Analyse: Lügen, Rassismus, Spaltung: Warum so viele Amerikaner trotzdem für Trump stimmen

Auch Teile der kubanischstämmigen Bevölkerung haben den US-Präsidenten unterstützt.
Denver. Das Wort der Wahlnacht lautet „Nail-Biter Election“. Immer wieder wird das Wort bei CNN eingeblendet und von Kommentatoren aufgegriffen. Ein Rennen so knapp, dass man sich vor Spannung nur noch auf die Nägel beißen kann. Dabei sollte doch eigentlich Joe Biden locker gewinnen, und seine Demokraten sollten auch die Mehrheit im Senat holen.
Doch am frühen Morgen deutscher Zeit sind beide Rennen noch nicht entschieden. Eine Erkenntnis jedoch drängt sich zweifelsfrei auf: US-Präsident Donald Trump hat mehr Rückhalt in der Bevölkerung, als viele für möglich gehalten hätten.
Und das, obwohl gerade eine schwere und tödliche neue Welle an Corona-Infektionen durchs Land fegt. Obwohl Trump die Pandemie seit Monaten verharmlost und der Bevölkerung und der Wirtschaft dadurch unnötig große Schäden zugefügt hat. Obwohl die Arbeitslosigkeit immer noch höher ist als zur schlimmsten Zeit der Finanzkrise.
Obwohl er viele seiner bombastischen Versprechen um neue Arbeitsplätze nicht eingelöst hat. Obwohl er seit Jahren mit seinen Lügen und seinen rassistischen Äußerungen die Spannungen im Land immer weiter anheizt. Amerika, so schrieben es über 700 Ökonomen vor der Wahl, sei heute nicht mehr widerzuerkennen. Wie kann das sein?
Es gibt keine einfache Erklärung für die Faszination Trump in der amerikanischen Bevölkerung, schon gar nicht für all jene, die aus deutscher oder europäischer Perspektive auf Amerika schauen. Diese drei Gründe jedoch stechen hervor.
1. Nur ein Thema zählt
Amerikanische Wähler sind gut darin, sich auf ein Thema zu fokussieren. Einige stimmen aus Prinzip für den Kandidaten, der verspricht, die Steuern zu senken oder zumindest nicht zu erhöhen. Anderen ist wichtig, dass der Kandidat klar gegen Abtreibung ist und vor allem Richter mit der gleichen Einstellung an wichtige Schaltstellen setzt.
Wieder anderen ist wichtig, dass ihr Recht auf Waffenbesitz nicht eingeschränkt wird. Bei allen drei Themen konnte Trump punkten. Er versprach weitere Steuersenkungen, ernannte die konservative Verfassungsrichterin Amy Coney Barrett und ist eindeutig der Kandidat, der von „Pro Gun“-Aktivisten unterstützt wird. Immer wieder hatte Trump die Gelegenheit, öffentlich radikale und bewaffnete Gruppen wie die Proud Boys in die Schranken zu verweisen. Immer wieder hat er bewusst darauf verzichtet.
Das Gesamtbild von Trump ist dabei nicht wichtig. Dass Trump die transatlantischen Beziehungen und Amerikas Ansehen in der Welt nachhaltig geschädigt hat, steht bei einigen Wählern im Mittelpunkt, aber sicher nicht bei allen.
2. Trump sorgt für ein gutes Gefühl
Der US-Präsident liebt die große Bühne, und seine Anhänger lieben das Gefühl, das er ihnen vermittelt. Seine Gegner zu beschimpfen, zu verspotten, zu belächeln, ganz ohne Redemanuskript, gibt dem Republikaner Energie, und es führt dazu, dass seine Zuhörer sich verstanden fühlen, mit sich selbst im Reinen sind.
Die Demokraten dagegen haben im ländlichen Pennsylvania und im Mittleren Westen den Ruf, eine Partei für Intellektuelle zu sein. Die „Grünen Jobs“, die Biden verspricht, wirken auf viele eher abschreckend und unkonkret. Der Wandel, auf den der Demokrat pocht, ist schwer zu erreichen und mit vielen Umwälzungen verbunden.
Trump dagegen verspricht, dass sich seine Anhänger nicht ändern müssen. Dabei sind es eigentlich die Demokraten, die historisch gesehen die Gewerkschaften hinter sich vereinen, die für ein stärkeres soziales Netz kämpfen und für Umverteilung, die eigentlich auch vielen Trump-Wählern zugutekommen würde.
Die Wahrheit bleibt bei Trump oft auf der Strecke. Doch er hat es immer wieder geschafft, seine Anhänger bei der Stange zu halten und von seiner Version der Dinge zu überzeugen. „Make America great again“ ist eine verfängliche Vision. Auch mitten in einer Pandemie und einer Wirtschaftskrise.
3. Die Angst vor den radikalen Linken
Trumps Republikaner haben in den vergangenen Monaten gezielt ein Schreckensbild aufgebaut. Biden wolle zum Beispiel die Vorstädte abschaffen, wurde auf dem Parteitag kolportiert, auf dem auch ein Ehepaar gefeiert wurde, das bei Demonstrationen aus dem eigenen Vorgarten mit Schusswaffen auf die Demonstranten zielte. Unter den Demokraten würde zudem „Anarchie“ herrschen, betonte zuletzt etwa die republikanische Senatorin Kelly Loeffler aus Georgia.




Der linke Flügel der Partei würde Biden überrennen und die USA in einen sozialistischen Staat verwandeln, heißt es regelmäßig in den E-Mails, die Trumps Wahlkampfteam an seine Unterstützer verschickt. Schon seit Beginn der Pandemie sind die Waffenkäufe in den USA deutlich angezogen.
Die Waffenkäufer erwähnen seit den Plünderungen am Rande der „Black Lives Matter“-Demonstrationen auch immer wieder die Angst, dass ihr eigenes Haus geplündert werden könnten und sie sich daher verteidigen müssten. Das spielt Trump in die Hände. Egal, wie die Wahl am Ende ausgeht: Trump hat wieder einmal gezeigt, dass man weder ihn noch seine Wähler unterschätzen sollte.
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