Kolumne „Inside America“: Wo Kalifornien weit hinter Deutschland zurückbleibt
Weihnachten bei Kerzenschein? Über 24.000 Haushalte in und um San Francisco hatten in diesem Jahr keine andere Wahl. An Heiligabend und den Feiertagen fegten mehrere Stürme über Nordkalifornien, die immer wieder auch Strommasten umbliesen.
Unser Stadtteil im Süden der Stadt blieb glücklicherweise verschont. Bislang zumindest, denn während ich diese Kolumne schreibe, tobt draußen schon wieder der Wind. Die oberirdischen Stromkabel, die von der Straße zu jedem Haus führen, tanzen mit jeder Böe vor dem Fenster. In den meisten europäischen Metropolen wäre eine derart anfällige Infrastruktur kaum vorstellbar.
In Kalifornien hatte man in den vergangenen 50 Jahren offenbar andere Prioritäten. Die Strompreise sind hier zwar doppelt so hoch wie in anderen US-Bundesstaaten. Doch die Qualität der Energieinfrastruktur ist vielerorts vergleichbar mit der von Entwicklungsländern.
Kunden des Versorgers Pacific Gas & Electric Company mussten im vergangenen Jahr durchschnittlich rund fünf Stunden ohne Strom auskommen. In Deutschland waren es nur knapp zwölf Minuten.
Selbst der immense Wohlstand San Franciscos hat sich bislang nicht in der Basisinfrastruktur der Stadt niedergeschlagen. Viele Straßen zwischen Golden Gate Bridge und Dolores Park bestechen hier durch elegante Häuser im viktorianischen Stil. Hinter den Holzfassaden findet sich jedoch mitunter Technik, die in anderen Ländern längst auf dem Index steht.
Zu diesem Fest hat es die Einwohner der Stadt gleich doppelt getroffen. Nur wenige Tage vor Weihnachten mussten sie bereits einen besonders großen Stromausfall ertragen. Ein Feuer in einem Umspannwerk schnitt Hunderttausende Menschen von der Energieversorgung ab.
Spannung zwischen Low Tech und High Tech
Zum Teil dauerte es mehr als zwei Tage, bis ihre Kühlschränke, Fernseher oder Elektroheizungen wieder ansprangen. Im Lokalfernsehen klagten Bürger über verdorbene Weihnachtsbraten oder auslaufende Eiscreme, die sie für die Feiertage besorgt hatten. Senioren konnten mitunter ihre Wohnungen nicht verlassen, da sie ohne Aufzug nicht zum Ausgang gelangten.
Wenig Trost bot dabei die Erkenntnis, dass es vor 20 Jahren schon einmal zu einem ähnlichen Vorfall in demselben Umspannwerk gekommen war. Offenbar haben die Verantwortlichen kaum etwas daraus gelernt.
Die Spannung zwischen Low Tech und High Tech war selten so sichtbar. Waymo, der Robotaxidienst des Google-Mutterkonzerns Alphabet, musste wegen des Ausfalls etwa ganz den Betrieb einstellen. Ohne Ampelsignale streikten die mit Hochleistungscomputern ausgestatteten Fahrzeuge und mussten per Fernsteuerung einzeln ins Depot gefahren werden. Staus waren die Folge.
Ich beschwere mich oft über die Trägheit, Mutlosigkeit und Selbstgefälligkeit, die Deutschland im Wettstreit mit den USA oder China ausbremsen. Zu Weihnachten war ich meiner Heimat jedoch wieder ganz nah.