Kolumne „Kreative Zerstörung“: Die Entwicklung Singapurs ist eine Erfolgsgeschichte

In dieser Kolumne schreibt Miriam Meckel 14-täglich über Ideen, Innovationen und Interpretationen, die Fortschritt und ein besseres Leben möglich machen.
Die Demokratie, sie war einmal das vielversprechendste politische Start-up der westlichen Welt. Aufklärung, freie Wahlen, Meinungsfreiheit, Mitbestimmung und Soziale Marktwirtschaft hatten die Chance, ein globales Unicorn zu werden und Markt für Markt im Sturm zu erobern. Ganz so kam es dann nicht. Die Welt an sich ist eben komplizierter als ein Markt.
Aber Demokratie oder besser: diejenigen, die sie in die Praxis umsetzen, tragen dafür auch eine Mitverantwortung. Und so verliert die „beste aller schlechten Staatsformen“ (Winston Churchill) seit einigen Jahren Akzeptanz und Vertrauen. Eine wachsende Zahl von Menschen liebäugelt mit Alternativen und Abwandlungen. Zum ersten Mal verzeichnete der „Bertelsmann Transformations Index“ für 2022 mehr autoritär als demokratisch regierte Staaten weltweit.
Es sind vor allem die Unzulänglichkeiten im Alltag, die mangelnden Lösungen für die Alltagsprobleme, die eine unbedingte Akzeptanz der Demokratie untergraben und Alternativmodelle ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken. Eine solche Alternative ist der Stadtstaat Singapur.
Er hält einige Überraschungen bereit, wenn man darüber hinwegschaut, dass Singapur keine echte Demokratie ist, sondern lange ein Einparteienstaat war und gewisse Rechte der Bürgerinnen und Bürger, wie die Privatsphäre und Meinungsfreiheit, klar einschränkt. Aber es gelingt dem Stadtstaat der Größe Hamburgs auf beeindruckende Weise, das kulturelle Zusammenleben verschiedener ethnischer Gruppen, Chinesen, Malaien, Inder, friedlich zu organisieren.
Die Entwicklung des Stadtstaats ist eine wirtschaftliche Erfolgsgeschichte. Seit 2014 arbeitet die „Smart Nation“ daran, Technologie so einzusetzen, dass die Stadt grüner, der Verkehr durchlässiger, die öffentliche Verwaltung für die Bürgerinnen und Bürger besser zugänglich wird. Wer wie ich in diesen Tagen durch die Stadt geht, sieht überall kleine Parks und begrünte Häuser.
Singapur als Alternativmodell?
Bis 2030 will Singapur zur „Green City“ werden. Freie Flächen, Gebäudedächer und -fassaden werden konsequent bepflanzt. Das ist im tropischen Klima einfacher als bei uns, aber es ist eben auch wirksam: Bis zu drei Grad Kühlung kann eine solche Bepflanzung für ein Gebäude bedeuten.
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Schon jetzt ist es gelungen, den Energiebedarf der Gebäude um zehn Prozent runterzubringen, bis 2030 soll er noch mal um 15 Prozent sinken. Angesichts der Debatten, die wir in Deutschland um die Energiepolitik und die damit verbundenen Abhängigkeiten führen, ist das ein Lichtblick.
Und dann ist es eben so, dass die Dinge im Stadtstaat funktionieren. Bahnen fahren, Straßen sind beleuchtet, Abfall wird durch smarte Mülleimer vorsortiert und entsorgt. Man kann auch nachts um drei durch die Straßen laufen, ohne Angst zu haben – eine Erfahrung, die in Nairobi, New York oder Nürnberg nicht unbedingt zu haben ist.
Es stimmt natürlich: In Singapur wird jede Straße durch Kameras überwacht. Von Privatsphäre können die Bewohner im öffentlichen Raum nur träumen. Aber das tun eher wenige, das Leben ist einfach zu angenehm und zu praktisch, so wie es funktioniert.
Das war auch bei uns mal ähnlich. Vor 15 Jahren schrieb der Ökonomie-Nobelpreisträger Thomas Friedman: „Wenn alle Amerikaner den luxuriösen Berliner Hauptbahnhof mit der schmutzigen, heruntergekommenen Penn Station in New York City vergleichen könnten, würden sie schwören, dass wir den Zweiten Weltkrieg verloren haben.“ Wenn Friedman heute in Deutschland mit der Bahn führe, wüsste er genau, wer den Krieg verloren hat.
Deutschland investiert erheblich weniger in seine öffentliche Infrastruktur als andere EU-Länder. Während die Schweiz pro Kopf 450 Euro ins Schienensystem investiert, sind es bei uns gerade mal 114 Euro. Wir sparen uns und unserer Demokratie die Zukunft weg. Denn solche Investitionen stärken auch das System, das von der Akzeptanz und Unterstützung der Bevölkerung lebt. Einer Autokratie ist der Willen des Volkes egal. Einer Demokratie kann er nicht egal sein.
Genau hier haben Staaten wie Singapur einen Riesenvorteil. Im Gebäude der Urban Redevelopment Authority am Rande des Chinatown-Viertels ist ein riesiges Modell der Stadt aufgebaut, in der Mitte das Stadtzentrum mit dem Finanzzentrum, der Touristen- und Einkaufsattraktion Marina Bay, darum herum bekannte Viertel, die den ethnischen Gruppen vor Ort Ausdruck verleihen, wie Little India.
Große Teile dieser Stadt wurden schon vor Jahrzehnten exakt so geplant. Gleiches geschieht nun mit einem großen Gebiet nordwestlich des Zentrums. Ganze Hochhaussiedlungen sind in dem Stadtmodell als hölzerne Türme integriert. Es gibt sie noch nicht. Aber in etwa 15 Jahren wird es sie geben.
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Kritischen Geistern fällt nun sofort der berühmte Satz Bertolt Brechts ein: „Ja, mach nur einen Plan! Sei nur ein großes Licht! Und mach dann noch 'nen zweiten Plan, geh'n tun sie beide nicht.“ Das trifft auf viele politische Planungsprojekte in Deutschland zu.
Der Flughafen Berlin-Brandenburg ist nur ein Beispiel. In Singapur aber wird Realität, was geplant wird. Das hat damit zu tun, dass hier durchregiert wird. Es ist schlicht unmöglich, dass die Bechsteinfledermaus, der Juchtenkäfer oder der Wachtelkönig ganze Bauprojekt stoppen.



An vielen Stellen ist bei uns im Land der feine Unterschied zwischen Demokratie und Bürokratie verloren gegangen. Es ist Zeit, das vielversprechende politische Start-up Demokratie zu einem erneuerten, inklusiven und nachhaltigen Geschäftsmodell zu machen. Ein bisschen mehr Kundenbewusstsein, Effizienz und Durchsetzungsfähigkeit braucht es dafür. Unsere demokratischen Rechte wie die Meinungsfreiheit sind uns zu Recht wichtig. Wenn sie nur noch als Resonanzraum für Frust und Kritik am Versagen der Demokratie taugen, wird es irgendwann gefährlich.
Mehr: Kolumne „Kreative Zerstörung“ – Silicon Scientology: Wenn KI zur Ideologie wird.
Erstpublikation: 07.11.2023, 14:57 Uhr.





