Kommentar: Ein „Weiter-so“ ist keine Option


Timing ist alles – das gilt auch für China. Wenn die Volksrepublik an diesem Dienstag 75 Jahre alt wird, liegt eine Reformwoche hinter ihr, wie es sie lange nicht gegeben hat. Günstigere Kredite und ein staatlich verordnetes Vertrauenspaket sollen Nachfrage und Konsum ankurbeln.
Dafür nehmen Regierung und Zentralbank viel Geld in die Hand und lösen sich ein Stück weit aus ihrer selbstverschuldeten Schockstarre. Sogar weitere Reformen werden in Aussicht gestellt – viel für ein autoritäres politisches System, das nicht offen über seine Probleme spricht und Kritikern in den eigenen Reihen ein Sprechverbot erteilt.
Das ist positiv, aber für Lobeshymnen ist es noch viel zu früh. Die Immobilienkrise hat sich tief in die Strukturen gefressen, es wird Jahre dauern, die überschüssigen Wohnungen zu verkaufen und die Kommunalfinanzen in Ordnung zu bringen. Dass die Menschen kurzfristig mehr Zuversicht entwickeln, sollte man diese Woche sehen können, wenn die Menschen in der Feiertagswoche („goldene Woche“) konsumieren und Geld ausgeben. Ja, wenn sie es tun ...
Die Regierenden haben offenbar und womöglich gerade noch rechtzeitig begriffen, dass es ein „Weiter-so“ nicht geben kann. Es hätte den Legitimitätsanspruch in der Bevölkerung der 1949 von Mao Zedong ausgerufenen Volksrepublik, die nicht mit China gleichzusetzen ist, weiter beschädigt. Apropos, Taiwan war zwar Teil Chinas, aber nie der Volksrepublik. Deshalb ist diese Differenzierung so wichtig.
Der Anspruch des modernen Chinas beruht zentral auf einem ökonomischen Versprechen: dem Aufstiegsversprechen. Ja, das stimmt, das ist auch ein Narrativ der Kommunistischen Partei, das gebetsmühlenartig wiederholt wird. Es stimmt aber auch, dass der undemokratische kommunistische Staat kein anderes Versprechen zu bieten hat. Partizipation, Teilhabe, Menschenrechte – Fehlanzeige. Stattdessen staatliche Kontrolle und Unterdrückung der Opposition.
Die Basis des Machtanspruchs bröckelt
Wenn es dem autoritären Staat nicht mehr gelingt, für mehr Wohlstand zu sorgen als in früheren Generationen, bröckelt die Basis seines Machtanspruchs von innen. Das weiß man in Peking sehr wohl – und auch, dass die Chinesen weniger obrigkeitshörig sind, als man im Westen manchmal glaubt. Es wird kritisch wahrgenommen, wenn der Staat für Projekte in fernen Ländern Geld in die Hand nimmt, zu Hause aber die ohnehin niedrigen Einkommen stagnieren.



Die wirtschaftliche Basis ist auch für Chinas Beziehungen zur Welt entscheidend. Einerseits wäre die Gefahr groß, dass die Führung in Peking angesichts innenpolitischer Probleme nach außenpolitischer Ablenkung sucht, etwa in Form einer Eskalation in der Taiwanfrage.
Andererseits ist eine starke Wirtschaft die Basis für Chinas Weg zur Supermacht im geopolitischen Wettstreit mit den USA, Europa oder dem Nachbarn Japan. Die Führung weiß, dass sie sich keine „verlorenen Jahre“ leisten kann, weil sie in zentralen wirtschaftlichen Fragen erst zum Westen und zu Japan aufschließen muss.
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