Kommentar – Der Chefökonom: Die Aktienrente ist eine richtige Idee – kommt aber zu spät
Finanzminister Christian Lindner will mit einem Aktienfonds in 15 Jahren die Rente mitfinanzieren.
Foto: IMAGO/Political-Moments„Es wird keine Rentenkürzungen und keine Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters geben“, versprachen SPD, Grüne und FDP gleichermaßen sich und ihren Wählern in ihrem Koalitionsvertrag im Herbst 2021. Um dieses Versprechen „generationengerecht abzusichern, werden wir zur langfristigen Stabilisierung von Rentenniveau und Rentenbeitragssatz in eine teilweise Kapitaldeckung der gesetzlichen Rentenversicherung einsteigen“, hieß es dort. Dazu sollte ein Aktienfonds unter dem Dach der gesetzlichen Rentenversicherung geschaffen und ausgebaut werden.
Nun, zwei Jahre später, fließen die ersten zehn Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt in diese Aktienrücklage. Dieser vom „Fonds zur Finanzierung der Kosten der kerntechnischen Entsorgung (Kenfo)“ organisierte Aufbau eines Kapitalstocks in der gesetzlichen Rentenversicherung soll in 15 Jahren abgeschlossen sein. Aus den Erträgen dieses „Generationenkapitals“ sollen aber ab Mitte der 2030er-Jahre die gesetzlichen Renten kofinanziert werden.
Die Idee dahinter scheint zunächst verblüffend einfach – mutmaßlich zu einfach. Wenn sich der deutsche Staat – wie bis vor einiger Zeit – dank seiner ausgezeichneten Bonität zinsfrei verschulden kann und diese Gelder an den internationalen Aktienmärkten anlegt und so wie in der Vergangenheit eine Rendite von sechs Prozent jährlich erzielen würden, dann ließen sich auf diesem Wege alle Finanzierungsprobleme der öffentlichen Hand lösen.
Freilich müssten die Fragen erlaubt sein, warum nicht schon frühere Regierungen auf diese Idee gekommen sind und warum lediglich zehn Milliarden Euro und keine deutlich größeren Summen auf diese wundersame Weise vermehrt werden sollen.
Doch allerspätestens seit Ökonomie-Nobelpreisträger Milton Friedman 1975 sein Buch, „There is no such thing as a free lunch“ veröffentlichte, weiß man, dass es auf Dauer keine risikolose Erzielung von Arbitragegewinnen geben kann. Salopp ausgedrückt: Alles hat seinen Preis.
Zinsen sind wieder relevant
Nun zeigt der Blick in die Vergangenheit, dass sich auf lange Sicht durchaus sechs bis sieben Prozent Rendite an den globalen Kapitalmärkten erzielen ließen. Einzelne Jahre mit kräftigen Kursverlusten wurden zumeist recht schnell wieder aufgeholt. Das klingt verlockend – insbesondere wenn man die Inflation ausblendet, was viele Anhänger einer kapitalgedeckten Altersversorgung gern tun.
Bei der von der Ampelregierung geplanten Aktienrente ist seit Kurzem eine zweite, in den zurückliegenden Jahren in Vergessenheit geratene Größe wieder relevant geworden: die Zinsen für Staatsschulden. Mittlerweile muss Deutschland seinen Gläubigern für neu emittierte Staatsanleihen um die drei Prozent Zinsen bieten. Die ursprünglich erhoffte Rendite des geplanten Aktieninvestments von sechs Prozent halbiert sich auf diese Weise.
Zieht man überdies die Verwaltungs- und Transaktionskosten sowie die schleichende Geldentwertung ab, bleiben kaum mehr als um die zwei Prozent reale Rendite übrig – nicht sonderlich viel, wenn es darum geht, die gesetzliche Rentenversicherung nennenswert zu entlasten. Denn gegenwärtig gibt die Rentenversicherung rechnerisch etwa eine Milliarde Euro aus, pro Tag – Tendenz: deutlich steigend!
Folgt man den Schätzungen des Ifo-Instituts, dann müsste – wenn nicht beherzt gegengesteuert wird – der Beitragssatz zur Rentenversicherung von derzeit 18,6 Prozent auf 25 Prozent im Jahr 2050 steigen. Alternativ müsste die Mehrwertsteuer von 19 auf etwa 30 Prozent erhöht werden, um den kräftigen Anstieg der Bundeszuschüsse finanzieren zu können.
