Globale Trends: Mobile Arbeitskräfte – die verkannte Stärke der EU

Offene Grenzen für EU-Bürger, die in einem anderen europäischen Land arbeiten wollen, sind eine der wichtigsten Freiheiten in der Union. Lange schien dies Symbolik zu sein, denn die Mobilität von Arbeitskräften war gering. Inzwischen aber nutzen rund zehn Millionen Menschen diese Möglichkeit.
Deutschland profitiert besonders davon: Die Bundesrepublik ist laut dem jüngsten Bericht über Arbeitsmobilität mit 3,4 Millionen Menschen aus anderen EU-Staaten das größte Empfängerland. Die mobilen Arbeitskräfte machen mehr als sechs Prozent aller Personen im Erwerbsalter in der Bundesrepublik aus – das stärkt das aufgrund der demografischen Entwicklung schwindende Arbeitskräftepotenzial. Im EU-Schnitt sei die Beschäftigungsquote der Mobilen mit 77 Prozent etwas höher als die der Einheimischen, heißt es im Bericht.
Vor 30 Jahren noch suchten so wenige Beschäftigte einen Job irgendwo anders in der EU, dass Ökonomen am Funktionieren des Binnenmarkts und der bevorstehenden Währungsunion zweifelten. Denn ein einheitlicher Wirtschaftsraum funktioniert nur dann gut, wenn bei einer Krise in einer Region arbeitslos werdende Menschen die Möglichkeit haben, anderswo ihr Glück zu versuchen.
Wenn Bürger nicht aus einer Krisenregion abwandern können und boomende Länder keine Arbeitskräfte finden, setzen sich Wohlstandsgefälle fest – die durch Transferzahlungen ausgeglichen werden müssen. Wachstumschancen gehen so verloren.
Mittlerweile hat sich die Mobilität der Arbeitskräfte in einigen EU-Staaten laut dem europäischen Statistikamt Eurostat im Vergleich zu 1995 um den Faktor vier oder mehr gesteigert. Viermal so viele Deutsche und mehr als doppelt so viele Franzosen wie vor 28 Jahren leben und arbeiten heute regelmäßig in einem anderen EU-Staat. Noch deutlich höher wären die Werte, wenn man auch Grenzgänger einbeziehen würde, also beispielsweise Franzosen, die in Luxemburg arbeiten, aber in Frankreich wohnen.
Arbeitnehmer werden immer mobiler
Ungleich viel höher ist die Steigerung bei Ländern, die erst seit 2004 oder 2007 zur EU zählen. Fünfmal so viele Ungarn im erwerbstätigen Alter, zwanzigmal so viele Bulgaren wie 1995 lebten 2023 in einem anderen EU-Land. Im Fall von Rumänien gibt es gar eine Zunahme um den Faktor 34. In beiden Ländern wirkt ein starker Nachholeffekt, weil sie erst 2007 zur EU gestoßen sind.
Die Maßnahmen gegen die Covidpandemie ließen die Mobilität zwar abrupt sinken. Doch mittlerweile ist sie sogar höher als vor der Pandemie.
Zu den Gegnern der Freizügigkeit zählen rechte Parteien wie Frankreichs Rassemblement National oder hierzulande die AfD, die Grenzen wieder schließen oder EU-Ausländer in den Sozialsystemen diskriminieren wollen. Dazu kommen gemäßigte Kritiker mit ganz anderen Motiven: Sie warnen vor einem Braindrain infolge des Wegzugs von Arbeitskräften. Den betroffenen Ländern gingen kostbare Talente verloren.


Die EU-Kommission stellt aber fest, dass es sich nicht mehr wie noch bei den „Gastarbeitern“ der 1960er-Jahre um eine endgültige Migration – oder eine zumindest bis zur Rente – handelt, sondern meist um eine Kreisbewegung: Die allermeisten Menschen kehren nach ein paar Jahren, bereichert um wertvolle Berufserfahrung, in ihre Heimat zurück. 2023 gab es 860.000 neue EU-Abwanderer, denen 660.000 Rückkehrer gegenüberstanden.
Spanien, in den 1960er- und 1970er-Jahren noch ein Auswanderungsland, zählt heute zu den EU-Staaten mit den meisten Zuzügen. Dasselbe gilt für Italien. Beide Länder haben ihre EU-Mitgliedschaft genutzt, um den Wohlstand so weit zu steigern, dass sie heute Arbeitskräfte aus dem Ausland anziehen.
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