Kommentar: Das Hamstern der Firmen verhindert Schlimmeres am Arbeitsmarkt

Gemessen an der Herausforderung des Fachkräftemangels sieht die aktuelle Konjunkturschwäche klein aus.
Foto: dpaWer nach Gründen sucht, warum der Arbeitsmarkt sich trotz Konjunkturflaute immer noch robust zeigt, der stößt schnell auf die Hamstermentalität. So wie die kleinen Nager Vorräte für den harten Winter anlegen, so horten Unternehmen aktuell noch knappe Fachkräfte.
Trotz des immer dramatischeren Wirtschaftseinbruchs schrecken sie vor Entlassungen zurück – aus Sorge, kein qualifiziertes Personal zu bekommen, wenn sich die Lage wieder entspannen sollte.
Doch wie lange sich die Firmen angesichts der konjunkturellen Unsicherheit das Hamstern noch leisten können, steht infrage. Die Wirtschaftsleistung ist zwei Quartale in Folge gesunken und hat im letzten Vierteljahr stagniert. Noch profitiert das verarbeitende Gewerbe von vollen Orderbüchern, doch der chemischen Industrie zum Beispiel und dem Maschinenbau brechen die Neuaufträge weg.
Die ungelöste Energiepreisfrage und die hohe Steuer- und Abgabenbelastung lassen den Standort zunehmend unattraktiv werden. Hinzu kommen die Kosten für die erforderlichen Umbauten auf dem langen Weg zur Klimaneutralität. In dieser Situation ist Unsicherheit Gift. Denn jede ausbleibende oder verzögerte Investition wird mit Sicherheit über kurz oder lang auch Spuren auf dem Arbeitsmarkt hinterlassen.
Zwar ist eine Rückkehr zur Massenarbeitslosigkeit, wie Deutschland sie in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends erlebt hat, momentan nicht zu befürchten. Die Entwicklung muss dennoch Sorge bereiten.
Arbeitsmarkt stützt aktuell die Konjunktur
Denn der robuste Arbeitsmarkt erweist sich aktuell als Stütze der Konjunktur. Er hilft, den Binnenkonsum zu stärken und die Exportschwäche auszugleichen. Diesen Beitrag wird er aber künftig nur leisten können, wenn es gelingt, die größer werdende Kluft zwischen Arbeitskräfteangebot und -nachfrage zu schließen.
Während klassische Industriezweige wie die Autobranche künftig mit weniger Mitarbeitern auskommen, verschärft sich beispielsweise der Personalmangel im Gesundheits- und Pflegebereich von Tag zu Tag. Und ohne qualifizierte Arbeitskräfte wird Deutschland in Zukunftsfeldern wie der Künstlichen Intelligenz nie zu Wettbewerbern wie den USA aufschließen.
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Wenn es nicht rasch gelingt, mehr Beschäftigte in heutige und künftige Mangelberufe zu bringen – sei es durch eine bessere Berufsorientierung oder Qualifizierung – wird eine schizophrene Situation eintreten: Deutschland erlebt dann steigende Arbeitslosigkeit bei gleichzeitig wachsendem Fachkräftemangel. Eine Situation, die geeignet ist, die Spaltung der Gesellschaft weiter zu vertiefen.
Gemessen an dieser Herausforderung, die auf den Arbeitsmarkt noch zukommt, nimmt sich die aktuelle konjunkturelle Schwäche eher klein aus. Denn werden die Menschen von heute nicht für die Jobs von morgen befähigt und ausgebildet, dann hilft am Ende auch kein Hamstern mehr.