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Nun ist das rentenpolitische Problem Deutschlands seit Jahrzehnten bestens bekannt, und man weiß auch, dass es keine einfachen und kurzfristigen Lösungen geben kann. Derzeit gehen die ersten geburtenstarken Jahrgänge in Rente und werden durch deutlich schwächer besetzte Kohorten ersetzt. Das Verhältnis von Rentnern zu Erwerbstätigen wird daher in den kommenden 15 Jahren markant ansteigen.
Ampelregierung ignoriert Überalterung
Deshalb war es ab Ende der 1980er-Jahre Ziel der Politik, den Anstieg der Renten moderat zu dämpfen und zudem die steuerliche Kofinanzierung auszuweiten, um neben den Steuerzahlern auch die Rentenbezieher an den finanziellen Lasten der Alterung zu beteiligen. Der letzte große Schritt in diese Richtung war die 2007 auf Drängen des damaligen Sozialministers der Großen Koalition Franz Müntefering (SPD) beschlossene „Rente mit 67“, deren Umsetzung 2031 abgeschlossen sein wird.
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Von diesem rentenpolitischen Konsens verabschiedeten sich die beiden Großen Koalitionen der Jahre 2013 bis 2021 und finanzierten aus temporären Überschüssen dauerhafte Leistungsausweitungen. Im Gegenzug entfielen Senkungen des Rentenbeitrags. Die Warnungen vieler Experten verhallten – und auch die Ampelregierung ignorierte dieses Megaproblem in ihrem Koalitionsvertrag geflissentlich. Und das Wort „Bevölkerungsalterung“ findet sich im Koalitionsvertrag nicht.
Der nun geplante Aufbau einer begrenzten Kapitalfundierung der gesetzlichen Rente ist sicher kein Fehler. Es ist erwiesen, dass wegen einer besseren Risikodiversifizierung Alterssicherungssysteme, die aus einer Mischung aus umlagefinanzierten und kapitalgedeckten Renten bestehen, krisensicherer und ergiebiger sind als rein umlagefinanzierte oder rein kapitalgedeckte Systeme.
Prof. Bert Rürup ist Präsident des Handelsblatt Research Institute (HRI) und Chefökonom des Handelsblatts. Er war viele Jahre Mitglied und Vorsitzender des Sachverständigenrats sowie Berater mehrerer Bundesregierungen und ausländischer Regierungen. Mehr zu seiner Arbeit und seinem Team unter research.handelsblatt.com.
Foto: HandelsblattZwar ist es nicht möglich, ein optimales Mischverhältnis von Umlagefinanzierung und Kapitaldeckung zu bestimmen, da sich im Zeitverlauf Bevölkerungsaufbau, Wirtschaftsstruktur, Integration in die internationale Arbeitsteilung und Kapitalmarktergiebigkeit ändern können. Doch angesichts der recht überschaubaren Bedeutung kapitalgedeckter Alterssicherung in Deutschland spricht wenig gegen eine höhere Gewichtung.
Allerdings: Die neue Aktienrente kommt deutlich zu spät, und ihr Anteil an den Rentenausgaben ist sehr gering. Die Phase sinkender Zinsen endete vergangenes Jahr abrupt – und ob die Aktienkurse ihre langfriste Aufwärtsbewegung auch bei höheren Zinsen fortsetzen können, ist keineswegs sicher.
Ausgabenlawine in der Rentenversicherung zeichnet sich ab
Überdies sieht sich die gesetzliche Rentenversicherung bereits in den kommenden gut 15 Jahren, also in der Ansparphase des neuen „Generationenkapitals“, mit dem Problem der doppelten Alterung konfrontiert: Die Lebenserwartung nimmt zu und das Verhältnis von Rentenempfängern und Erwerbstätigen steigt markant an. Insofern wären die von den beiden Bundesministern Hubertus Heil (SPD) und Christian Lindner (FDP) erhofften Erträge aus dem neuen Kapitalstock bereits in den kommenden anderthalb Dekaden sehr hilfreich – und nicht erst in 15 Jahren.
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Mit der sich abzeichnenden Ausgabenlawine, die auf künftige Regierungen zurollt, dürfte die Versuchung ungemein hoch sein, den der Aktienrente zugrundliegenden Kapitalstock anzuzapfen und sukzessive als Rentenzuschuss aufzubrauchen. Anstatt eines „free lunch“ würden Lindner und Heil ihren Nachfolgern dann vor allem neue Schulden hinterlassen.
Die Idee, dass der Staat Aktien auf Kredit kauft und die Renditedifferenz zusätzlichen Spielraum zur Finanzierung der Altersversorgung schafft, ist nun einmal eine Wette – und Wetten gehen keineswegs immer auf.