Kommentar: Ein Plädoyer für Optimismus


Es war offenbar als eine Art Gegenentwurf gedacht, als sich der große französische Philosoph Voltaire mit seiner satirischen Novelle „Candide“ gegen die seiner Meinung nach viel zu optimistische Weltanschauung seines ebenso großen deutschen Kollegen Gottfried Wilhelm Leibniz wandte.
Die Geschichte des gutgläubigen Candide beginnt im „herrlich friedlichen Westfalen“ und führt den Protagonisten auf eine Tour quer durch Europa bis nach Übersee, wo er mit vielfältigen Katastrophen, Verbrechen und anderen Unglücken konfrontiert wird. Mit diesen höchst unfreundlichen Anekdoten wollte Voltaire die extrem positiv gefärbte Grundhaltung Leibniz’ literarisch als widersinnig entlarven, so jedenfalls die verbreitete Meinung in der Philosophie.
Leibniz oder Voltaire? Optimist oder Pessimist? Welche der beiden Ansichten grundsätzlich richtig erscheint, ist bis heute philosophisch unbeantwortet.
Ob es allerdings generell besser ist, eine optimistische oder eine pessimistische Einstellung zu haben, ist eine psychologische Frage, auf die es eine klare Antwort gibt: Optimismus tut der Psyche wohl, wie nicht nur die Universität Mannheim in Studien belegt hat. Auch die Universität Zürich kommt zu eindeutigen Befunden: In Studien konnte ein positiver Einfluss von Optimismus auf die Gesundheit gezeigt werden. Personen mit einer optimistischeren Lebenseinstellung erleben „weniger Stress und Burn-outs und berichten von einer höheren Lebenszufriedenheit“.
Was heißt das nun eigentlich für uns gewöhnliche Berichterstatter, die ausschließlich der Wahrhaftigkeit verpflichtet sind? Die sich fast täglich mit komplexen Entwicklungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft auseinandersetzen? Die analysieren und bewerten und im Ergebnis dann aber doch oft mit einer negativen Färbung berichten, nicht selten angereichert um toxische Zutaten wie Häme und Schadenfreude?
Mangelnder Optimismus stärkt politische Extreme
Gewiss, die aktuellen Geschehnisse machen es alles andere als einfach, Optimist zu sein. Es läuft so vieles nicht optimal in diesem Land, und es regt die Bürger mitunter derart auf, dass sie sich zunehmend auch extremen Parteien zuwenden. Jenen Parteien des rechten oder linken Rands, die für sich in Anspruch nehmen, den Volkswillen nicht nur zu kennen, sondern auch zu exekutieren.
Jenen Parteien, deren Führungspersonal komplexe Sachverhalte so vereinfacht, dass oft nur schwarz oder weiß beziehungsweise Feind oder Freund übrig ist. Und die gerne Wohlstand für alle durch Hetze versprechen, obwohl am Ende für alle weniger bleibt, weil das Mittel der Wahl immer auch Protektionismus und Abschottung ist und weil Diffamierungen und Demagogie ein vergiftetes gesellschaftliches Klima schaffen, bei dem auch die Wirtschaft nicht wirklich gedeihen kann.
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Der bewusste Selbstversuch, Optimist zu sein und zu bleiben, lohnt sich also in jedem Fall. Manchmal hilft ein Schritt zurück, um die Lage nüchtern und hart an den Fakten orientiert zu analysieren und zu bewerten. Und dabei geht es nicht darum, etwas schönzureden. Grundsteuer-Wahnsinn, Deutsche-Bahn-Dauerverspätungen, hohe Energiepreise und eine veritable historische Haushaltskrise – all das sind große Ärgernisse, die nicht nur als Wachstumsbremsen, sondern auch als ideologische Brandbeschleuniger wirken.
Und doch sollte der Blick mindestens offen und sachlich bleiben. Denn: So vieles im großen ganzen Land funktioniert leidlich bis sehr gut und gibt Anlass, ohne jede Häme und Schadenfreude optimistisch in die Zukunft zu blicken.
Genügend Gründe für mehr Hoffnung
Deutschland hat mit Jonas Andrulis einen Start-up-Unternehmer, dem auch außerhalb der Landesgrenzen mit seiner Firma Aleph Alpha zugetraut wird, beim Megatrend Künstliche Intelligenz global ganz vorn dabei zu sein.
Deutschland hat mit Boris Pistorius einen Verteidigungsminister, der zwar erst noch unter Beweis stellen muss, dass er das viele bewilligte Geld für die Bundeswehr auch im Sinne der Verteidigungsbereitschaft intelligent ausgeben kann. Dem die Truppe dies mehrheitlich aber zumindest (wieder) zutraut.
Deutschland hat in Gänze Unternehmen, die im vergangenen Jahr deutlich (und endlich) mehr Geld in den Klimaschutz investiert haben als noch ein Jahr zuvor. Insgesamt hätten die Firmen und Konzerne 72,2 Milliarden Euro für den Klimaschutz ausgegeben, schreibt zumindest die KfW in ihrem Klimabarometer. Natürlich reicht das mittelfristig nicht aus, um alle Klimaziele zu erreichen. Aber es sind inflationsbereinigt immerhin 18 Prozent mehr als 2021.
Deutschland hat bei seinen Erdgasspeichern pünktlich zum Start der kalten Jahreszeit einen Füllstand von 100 Prozent erreicht. Das geht aus vorläufigen Daten des europäischen Gasspeicherverbands hervor. Die demnach verfügbare Menge entspricht in etwa dem landesweiten Verbrauch von zwei bis drei durchschnittlich kalten Wintermonaten.
Deutschland hat ein Verfassungsgericht, das dem demokratischen Grundverständnis von der Gewaltenteilung immer und immer wieder zur Ehre gereicht – wie es das Haushaltsurteil neuerlich bewiesen hat.






Und der Grundsteuer geht es womöglich als Nächstes an den juristischen „Kragen“. Die Demokratie funktioniert. Die Demokratie lebt. Und damit das auch so bleibt, sollten wir an Leibniz’ optimistische Grundeinstellung denken und sie mit ins neue Jahr nehmen.
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