Expertenrat – Kevin Kühnert: Schwangere Frauen werden in Deutschland kriminalisiert – warum dulden wir das?

Die Paragraphen 218 und 219 des Strafgesetzbuches stehen für Unsicherheit, Stigmatisierung und Kriminalisierung.
Dieser Tage wird im politischen Berlin eine Entscheidung fallen, auf die zahlreiche Frauen sowie Ärztinnen und Ärzte sehnsüchtig warten. Der jahrelang weitgehend unbeachtete Paragraf 219a des Strafgesetzbuchs – seit einiger Zeit ein beliebtes Druckmittel rechter Denunzianten – steht zur Disposition.
Er verbietet Ärzten faktisch, die Öffentlichkeit über die von ihnen angebotene medizinische Leistung des Schwangerschaftsabbruchs zu informieren. Die SPD will den Paragrafen streichen, die Union will ihn behalten. Noch im Herbst soll es eine Lösung geben. Die Zeit drängt.
Aufgrund der wackeligen und letztlich auch nervenaufreibenden Rechtslage bieten immer weniger Mediziner die Leistung an. Ganze Regionen sind nicht mehr versorgt, etwa in Niederbayern. Andernorts arbeiten Ärzte über den Ruhestand hinaus weiter, um die Versorgung sicherzustellen. Die Leidtragenden sind die schwangeren Frauen.
Doch Paragraf 219a ist nur der Aufhänger für einen Konflikt, der zwar notdürftig befriedet, doch letztlich nur in die Zukunft vertagt wurde. Es geht im Kern um die Frage, ob diese Gesellschaft Frauen im Rahmen ihrer körperlichen Selbstbestimmtheit das Recht auf Abtreibungen zuspricht – und, wenn ja, in welchem Rahmen.
Wussten Sie, dass Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland illegal sind? Ich stelle in Gesprächen über dieses Thema immer wieder fest, dass das vielen nicht bewusst ist. Schließlich finden doch Abbrüche statt. Und schon 1971 titelte der „Stern“ im Namen von 374 Frauen: „Wir haben abgetrieben!“
Frauen unter Druck
Doch der Abbruch bleibt illegal, mag er auch unter bestimmten Bedingungen straffrei sein. Verantwortlich dafür ist Paragraf 218 im Strafgesetzbuch. Dort heißt es in charmantestem Gesetzesdeutsch unter anderem: „Begeht die Schwangere die Tat, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.“
Allen anschließenden Einschränkungen zum Trotz können sich Menschen mit einem Restbestand an Empathie eventuell vorstellen, was Frauen empfinden, die über einen Abbruch nachdenken und diese Worte lesen. Es muss gruselig sein.
Doch damit nicht genug: Vor Arztpraxen, in denen Abbrüche vorgenommen werden, warten regelmäßig selbst ernannte „Lebensschützer“ mit Holzkreuzen und Flyern, um Betroffene zu drangsalieren.
Und wer in Suchmaschinen nach „Abtreibung“ sucht, der landet schnell bei christlichen Fundamentalisten und anderen Scharlatanen, die nicht objektiv informieren, sondern vielmehr missionieren wollen. All das, verbunden mit einer Frist von nur zwölf Wochen nach der sogenannten „Empfängnis“, setzt Frauen massiv unter Druck. Das muss aufhören.
Der Bundeskongress der Jusos hat deshalb am vorvergangenen Wochenende gefordert, die Paragrafen 218 und 219 zu streichen. Sie stehen für Unsicherheit, Stigmatisierung und Kriminalisierung. Wer das nicht möchte, der tut gut daran, das Thema Schwangerschaft aus der Geiselhaft des Strafgesetzbuchs zu befreien.
Es gehört vielmehr in das Schwangerschaftskonfliktgesetz, das nach reiflicher Debatte neu zu fassen ist. Dafür hat mein Verband sich ausgesprochen, verbunden mit der Forderung nach einer Frist für Abbrüche, die deutlich großzügiger sein muss als zwölf Wochen. Und wir haben von dieser Forderung nichts zurückzunehmen.
Shitstorm und Drohungen
Was daraufhin folgte, war mehr als nur ein Shitstorm. Rechtsradikale jedweder Couleur tragen seither die Lüge in die Welt, die Jusos wollten Abbrüche bis in den neunten Schwangerschaftsmonat ermöglichen. Nichts dergleichen wollen wir, nichts dergleichen haben wir beschlossen.
Es mag naiv von uns gewesen sein zu glauben, man könne die Zurücknahme der geltenden Regeln fordern, ohne gleichzeitig einen konkreten Vorschlag zu unterbreiten, wie diese künftig aussehen sollen. Diesen Vorwurf lasse ich gelten.
Uns ging es darum, in einer sensiblen ethischen Frage klar Position zu beziehen und gleichzeitig Raum für die notwendige Diskussion zu bieten. Das ist gescheitert, weil die politische Rechte mit widerlichsten Methoden reagiert hat. Desinformation wurde betrieben, private Telefonnummern wurden zur Einschüchterung veröffentlicht, vereinzelte Morddrohungen liefen auf. Das sind also die Methoden von Leuten, die vorgeben, den Schutz des Lebens im Sinn zu haben. Es ist ein erbärmlicher Offenbarungseid.

Sogenannte „Lebensschützer“ haben keine hehren ethischen Ziele im Sinn. Sie schützen vor allem ohne Rücksicht auf Verluste eines: ihr zutiefst frauenverachtendes Weltbild. Und damit sollte sich, bei aller Sensibilität der Debatte, niemand solidarisieren.






