1. Startseite
  2. Meinung
  3. Gastbeiträge
  4. Prof. Dr. Curt Diehm: Leben Langschläfer länger?

Expertenrat – Prof. Dr. Curt DiehmLeben Langschläfer länger?

Leistungsträger prahlen gerne damit, wie wenig Schlaf sie brauchen, um fit zu sein. Dabei ist ein kurzer Schlaf für die wenigsten von uns wirklich gesund.Curt Diehm 24.08.2018 - 15:00 Uhr Artikel anhören

Ob man Lerche oder Eule ist, hängt von der Jahreszeit ab, in der man geboren wurde.

Foto: dpa

Es befremdet mich jedes Mal aufs Neue, wenn ich Menschen in Gesellschaft prahlen höre, mit wie wenig Schlaf sie auskommen. „Mir reichen vier Stunden“ oder „vergangene Nacht habe ich durchgearbeitet“ sind solche Aussagen, mit denen die eigene Leistungsfähigkeit unter Beweis gestellt werden soll. Gerade Leistungsträger aus der Wirtschaft tendieren zu solcher Nabelschau.

Ich denke dann immer: Kinder, wenn ihr wüsstet, was ihr euch langfristig damit antut. Schlafstörungen, die oft schwer kuriert werden können, sind in diesen Fällen programmiert.

Dabei ist mangelnde Schlafqualität die inzwischen vielleicht schwerwiegendste gesundheitliche Problematik in Deutschland, wenn man Krebs, Infarkt und Schlaganfall einmal außen vorlässt. Jeder dritte Deutsche leidet unter Schlafstörungen. Das geht aus einer repräsentativen Forsa-Umfrage hervor. Frauen sind dabei häufiger betroffen als Männer.

Stress im Beruf, Nervosität und Aufregung sind oft die Ursachen von mangelhaftem Schlaf. Kein Wunder also, dass Manager unter Einschlaf- und Durchschlafstörungen in besonderem Maße leiden. Die Max Grundig Klinik hat in einer Umfrage schon 2014 in Erfahrung gebracht, dass mehr als die Hälfte der Führungskräfte in Deutschland mit ihrem Schlaf „unzufrieden“ beziehungsweise „sehr unzufrieden“ ist.

Das hängt mit dem modernen, fordernden Lebensstil zusammen, nicht mit organischen Ursachen. Dieses Problem hat sich in den vergangenen Jahren vermutlich eher weiter verschärft. Auch unsere Umfrage zeigte, dass Managerinnen stärker von Schlafproblemen betroffen sind als ihre männlichen Kollegen und ältere Führungskräfte häufiger als jüngere.

Expertenrat – Prof. Dr. Curt Diehm

„Forest Bathing“ – Der Wald als medizinische Allzweckwaffe

Die Deutschen schlafen heute generell viel weniger als früher. Waren es vor 100 Jahren im Schnitt noch neun Stunden, zeigen aktuelle Tabellen, dass sich derzeit nur noch ein Drittel der Bevölkerung zwischen sieben bis neun Stunden Schlaf gönnt. 57 Prozent der Bevölkerung hingegen schlafen nur noch zwischen fünf bis zu sieben Stunden pro Nacht. Deutschland ist zu einem Land der Frühaufsteher geworden.

Echte Kurzschläfer sind sehr selten

Auch wenn es keinen echten Richtwert gibt, wie viele Stunden ein Mensch schlafen sollte, lässt sich doch festhalten, dass wir im Schnitt zu wenig schlafen. Echte Kurzschläfer wie Napoleon, die wirklich nicht sechs und mehr Stunden Schlaf pro Tag brauchen, sind in jedem Fall äußerst selten.

Der schlechte Schlaf der Nation macht sich wirtschaftlich bemerkbar. Volkswirte schätzen, dass durch die erodierende Schlafqualität deutlich mehr als drei Prozent des Bruttosozialproduktes flöten geht. Die Folgen reichen von Produktionsausfällen bis zu krankheitsbedingten Ausfällen, von subjektiv schlechterer Leistungsfähigkeit und reduzierter Arbeit bis hin zu höherer Unfallhäufigkeit. Chronische Übermüdung schafft keine Wirtschaftsleistung.

Noch dramatischer sind die gesundheitlichen Auswirkungen des kollektiven Schlafentzugs. „Es häufen sich die Beweise, dass es einen starken Zusammenhang zwischen Schlafqualität einerseits und körperlicher sowie geistiger Gesundheit andererseits gibt“, berichtet Dr. Phyllisczee von der North Western University. Guter Schlaf hält also gesund.

Schlechter Schlaf begünstigt hingegen eine lange Liste von Gesundheitsrisiken. So verursachen Schlafstörungen beispielsweise viel häufig metabolische Probleme wie Übergewicht und Zuckerkrankheit. Schlafentzug über einen längeren Zeitraum löst fast zwangsweise Depressionen und andere psychische Krankheiten aus. Chronischer Schlafmangel kann das Leben um Jahre verkürzen.

