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Gastkommentar – Global ChallengesEuropa muss seine digitalen Systeme entamerikanisieren

IT-Konzerne aus den USA besitzen massenhaft Daten europäischer Firmen, Bürger und Behörden. Unter Trump wird das zur Schwachstelle, warnt Cyberexperte Sandro Gaycken. 04.04.2025 - 09:56 Uhr Artikel anhören
Der Autor: Sandro Gaycken ist Oxford University Fellow zu Cybersicherheit und Partner beim deutschen Verteidigungsfonds Mountain X. Foto: pr (google), Phoenix screenshot

Unsere digitalen Nervensysteme und ihre unsichtbaren Herrscher sind vor allem amerikanisch: Microsoft, Google, Amazon, Apple, Cisco,  Meta, Instagram, LinkedIn und so weiter – eine lange Liste. Durch die Kehrtwende des Trump-Regimes in der Außen- und Sicherheitspolitik folgen daraus fünf drastische Probleme.

Das erste Problem: Die USA haben uns den Datenschutz einseitig gekündigt. Trump hat bereits vor Wochen Schlüsselpersonen der Aufsichtsbehörde „Privacy and Liberties Oversight Board“ entlassen. Die Positionen werden möglicherweise mit Trump Loyalisten neu besetzt. Die Behörde überwacht die Einhaltung des Datenschutzabkommens zwischen der EU und den USA (EU-US Data Privacy Framework).

Aber Datenschutz braucht nicht nur einen Rechtsrahmen, sondern eine an Regeln gebundene und vertrauenswürdige Ausführung. Datenschutzverstöße oder massenweise Kopieren und Missbrauch unserer Daten in den Serverfarmen der USA sind für uns in Europa nicht überprüfbar. Genauso wenig können wir überprüfen, ob die Verschlüsselung tatsächlich unabhängig von einem möglichen Hauptschlüssel stattfindet, den die Amerikaner halten.

Die US-IT- und IT-Sicherheits-Konzerne besitzen bereits massenhaft sensible Daten aller Europäer, all unserer Konzerne, aus Forschung und Entwicklung, Handel, Politik, dem täglichen Leben jedes Bürgers. Das lässt sich nicht mehr ändern.

Bald stehen diese Daten vielleicht auch den Russen offen. Die „Normalisierung“ der Beziehungen zwischen Amerika und dem Kreml kann auch die Wiedereinführung der Kooperation zu Cybercrime zwischen den USA und Russland bedeuten, also einen Austausch von Daten zu „verdächtigen“ Personen und Prozessen. Wer dazu gehört, das definieren dann Russland und die USA.

Die USA können Europa digital erpressen

Das zweite Problem: Desinformation. Die russische Desinformation ist zweifelsfrei eine der Hauptursachen des Aufstiegs der neuen Rechten, eingeschlossen das Trump Regime. Desinformation ist aus dem Katalog der Katastrophen die mit Abstand größte und am meisten unterschätzte Bedrohung. Und unser europäischer Kampf dagegen ist nun ein großer Dorn im Auge der Amerikaner.

Die USA haben sich entschlossen, nicht gegen Desinformation im Netz vorzugehen. Das wird eine Flut aus Verschwörungen und AI-basierten Manipulationen nach sich ziehen. Vor allem aus Russland.

Das dritte Problem: Nicht nur unsere Daten, auch fast jeder IT-basierte Prozess ist abhängig von Trump. Denn jede Cloud, jede Software kann jederzeit aus Washington temporär bis dauerhaft abgeschaltet werden. Das macht uns hochgradig erpressbar.

Aber würde ein US-Präsident das nutzen? Absolut! Trump hat der Ukraine im Rahmen seiner „Verhandlungen“ bereits mit der Abschaltung von Starlink gedroht.

Kolumne „Global Challenges“
Die Idee

Das vierte Problem: Die Cyberfähigkeiten der USA waren ein unsichtbarer, aber wesentlicher Sicherheitsgarant für Europa. Sie haben Russland bislang davon abgehalten, Europa wegen seiner Unterstützung der Ukraine massiv durch Cybersabotage an kritischen Infrastrukturen unter Druck zu setzen.

Die Russen sind selbst umfangreich digitalisiert und die Logik der „Mutually Assured Disruption“ lautet: Schaltest Du mich ab, schalte ich Dich ab. Diese Fähigkeit zur Abschreckung hat aber nicht Europa, sondern das amerikanische Cybercommand.

Das wird den Europäern vermutlich nicht länger zuarbeiten. Und nicht nur das: Laut Medienberichten hat Trump bereits alle Operationen und sogar jede Planung für Operationen gegen Russland einstellen lassen.

Europa muss vorerst stillhalten und bei Trump schleimen

Das fünfte Problem: Die Aufklärung unserer Gegner war vom Hacking und Intelligence Sharing der USA abhängig. Auch das wird uns so nicht länger zur Verfügung stehen und als Verhandlungschip genutzt werden können.

Das sicherheitspolitische Risiko mangelnder oder falscher Informationen über die Absichten Russlands (und die der USA), ist gigantisch – es schließt den nächsten großen europäischen Landkrieg ein.

Was folgt aus all dem? Wir müssten in weiten Teilen dringend und sofort amerikanische Software, Clouds, Social Media, AI verbieten und durch souveräne europäische Versionen ersetzen.

Eine weniger drastische Alternative wäre ein selektiver Boykott von US-IT in Europa. Das könnte Europa als Druckmittel nutzen, um etwa eigenes, europäisches Personal in der amerikanischen Aufsichtsbehörde „Privacy and Liberties Oversight Board“ durchzusetzen, das vollen Zugang zu allen Bereichen erhält. Auch Europa könnte Erpressungspolitik nutzen. Zudem müssen wir umfangreicher und aggressiver eigene offensive Cyberfähigkeiten aufbauen.

Technisch und operativ wären beide Optionen möglich. Trotzdem sind sie völlig unrealistisch. Unseren Regierungen mangelt es chronisch an Führung in diesem Feld. Die Ministerialbürokratien dominieren das Thema und denken schön langsam und risikofrei in Prozessen statt an Lösungen. Die kommen – wenn überhaupt – immer viel zu spät und viel zu klein.

Solange sich das nicht ändert, bleibt uns nur ein Weg: stillhalten und bei Trump schleimen.

Der Autor: Sandro Gaycken ist Oxford University Fellow zu Cybersicherheit und Partner beim deutschen Verteidigungsfonds Mountain X. Er berät die Nato und die Vereinten Nationen in Sicherheitsfragen. 

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Erstpublikation: 03.04.2025, 04:03 Uhr.

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