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  4. Geldanlage: Die Energiewende ist der heimliche Gewinner der Corona-Pandemie

Der ChefökonomDie Energiewende könnte der heimliche Gewinner der Pandemie werden

Die Zinsen für sichere Anleihen werden noch sehr lange niedrig bleiben. Auf der Suche nach Rendite steht daher viel Kapital für die gebotene globale Energiewende bereit.Axel Schrinner, Bert Rürup 12.11.2020 - 15:45 Uhr Artikel anhören

Gerade im aktuellen Niedrigzinsumfeld eignen sich Investitionen in alternative Energiequellen.

Foto: obs

Spätestens seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie muss jedem Anleger klar sein, dass eine Zinswende ferner ist denn je – ungeachtet eines zu erwartenden Impfstoffs. Die mit Abstand wichtigste Zentralbank der Welt, die US-Notenbank Federal Reserve, hat die Finanzmärkte bereits darauf vorbereitet, dass sie ihren Leitzins zumindest bis 2023 nicht anheben wird, selbst wenn die Inflation anziehen sollte.

In Europa ist die EZB gerade dabei, die nächste geldpolitische Lockerung vorzubereiten. Womöglich dürfte sie schon im Dezember ihren Einlagenzins noch weiter ins Negative drücken. Zinsen auf sichere Anlagen wird es also auf absehbare Zeit nicht geben.

Dies stellt nicht nur Kleinsparer vor große Probleme, sondern auch die großen Kapitalsammelstellen. Es herrscht akuter Anlagenotstand. Das langjährige Geschäftsmodell, mit Staatsanleihen auskömmliche Renditen für Kunden und Aktionäre zu erwirtschaften, funktioniert nicht mehr.

In Deutschland ist daher die klassische Lebens- oder Rentenversicherung mit Mindestverzinsung und Kapitalgarantie faktisch tot. Und da sich Immobilien und Aktien in den vergangenen Jahren schon deutlich verteuert haben, gewinnen auf der verzweifelten Renditesuche der Kapitalanleger alternative Investments an Bedeutung. Dazu zählen neben den seit Langem bekannten Infrastrukturinvestitionen nunmehr auch Anlagen in die Energiewende.

Mit der Abwahl von Donald Trump dürfte auch in den USA das Ende des Öl- und Kohlezeitalters eingeläutet werden, so wie dies zuvor schon in Europa und China geschehen ist. Gut möglich, dass die Biden-Administration einen guten Teil der sicher schon in Vorbereitung befindlichen Konjunkturprogramme in diese Richtung lenken wird.

Politisch besonders attraktiv ist dabei, dass erneuerbare Energien sich in den vergangenen Jahren als wahrer Beschäftigungsmotor erwiesen haben. Daher wird der bisher scharfe Gegenwind aus dem Weißen Haus gegen bereits bestehende Initiativen einiger US-Bundesstaaten zum Umbau der Energieversorgung spürbar abflauen.

Denn klar ist: Wollen die etablierten Industriestaaten und die Schwellenländer tatsächlich bis Mitte dieses Jahrhunderts weitgehend auf Kohlendioxidemissionen verzichten, sind gigantische Investitionen in erneuerbare Energien und die Dekarbonisierung der Wirtschaft erforderlich. Im vergangenen Jahr wurden weltweit bereits 282 Milliarden US-Dollar in die Erzeugung erneuerbarer Energien investiert – Tendenz steigend.

Der ökologische unvermeidbare Umstieg auf eine CO2-freie Stromerzeugung wird das teuerste Projekt der Menschheitsgeschichte – und damit eine gewaltige Aufgabe für die Staaten und ein riesiges Geschäft für Investoren.

Finanzinvestoren wie Blackrock gehen davon aus, dass beispielsweise die Offshore-Windenergie in Europa bis 2030 um den Faktor sieben wächst. Investments in erneuerbare Energien würden daher institutionelle Portfolios zukunftsfähig machen. „Nicht nur für die nächsten fünf Jahre, sondern für das nächste Jahrhundert“, meint David Giordano, Blackrock-Experte für erneuerbare Energien.

Kein Grund, die Zinsschraube anzuziehen

Solange die Renditen stimmen, wird die Energiewende also nicht an fehlendem Kapital scheitern – denn anlagesuchendes Geld gibt es angesichts der Liquiditätsspritzen der Notenbanken auf den globalen Finanzmärkten im Überfluss. Da Inflation, also ein deutlicher Anstieg der Güterpreise, nicht in Sicht ist, besteht für die Notenbanken mittelfristig kein Grund, die Zinsschraube anzuziehen.

