Kommentar: Deutschland sollte keine neuen Konjunkturpakete bekommen

Eine Senkung der Stromsteuer wäre keine Alternative zu einem Industriestrompreis, sondern ein klassischer Nachfrageimpuls.
Foto: dpaDie Lage war ohnehin schon miserabel – doch die konjunkturellen Aussichten in Deutschland verschlechtern sich immer weiter. Die Rezession im zweiten Halbjahr 2022 war wohl nur der Anfang der Krise.
Im Winter war die Lage noch eindeutig: Die privaten Haushalte litten unter den hohen Energiepreisen. Die Energiepreisbremsen sollten das Schlimmste verhindern. Aber allgemeine Konjunkturhilfen waren keine Option. Denn die drohten die Inflation noch weiter anzuheizen.
Inzwischen ist der Weg zur richtigen Reaktion komplizierter geworden. Nun ist die Industrie das Kernproblem. Produktionen werden eingeschränkt, das Auftragspolster nimmt immer weiter ab. Das verarbeitende Gewerbe hat zunehmend ein Nachfrageproblem.
Ein Konjunkturpaket könnte dort helfen. Und diese Rufe werden kommen. Die Wirtschaft hat in Berlin die bessere Lobby als die privaten Haushalte.
Doch die Bundesregierung sollte diesen Forderungen unbedingt widerstehen. Die Inflationsgefahr ist trotz rückläufiger Teuerungsraten längst nicht gebannt, die Kerninflation weiter gefährlich hoch. Ein Konjunkturpaket könnte insgesamt mehr schaden als nutzen.
Senkung der Stromsteuer ist keine Alternative
Die ersten Bitten haben schon verfangen. Finanzminister Christian Lindner hat die Reduzierung der Stromsteuer vorgeschlagen. Der FDP-Chef präsentiert diesen Vorschlag als Alternative zum Industriestrompreis von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne).
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Allerdings handelt es sich keineswegs um eine Alternative, energieintensive Unternehmen sind schon jetzt von der Stromsteuer ausgenommen. Profitieren würden vor allem die Bürgerinnen und Bürger. Eine verringerte Stromsteuer wäre also ein klassischer Nachfrageimpuls.
Und genau das ist besonders gefährlich. Eine künstliche Senkung des Strompreises würde die Nachfrage für Strom an sich erhöhen. Das würde notwendige Einsparungen behindern und wiederum den Strompreis antreiben. Das kann sich Deutschland mit Blick auf das Inflationsproblem nicht erlauben und steht in keinem Verhältnis zum Effekt, den es auf die Erhöhung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage hätte.
Konjunkturimpulse wie eine Stromsteuersenkung mögen zwar Wählerstimmen bringen, positive gesamtwirtschaftliche Effekte aber kaum. Wichtiger wäre es, an den strukturellen Problemen weiterzuarbeiten: Superabschreibungen, ein grundlegendes Reformkonzept für international wettbewerbsfähige Unternehmensteuern, den industriellen Wandel zulassen.
Doch die Gefahr, dass sich die Ampel dem Lockruf der Konjunkturpakete nicht entziehen kann, ist groß. Im Herbst stehen in Bayern und Hessen die nächsten Landtagswahlen an.