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Globale TrendsEpidemie mit gravierenden Folgen: Deutschland muss dringend etwas gegen Adipositas tun

Starkes Übergewicht gefährdet die Gesundheit. In den USA fordern Kinderärzte nun ein aktives Vorgehen gegen ungesunde Ernährung. Hierzulande dagegen wird das Problem fatalerweise noch ignoriert.Thomas Hanke 15.03.2023 - 11:23 Uhr Artikel anhören

Handelsblatt-Autor Thomas Hanke analysiert in der Kolumne interessante Daten und Trends aus aller Welt.

Foto: Klawe Rzeczy

Ein Herz für ungesunde Ernährung? Die FDP sträubt sich gegen Cem Özdemirs Vorschlag, Werbung für dick machende Lebensmittel einzuschränken, die gezielt Kinder anspricht. Die Liberalen werten den Vorstoß des Ernährungs- und Landwirtschaftsministers als Einschränkung des freien Bürgerwillens. Sie stehen damit in einer schlechten deutschen Tradition. Hierzulande brauchte man schon immer etwas länger, um Übergewicht als ernstes Problem der Volksgesundheit anzuerkennen und nicht als private Vorliebe.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat Adipositas, starkes Übergewicht mit einem Body-Mass-Index über 30 – Körpergewicht geteilt durch Körpergröße in Meter (zum Quadrat) –, bereits 1948 in ihren Katalog der Krankheiten aufgenommen. Deutschland benötigte ein wenig mehr Zeit, genau genommen 72 Jahre, bis der Bundestag nachzog.

Die WHO warnte im vergangenen Jahr, in Europa sei Adipositas zu einer Epidemie mit gravierenden Folgen geworden: Diabetes Typ 2, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Schädigungen der Gelenke. „Jedes Jahr sterben über vier Millionen Menschen an den Folgen von Übergewicht oder Fettleibigkeit“, schreibt die WHO. Von 1975 bis 2016 habe sich der Anteil übergewichtiger oder fettleibiger Kinder und Jugendlicher im Alter von fünf bis 19 Jahren weltweit von vier auf 18 Prozent mehr als vervierfacht.

Krankenkassen erstatten wirksame Medikamente nicht

Jeder siebte Todesfall in Deutschland ist laut Daten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) auf ungesunde Ernährung zurückzuführen, warnt Özdemirs Ressort. Überdurchschnittlich oft trifft es die Unterschicht. „Rund 15 Prozent der Drei- bis Siebzehnjährigen in Deutschland sind übergewichtig, darunter knapp sechs Prozent adipös“, informiert das Ministerium. Kinder äßen doppelt so viel Junkfood, Snacks und Süßigkeiten, aber nur halb so viel Obst und Gemüse wie empfohlen.

Doch unser Gesundheitswesen will es immer noch nicht wahrhaben. Die Krankenkassen binden eine Behandlung wie eine Ess- oder Bewegungstherapie für stark Übergewichtige oft an Bedingungen, die vorab erfüllt werden müssen, oder zahlen nicht.

>> Lesen Sie hier auch: Kampf gegen Volkskrankheit Adipositas: Welche Aktien profitieren könnten

Noch restriktiver geht es bei den neuen Medikamenten zu, die aus der Diabetes-Therapie kommen. Sechs von ihnen hat die Europäische Arzneimittel-Agentur (Ema) mittlerweile zur Adipositas-Behandlung zugelassen. Unter ärztlicher Betreuung und mit veränderter Ernährung verbunden weisen sie sehr gute Erfolgsquoten auf.

Doch in Deutschland weigern sich die Krankenkassen, die Kosten zu erstatten. Diese Arzneimittel seien „als Teil der sogenannten Lifestyle-Regelung von der Leistungspflicht der GKV ausgeschlossen“, teilt der GKV-Spitzenverband der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen mit. Adipositas als Lifestyle?

Bei Preisen zwischen 300 und 1000 Euro für eine Monatsdosis können Patienten die Kosten allein kaum schultern. „Die fehlende Kostenübernahme erschwert die evidenzbasierte Behandlung enorm“, kritisiert Professor Jens Aberle, Präsident der Deutschen Adipositas-Gesellschaft.

Sie wäre teuer. Doch die ausbleibende rechtzeitige Behandlung führt zu Milliardenkosten für die Solidargemeinschaft, vor allem durch Folgeerkrankungen. „Die gesamtgesellschaftlichen direkten und indirekten Kosten von Adipositas werden in Deutschland auf 63 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt“, stellt das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) fest.

In den USA wurde lange eine ähnlich restriktive Politik gefahren wie in Deutschland. Anfang des Jahres hat sich das geändert: Da veröffentlichte der Amerikanische Verband der Kinderärzte umfassende neue Richtlinien für die Adipositas-Behandlung.

Die amerikanischen Kinderärzte kritisieren das Marketing für Lebensmittel, die Kinder dick machen, lehnen die bislang lediglich beobachtende Vorgehensweise ab und geben einen aktiven Behandlungsansatz vor. Der umfasst eine veränderte Ernährung, körperliche Aktivität, Verhaltenstherapie, Arzneimitteltherapie sowie metabolische und gewichtsbezogene Chirurgie.

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Vielleicht trägt Özdemirs Vorschlag dazu bei, auch in Deutschland aktiver gegen Adipositas vorzugehen.

Mehr: Diabetes, Adipositas, Fettleber, Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Eli Lilly setzt auf Spritze gegen Wohlstandskrankheiten

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