Wer unter einem schlechten allgemeinen Gesundheitszustand leidet, muss in Erwägung ziehen, dass mangelnde Schlafqualität dafür verantwortlich ist. Menschen mit Angststörungen oder Depressionen leiden rund fünfmal so oft unter Schlaflosigkeit wie psychisch gesunde Menschen. Eine angeborene Herzschwäche verdoppelt nach neuesten Untersuchungen die Wahrscheinlichkeit, Probleme beim Ein- oder Durchschlafen zu entwickeln.

Eine bedeutende Rolle beim Schlaf spielt die „innere Uhr“, die nicht am Handgelenk sitzt, sondern in jeder Körperzelle. Die innere Uhr ist eine biologische Funktion und verändert sich im Laufe des Lebens. Sie wird heutzutage biologisch als so wichtig angesehen, dass gleich drei Wissenschaftler dafür zuletzt den Nobelpreis bekommen haben.

Sommerkinder werden eher zu Frühaufstehern

Die innere Uhr unterscheidet bekanntlich Lerchen und Eulen als Schlaftypen. Chronobiologische Untersuchungen haben jüngst gezeigt, dass Sommerkinder eher Frühaufsteher werden und Kinder, die im Winter geboren sind, eine „nach hinten verschobene Aktivität“ verzeichnen. Menschen sind gut beraten, wenn sie bei ihren Schlafzeiten die innere Uhr berücksichtigen.

Wer in eine andere Zeitzone fliegt, merkt sehr schnell, wie leicht die innere Uhr durcheinandergerät. Man fühlt sich schlecht und findet zur Nachtzeit keinen optimalen Schlaf. Der klassische Jetlag eben. Unsere innere Uhr sorgt dafür, dass wir biologisch gut funktionieren.

Auch die Umstellung von der Winterzeit auf die Sommerzeit und umgekehrt sehen Schlafforscher skeptisch. Jede Diskrepanz zwischen äußerer Zeit und innerer Uhr definieren sie als „sozialen Jetlag“. Und das ist eindeutig gesundheitsschädlich!

Immer wenn man einen Wecker braucht, hat man nicht zu Ende geschlafen. Die Reparationsvorgänge, die in der Nacht ablaufen, wurden also nicht abgeschlossen. Aufwachen vor dem Alarm des Weckers bedeutet aber noch lange nicht, dass der gute Schlaf zu Ende ist, mahnt der Münchener Schlafbiologe Professor Till Rönneberg. Am meisten versündigen wir uns an unseren Kindern, die wir zu viel zu früher Zeit in die Schule schicken.

Der Mond hat mit der Qualität unseres Schlafes übrigens nichts zu tun. Das gilt heute als evidenzbasiert, und dass der Mond unseren Schlaf beeinflusst, gehört also ins Reich der Mythen.

In Zusammenhang mit gesundem Schlaf ist die obstruktive Schlafapnoe besonders gefährlich. Dabei kommt es während der Nachtruhe immer wieder zu Atemaussetzern. Häufige Symptome sind Schnarchen und Tagesmüdigkeit. Nach einer längeren Atempause kommt es zu einem Schnappen nach Luft, das im Gehirn einen Weckreflex auslöst.

Verwandte Themen Deutschland

Das Blut wird mit zu wenig Sauerstoff versorgt. Der Kohlendioxydgehalt im Blut steigt an. Auch der Blutdruck kann bei Schlafapnoe in der Nacht krisenartig zunehmen. Krisenhafte Blutdruckanstiege durch Schlafapnoe sind medikamentös schlecht zu beherrschen, und solche Blutdruckkrisen können ein typisches Symptom für eine Atemregulationsstörung sein.

Wir lernen also: Eine ruhige, erholsame Nacht ist viel seltener, als wir glauben.

Curt Diehm ist ärztlicher Direktor der auf Führungskräfte spezialisierten Max-Grundig-Klinik. Der Internist lehrt zudem als außerplanmäßiger Professor an der Universität Heidelberg und ist Autor von über 200 wissenschaftlichen Originalpublikationen sowie vielen Sachbüchern. Foto: Handelsblatt
Mehr zum Thema
Unsere Partner
Anzeige
remind.me
Jetziges Strom-/Gaspreistief nutzen, bevor die Preise wieder steigen
Anzeige
Homeday
Immobilienbewertung von Homeday - kostenlos, unverbindlich & schnell
Anzeige
IT Boltwise
Fachmagazin in Deutschland mit Fokus auf Künstliche Intelligenz und Robotik
Anzeige
Presseportal
Direkt hier lesen!
Anzeige
STELLENMARKT
Mit unserem Karriere-Portal den Traumjob finden
Anzeige
Expertentesten.de
Produktvergleich - schnell zum besten Produkt