertvolle Zeit verloren, weil später angeglichen werden muss und europäische Skalierung zu langsam und teuer wird. Daher unterstützt zu Recht eine parteiübergreifende Koalition im Europaparlament, dass ein europäischer Tech-Stack aufgebaut wird. Es ist höchste Zeit für diese Initiative, die in ihrer strategischen Bedeutung das europäische Binnenmarktprojekt überflügeln würde.

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