Kommentar zu Aldi & Lidl: So schaffen sich die Discounter selbst ab

Was unterscheidet einen Discounter wie Aldi und Lidl eigentlich noch von einem Supermarkt? Zu Zeiten der legendären Aldi-Gründer Theo und Karl Albrecht hätte jeder gelacht, wenn man die Frage gestellt hätte. Die boten die Waren noch in den Versandkartons auf schmucklosen Holzpaletten an, Kühltruhen gab es nicht.
Die Auswahl war minimal, dafür aber lagen die Preise deutlich unter denen der Supermärkte. Leisten konnten sich die Discounter das auch wegen ihrer schlanken Kostenstruktur, die die Konkurrenz das Fürchten lehrte.
Heute lässt sich diese Frage nicht mehr so einfach beantworten. Schon im ersten Eindruck verschwimmen die Unterschiede. Auch ein Aldi empfängt die Kunden heute mit einer großen Obst- und Gemüseabteilung, eine schicke Inneneinrichtung ist Standard. Immer mehr Markenartikel liegen in den Regalen, Tiefkühlartikel und eine große Auswahl an Biowaren sind selbstverständlich.
Der Wandel passiert auch da, wo ihn die Kunden nicht sehen. Mit der hochwertigen Inneneinrichtung und dem erweiterten Sortiment fällt es den Discountern immer schwerer, die Kostendisziplin zu halten. Dazu tragen auch weitere Faktoren bei wie etwa verlängerte Öffnungszeiten, die die Personalkosten in die Höhe treiben. Sichtbarer Ausdruck dieses Kulturwandels sind die protzigen neuen Konzernzentralen, neudeutsch „Campus“ genannt, die sich Aldi und Lidl geleistet haben.
All das führt dazu, dass Aldi und Lidl längst nicht mehr die Preisbrecher sind, für die sie viele Kunden noch halten. Preisanalysen im Auftrag des Handelsblatts haben gezeigt, dass fast alle Lebensmittelprodukte – abgesehen von frischem Obst und Gemüse - bei allen großen Einzelhändlern exakt zum gleichen Regalpreis angeboten werden. Sparen können Kunden nur noch mit Sonderangeboten. Doch auch die gibt es in ähnlicher Höhe reihum bei allen Händlern.
Action macht Lidl und Aldi immer stärker Konkurrenz
Für Aldi und Lidl ist diese Situation brandgefährlich. Denn im Grunde haben sie kein originäres Geschäftsmodell mehr.
Noch zehren sie von ihrem Image aus vergangenen Zeiten, doch Discounter sind sie schon lange nicht mehr. Heute sind sie weitere Supermarktketten – nur mit einem kleineren Sortiment als Rewe oder Edeka. Bisher haben alle großen Händler ungehemmt in Wachstum investiert, bei schmalen Gewinnmargen. Doch es ist sehr fraglich, ob Deutschland auf Dauer die Zahl der Lebensmittelhändler und die im internationalen Vergleich extrem hohe Dichte an Lebensmittelgeschäften wirklich noch braucht.
Das Ende von Kaiser’s Tengelmann und der Zusammenbruch der Hypermarktkette Real sind wahrscheinlich erst der Anfang. Die Auslese dürfte wohl weitergehen. Eine stärkere Konsolidierung im Markt ist auf Dauer unvermeidlich.
Das zeigt das Beispiel der regionalen Supermarktkette Tegut: Die Muttergesellschaft Migros hat dem Unternehmen nach mehreren Verlustjahren eine harte Sanierung verordnet, 35 Filialen sollen abgegeben oder geschlossen werden. Es sei die „letzte Chance“ für den Händler, sagte Migros-Chef Patrik Pörtig in einem Interview.
Was die Discounter ebenfalls hart trifft: Ihr früher so profitables Aktionsgeschäft mit Nonfood-Artikeln läuft nicht mehr. Das liegt zum einen an der hohen Inflation bei Lebensmitteln, die den Kunden weniger Geld lässt, um mal eben noch einen Nasenhaarschneider oder einen Blumentopf mitzunehmen. Außerdem machen ihnen neue Wettbewerber wie Action mit Kampfpreisen und großem Sortiment in diesem Geschäft Konkurrenz.
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Lieferdienste zielen auf das Basissortiment der Discounter
Dazu kommt: Sollte sich die Lieferung von Lebensmitteln stärker durchsetzen, trifft das genau das Basissortiment, von dem Aldi und Lidl bisher leben. Milch, Nudeln, Waschmittel oder Hundefutter kann man sich gut sogar im Abo bestellen, dafür muss niemand mehr ins Geschäft gehen. Das besondere Steak und den frischen Salat suchen sich die Kunden dann lieber persönlich aus, vielleicht sogar am Samstag auf dem Wochenmarkt, aber eher nicht mehr beim Discounter.
Rewe und Edeka profitieren von der unternehmerischen Leidenschaft ihrer Kaufleute vor Ort. Diese kennen die Wünsche ihrer Kundinnen und Kunden genau, kuratieren sorgfältig ihr Sortiment und bieten genau den Service und die besonderen Waren, die dann noch gefragt sind.
Aldi und Lidl müssen sich genau überlegen, was sie dem künftig entgegensetzen wollen. Denn nur wenn sie sich für die Verbraucher wieder unentbehrlich machen, können sie langfristig im Wettbewerb bestehen.
Bei den Aldi-Schwestern ist bisher kein echtes Zukunftskonzept erkennbar. Aldi Süd experimentiert eher halbherzig mit einem eigenen Lieferdienst, Aldi Nord konnte sich noch nicht einmal dazu durchringen. Auch die Apps der Händler bieten den Kunden nicht wirklich einen Mehrwert.
Lidl dagegen könnte mit seiner Lidl-Plus-App einen Weg gefunden haben. Sie bietet den Kunden nicht nur originelle Kaufanreize, beispielsweise mit kostenlosem Zugang zum Streamingdienst Disney+ und den Bezahlinhalten der „Bild“-Zeitung ab einem bestimmten Umsatzvolumen oder einem Sonderpreis für die gehypte Dubai-Schokolade. Mit der integrierten Bezahlfunktion und personalisierten Rabatten bedient sie eine der Grundtugenden der Discounter: den Verbrauchern das Einkaufen leichter zu machen.
Und das hätte auch Theo und Karl Albrecht gefallen.
Erstpublikation: 27.12.2024, 17:53 Uhr.