Es gehört zum Lehrbuchwissen, dass Inflation angebots- oder nachfrageseitige Gründe haben kann. Steigen die Produktionskosten merklich an, versuchen die Unternehmen, den Kostenschub über höhere Preise für ihre Produkte an die Kunden weiterzugeben. Machen das viele Unternehmen, so steigen die Preise auf breiter Front.

Kommt es – aus welchen Gründen auch immer – dazu, dass die Nachfrage auf den Gütermärkten kräftig und nachhaltig steigt, während die Anbieter nicht mit der Produktion nachkommen, steigen die Güterpreise ebenfalls. Treten diese Effekte bei einer Vielzahl von Waren und Dienstleistungen zutage, werden die Gewerkschaften mit höheren Lohnforderungen reagieren, und es kommt zu der früher gefürchteten Lohn-Preis-Spirale.

Diese klassischen Inflationsquellen sind jedoch seit geraumer Zeit versiegt. Die Digitalisierung führt dazu, dass viele Produkte billiger werden, weil die digitalen Pendants zu analogen Produkten durchweg preiswerter sind.

Zudem ist die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften gebrochen, seitdem die Verlagerung von Produktionsstätten in Niedriglohnländer ohne große Probleme möglich ist. Die Notenbanken haben offensichtlich die Kontrolle über die Entwicklung des Preisniveaus verloren. Und ihr Credo, dass die Verbraucher ihre Preiserwartungen an den von ihnen vorgegebenen Inflationszielen orientieren, hält keiner empirischen Überprüfung mehr stand.

Hinzu kommt, dass in den etablierten Industrieländern und in China eine tendenziell steigende Sparquote auf eine geringere Kapitalnachfrage der Unternehmen trifft. In diesen alternden Gesellschaften sorgen die wohlhabender werdenden Mittelschichten mit ihrer hohen Sparneigung für das Alter vor, während die Unternehmen seltener kapitalintensive Fabriken bauen, sondern in digitale Innovationen investieren: Software, digitale Produkte, Plattformen und Netze anstatt Stahl und Autos.

Nur ein Narr würde diese Chance nicht nutzen

Die gigantische Geldschöpfung der Notenbanken der letzten Jahre ist größtenteils in die Kapitalmärkte geflossen und hat die Vermögenspreise in die Höhe getrieben; sie hat aber eben keine Preis-Lohn-Spirale in Gang gesetzt.

Zudem betreiben alle wichtigen Notenbanken mit ihren Versuchen, die historisch niedrigen Teuerungsraten auf das Niveau der selbst gesetzten Inflationsziele anzuheben, zumindest eine indirekte Staatsfinanzierung. Daher ist nicht damit zu rechnen, dass Fed, EZB oder BoJ ihre Leitzinsen anheben werden.

Nun hängt – und darin sind sich die Naturwissenschaftler einig – das Schicksal der Menschheit maßgeblich davon ab, ob es gelingt, den Temperaturanstieg auf der Erde möglichst rasch zu stoppen. Dies kann nur gelingen, wenn der Kohlendioxidausstoß sehr bald, sehr deutlich reduziert und der Energiehunger aus CO2-freien Quellen gestillt wird.

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Angesichts dieser historischen Herausforderung scheint es eine glückliche Fügung des Schicksals zu sein, dass diese Erkenntnis gerade in eine Zeit fällt, in der es für solvente Schuldner keine Zinsen mehr gibt. Wenn aber Schulden für viele Staaten und profitable Unternehmen mit allenfalls minimalen finanziellen Belastungen verbunden sind, dann besteht jetzt die vielleicht einmalige Chance, die gigantischen Investitionen, die eine schnelle Energiewende erfordert, zu stemmen.

Schulden mit grünem Anstrich lassen sich nicht nur gut verkaufen, sondern sind auch mit deutlich geringeren politischen Kosten verbunden. Sie schaffen nicht nur ein gutes Gewissen, sondern erzielen auch eine gesamtwirtschaftlich ordentliche Rendite, wenn damit die Erderwärmung aufgehalten werden kann. Nur ein Narr würde diese Chance nicht nutzen.

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