Globale Trends: Der Westen passt sich nicht ausreichend an den Klimawandel an

An der Ahr warten wohl zwei Jahre nach der Flutkatastrophe viele Familien noch immer auf ihre Entschädigung.
Kann man sich an ein Leben in der Hölle anpassen? Die Frage ist nur scheinbar absurd. UN-Generalsekretär Antonio Guterres hat die jüngste UN-Generalversammlung mit dramatischen Worten eröffnet: „Die Menschheit hat mit klimaschädlichen Aktivitäten das Tor zur Hölle aufgestoßen.“ Doch die „Anpassung an die nicht mehr abwendbaren Folgen des Klimawandels“ gehört seit 30 Jahren zum Standardrepertoire der Klimapolitik.
Einige der jüngsten Ereignisse legen den Schluss nahe, dass die Zeit kaum genutzt wurde, um sich vorzubereiten. In den USA lehnen Versicherer es ab, bestimmte Extremwetterrisiken noch abzusichern. In Frankreich gelten mittlerweile 21.500 Kommunen (zwei Drittel aller Gemeinden) als gefährdet durch Flüsse, die über die Ufer treten, wie es vom Ministerium für Umwelt, nachhaltige Entwicklung und Energie in Frankreich heißt. 1500 Gemeinden seien demnach von Meereshochwasser bedroht. Allein das betreffe 1,4 Millionen Franzosen.
In Deutschland kommt die jüngste Expertenstudie im Auftrag der Bundesregierung zu dem Ergebnis, dass allein die unmittelbaren Kosten durch Schäden infolge des Klimawandels in Deutschland sich in den nächsten 25 Jahren auf 900 Milliarden Euro addieren könnten, vor allem durch Hochwasser. Das wäre fast ein Drittel dessen, was Deutschland in einem Jahr an Gütern und Dienstleistungen erstellt.
Ideen dafür, widerstandsfähiger zu werden gegen Extremwetterereignisse wie Starkregen, Hitze und Trockenheit, gibt es genug. Der Kieler Klimaforscher Mojib Latif nennt einige: „Die Städte sind nicht ‚hitzefest‘, mehr Grün- und Wasserflächen würden helfen.“
Weniger Versiegelung oder zumindest sie nicht mehr auszuweiten wäre auch wichtig. Begrünte Dächer können die Auswirkungen von Starkregen abmildern, die Flüsse müssen wieder mehr Überflutungsflächen bekommen, was auch bedeutet, dass man nicht überall bauen sollte.
Sorge vor Wertverlust
Doch schon an dieser recht überschaubaren Aufgabe scheitert Deutschland. „In den letzten 20 Jahren haben wir rund 32.000 Häuser in extrem überschwemmungsgefährdeten Gebieten gebaut“, stellt Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbands der Versicherer (GDV), fest. Weiterhin werden jedes Jahr 1500 bis 2000 Gebäude in Lagen errichtet, die als hochwassergefährdet ausgewiesen sind.

Handelsblatt-Autor Thomas Hanke analysiert in der Kolumne interessante Daten und Trends aus aller Welt.
Und diese Liste ist längst nicht mehr aktuell: Die Politik schreckt vor einer realistischen Bestandsaufnahme zurück, weil die Kennzeichnung einer Fläche oder eines Hauses als Risikozone sofort zum Wertverlust führen kann.
Verzicht auf Handeln schützt aber nicht vor bösen Folgen: „Eine Versicherung alleine verhindert keinen Schaden“, warnt Asmussen: „Bislang sehen wir zu wenig Bemühungen bei Bund, Ländern und Kommunen, präventive und risikomindernde Maßnahmen in der Fläche gesetzlich zu verankern und einzufordern.“
Ohne konsequente Klimafolgenanpassung könnten sich die Prämien für Wohngebäudeversicherungen in zehn Jahren verdoppeln. Und an der Ahr warten zwei Jahre nach der Flutkatastrophe viele Familien noch immer auf ihre Entschädigung, wie etwa der „SWR“ berichtet.
Selbst unsere hochentwickelten Gesellschaften sind bislang nicht dazu in der Lage, die Folgen des Treibhauseffekts abzuwettern. Doch das ist kein Grund für Schicksalsergebenheit. Für die Anpassung gilt dasselbe wie für die Verhinderung weiterer Erderwärmung: „Wir haben alle Werkzeuge zur Verfügung, um schneller voranzukommen“, wie die Internationale Energieagentur (IEA) am Dienstag mitteilte.
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Noch könne die Welt 2050 netto CO2-neutral werden. Dafür ist allerdings mehr Ambition notwendig und nicht weniger, wie sie jetzt die Bundesregierung zeigt. Abwarten steigert die Kosten, sagt die IEA. Und es bringt uns näher an das „Tor zur Hölle“.
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