Kommentar: Der Gewinneinbruch von VW ist keine Katastrophe sondern überfällig

Gewinnrückgang, Prognosesenkung, Restrukturierungen quer durch den Konzern – ja, es sieht zunächst nicht gut aus, was Volkswagen seinen Investoren da kurz vor dem Wochenende präsentierte.
Der Gewinn des mächtigsten Autokonzerns in der mächtigsten Industrie des Landes ist auf den niedrigsten Stand seit der Coronakrise gefallen. Die Jahresziele mussten nach unten korrigiert werden. Das Dax-Schwergewicht taumelt – wieder einmal.
Doch wer sich die Halbjahresbilanz des Konzerns im größeren Bild anschaut, erkennt: Das ist vor allem der Abschied von einem Ausnahmezustand – und die Rückkehr zur automobilen Realität. Einem Alltag ohne Pandemieverknappung, Chipmangel und Preisexplosionen. Einem Alltag ohne Margen „on steroids“.
4,2 Prozent beträgt die operative Marge nach sechs Monaten bei VW. Rechnet man Einmaleffekte wie Trumps Zölle oder die Rückstellungen für die diversen Umbauten bei VW heraus, bleibt ein operativer Wert von 5,6 Prozent. Das ist kein Weltrekord – aber solides Mittelmaß.
Und es ist in etwa das, was Volkswagen auch in der Dekade vor Corona verlässlich geliefert hat.
Ein Blick zur Konkurrenz zeigt: VW ist nicht allein mit seinen Problemen. Und die Wolfsburger müssen sich nicht verstecken.
Stellantis – einst Branchen-Benchmark in Sachen Rendite – musste aufgrund der US-Importzölle zuletzt Milliardenverluste melden.
Bemerkenswert dabei: Volkswagens Brot-und-Butter-Geschäft läuft zurzeit erstaunlich stabil. Die sogenannte Volumen-Markengruppe rund um die VW-Kernmarke kommt auf knapp fünf Prozent Rendite im ersten Halbjahr. Skoda allein erreicht 8,5 Prozent. Das sind Zahlen, von denen selbst Mercedes aktuell nur träumen kann.
Die Autobosse begingen vor allem einen Fehler
Erkenntnisprobleme hat die Industrie aber selten gehabt. Der Strategiefehler der Autobosse liegt eher in mangelnder Vorausschau. In den Ausnahmejahren 2021 und 2022 dachten viele, die zweistelligen Renditen jener Zeit seien beliebig reproduzierbar – und damit neuer Normalzustand.
Dabei waren sie nichts anderes als ein Produkt globaler Mangelwirtschaft. Autos waren knapp, Chips noch knapper – und die Preise schossen in die Höhe. In dieser Phase schienen selbst bei halbleeren Fabriken Gewinnsprünge möglich.
Auch VW-Konzernchef Oliver Blume hob in dieser Zeit die Rendite-Messlatte auf zehn Prozent. Heute sagt er, man werde das Ziel erreichen, wenn alle Rahmenbedingungen stimmten. Entschieden klingt das nicht mehr.
Blume – und mit ihm viele andere Autobosse – wären gut beraten, die strategischen Ziele an das neue Umfeld anzupassen. Lang dürfte es nicht mehr dauern, bis es so weit ist.
Bis dahin gilt: Ruhe bewahren, bis der nächste Gewinneinbruch kommt – und sich klarmachen, dass fünf bis sechs Prozent Marge im industriellen Massengeschäft keine Katastrophe sind, sondern eine ziemlich solide Leistung, die auch schon früher solide war.
Die Transformation zur Elektromobilität, der Margendruck in China, neue Handelsbarrieren und die anstehenden CO₂-Vorgaben in Europa zwingen die Hersteller zu realistischeren Kalkulationen. Das ist nicht nur schmerzhaft – sondern vielleicht sogar heilsam. Wenn es eine Lehre aus den VW-Zahlen gibt, dann die: Das Zeitalter der Überrenditen ist offiziell vorbei.