Kommentar: Die richtige Antwort auf Temu wird zur Existenzfrage

Ist das Budget für Weihnachtsgeschenke knapp, lassen sich viele Konsumenten leicht verführen und werfen einen Blick auf Temu. Die chinesische App wirbt gerade in der Vorweihnachtszeit mit besonders niedrigen Preisen, zusätzlichen Rabatten von bis zu 60 Prozent und einer schier riesigen Auswahl an Produkten.
Wer als Händler darauf hofft, dass Kunden bald reumütig zurückkehren, sobald sie die mangelhafte Qualität der bei neuen Konkurrenten bestellten Waren erkennen, könnte einem gefährlichen Irrtum erliegen. Erste Analysen zeigen vielmehr, dass es Temu gelingt, die Käufer zu Wiederholungstätern zu machen.
Auf den ersten Blick mag das überraschen. Schließlich warnen sowohl Einzelhändler als auch Verbraucherschützer vor den neuen Anbietern – nicht zuletzt, weil der Zoll immer wieder gefälschte oder sogar gefährliche Produkte aus den Paketen zieht.
Viele Kunden kalkulieren jedoch ganz nüchtern. Ein Großteil der Produkte auf Temu ist auch auf Plattformen wie Amazon, Kaufland oder Ebay zu finden – dort allerdings oft zu einem Vielfachen des Preises. Dass dabei das eine oder andere Produkt aus China qualitativ enttäuscht, ist angesichts der niedrigen Kosten für viele Käufer bereits einkalkuliert.
Entscheidend ist jedoch: Temu, Shein oder Tiktok inszenieren eine völlig neue Art des Shoppings, bei der Erlebnis und Spaß im Vordergrund stehen. In einer übersättigten Gesellschaft mit vollen Schränken treffen sie damit genau den richtigen Nerv. Mit Gewinnspielen oder unterhaltsamen Videos animieren sie selbst Kunden zum Kauf, die eigentlich gar nichts brauchen.
Eine Päckchen-Gebühr der EU wird Temu nicht stoppen
Dank ausgeklügelter Analysetools und einer digitalisierten Lieferkette bringen sie Produkte zu aktuellen Trends auf den Markt, noch bevor die deutsche Konkurrenz diese überhaupt erkennt. Mit ihrer technischen Expertise werden sie vermutlich auch beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz eine Vorreiterrolle einnehmen und ihre Kunden noch gezielter ansprechen können.
Für die etablierten Händler bedeutet das: Selbst wenn die EU eine Paketgebühr von drei Euro pro Sendung einführt und die Zollfreigrenze von 150 Euro fällt, wird der Erfolg der chinesischen Anbieter kaum zu stoppen sein. Sie haben bereits bewiesen, dass sie sich schnell an neue Rahmenbedingungen anpassen können. Und selbst wenn Temu scheitert, werden neue Herausforderer aus Asien nachrücken.
Jeder Händler muss sich jetzt fragen: „Was kann ich meinen Kunden bieten, das sie bei Temu, Shein oder Tiktok nicht bekommen?“ Neben besonderen oder individuellen Produkten könnten das etwa ein Reparaturservice oder eine persönliche Beratung sein. Wer darauf keine Antwort hat, für den stellt sich früher oder später die Existenzfrage.