1. Startseite
  2. Meinung
  3. Kolumnen
  4. Geoeconomics: Die Errungenschaften der Ampel sind nur ein zaghafter Anfang

GeoeconomicsDie Errungenschaften der Ampel sind nur ein zaghafter Anfang

Misst man die Außenpolitik der Ampel daran, wie sehr sie sich seit dem Ende der Merkel-Ära neu aufgestellt hat, so hat diese Koalition viel erreicht. Es ist allerdings noch nicht genug.Jana Puglierin 31.08.2023 - 10:32 Uhr
Artikel anhören

Dr. Jana Puglierin ist Head of Office and Senior Policy Fellow am European Council on Foreign Relations (ECFR).

Foto: Handelsblatt

„Ob es uns gefällt oder nicht, wir leben in interessanten Zeiten“, könnte man in Anlehnung an Bobby Kennedy zur deutschen Außenpolitik anlässlich der Halbzeit der Legislaturperiode sagen. Noch im Wahlkampf spielte die Welt vor unserer Haustür so gut wie keine Rolle. Wenn das Verhältnis zu China oder Russland doch mal zur Sprache kam, war eine grundlegende Revision der deutschen Politik das Letzte, was Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wollte.

Es ist wichtig, dies bei einer Halbzeitbilanz der deutschen Außenpolitik im Hinterkopf zu behalten: Die „Zeitenwende“ war zum Zeitpunkt von Scholz’ Rede im Februar 2022 kein durchdachtes außenpolitisches Arbeitsprogramm, sondern etwas, das der Kanzler „beobachtete“ und auf das es zu reagieren galt.

Der Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine, den viele im politischen Berlin nicht haben kommen sehen (wollen), hat die Bundesregierung buchstäblich über Nacht gezwungen, sich von Grundannahmen und Handlungsmaximen zu verabschieden, mit denen Deutschland jahrzehntelang gut gefahren war.

Als exportorientierte und auf Globalisierung angewiesene Handelsnation, die sich immer noch in erster Linie als „Zivilmacht“ verstand, hatte Deutschland von der regelbasierten internationalen Ordnung und der Friedensdividende über Jahrzehnte enorm profitiert – und dabei zu wenig verstanden, dass das internationale System schon weit vor dem 24. Februar 2022 immer stärker von geopolitischem Wettbewerb geprägt war.

In diesem Sinne sind die außenpolitischen Weichenstellungen der Ampelkoalition vor allem als nachholende Entwicklung zu sehen. Misst man die Außenpolitik der Ampel daran, wie sehr sie sich seit dem Ende der Merkel-Ära neu aufgestellt hat, so hat diese Koalition viel erreicht.

Gefühl der Dringlichkeit hat abgenommen

Nach Dekaden der Vernachlässigung hat sie mit dem Sondervermögen zumindest die Grundlage dafür geschaffen, die Mangelwirtschaft in der Bundeswehr zu beenden. In weniger als einem Jahr hat sie die militärische Ausrüstung der Ukraine von Helmen auf Kampfpanzer hochgefahren und ist inzwischen zweitgrößter Geberstaat.

Der Beginn des russischen Angriffskrieges hat die Bundesregierung gezwungen, sich von Grundannahmen zu verabschieden, mit denen Deutschland jahrzehntelang gut gefahren war.

Foto: IMAGO/Chris Emil Janßen

Sie hat die Energieabhängigkeit von Moskau erfolgreich beendet und benennt Russland als größte Bedrohung für Frieden und Sicherheit. In der Chinastrategie findet sich eine überraschend deutliche Beschreibung der systemischen Rivalität zu Peking. Auch hat die Ampelregierung den Blick über den außenpolitischen Tellerrand massiv geweitet und in Afrika, Lateinamerika und Asien neue Partner gesucht.

Je mehr Zeit nach dem Beginn des Krieges gegen die Ukraine allerdings ins Land ging, ohne dass Moskau weitere große Geländegewinne machen konnte, desto schwächer wurde in Berlin das Gefühl der Dringlichkeit für die Notwendigkeit einer außenpolitischen Neuaufstellung. Am deutlichsten sieht man dies im Haushaltsentwurf für 2024, dem letzten regulären Haushalt vor dem Wahljahr 2025.

Legt man diesen neben die neue nationale Sicherheitsstrategie, so stellt man fest, dass die Bundesregierung künftig mehr Sicherheit und eine engagiertere Außenpolitik für insgesamt weniger Geld erreichen möchte.

>> Lesen Sie hier: Verfolgen Sie alle Entwicklungen im Ukrainekrieg im Newsblog

„More for less“, das kennt man sonst nur aus der Werbung. Auch hatte man in den vergangenen Monaten öfter das Gefühl, die deutsche Außenpolitik gleiche der Echternacher Springprozession: Drei Schritte vor und zwei zurück. Besonders eklatant war das bei der Debatte um die Lieferung neuer Waffensysteme in die Ukraine, aber auch mit Blick auf die chinesische Beteiligung am Hamburger Hafen oder die Dynamik bei den deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen.

Kein Zurück zum Status quo ante

Die vergangenen 18 Monate haben gezeigt, wie schwer es den handelnden Akteuren fällt, Politik auf Grundlage einer Realität zu denken, die nicht diejenige der eigenen Sozialisation ist – und die für die Bundesrepublik vor allem wesentlich unangenehmer ist als diejenige, in der das russische Gas billig, die Sicherheitsgarantie der USA verlässlich und Chinas Exportmarkt vor allem vielversprechend war.

Dennoch gibt es für Deutschland kein Zurück zum Status quo ante. Die internationalen Umbrüche lassen sich nicht aufhalten oder umkehren. Deutschland wird zukünftig mehr als jemals zuvor seit dem Ende des Kalten Krieges zum Garanten von Sicherheit in Europa werden müssen.

>> Lesen Sie hier: Keine Rezession mehr, Euro-Zone hängt Deutschland ab

Es muss ein Wirtschaftsmodell entwickeln, das in einer Welt Wohlstand produziert, die von zunehmender Fragmentierung und Großmachtrivalität geprägt ist und in der Abhängigkeiten als Waffe eingesetzt werden können. Nimmt man diese Herausforderungen als Maßstab für die „Zeitenwende“-Politik der Regierung, so können die Weichenstellungen der ersten Halbzeit allenfalls ein zaghafter Anfang sein.

Verwandte Themen Deutschland Ukraine Olaf Scholz Berlin Russland Außenpolitik

Die Autorin:
Jana Puglierin ist Head of Office and Senior Policy Fellow am European Council on Foreign Relations (ECFR).

Mehr: Ampel entlastet Wirtschaft um sieben Milliarden Euro

Mehr zum Thema
Unsere Partner
Anzeige
remind.me
Jetziges Strom-/Gaspreistief nutzen, bevor die Preise wieder steigen
Anzeige
Homeday
Immobilienbewertung von Homeday - kostenlos, unverbindlich & schnell
Anzeige
IT Boltwise
Fachmagazin in Deutschland mit Fokus auf Künstliche Intelligenz und Robotik
Anzeige
Presseportal
Direkt hier lesen!
Anzeige
STELLENMARKT
Mit unserem Karriere-Portal den Traumjob finden
Anzeige
Expertentesten.de
Produktvergleich - schnell zum besten Produkt