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KommentarIn den USA schlägt die Stunde des Protektionismus

Joe Biden inszeniert sich aus wahltaktischen Gründen als Handelskrieger. Der Präsident schadet damit nicht nur der US-Wirtschaft, sondern der gesamten Welt.Jens Münchrath 15.05.2024 - 10:26 Uhr
US-Präsident Joe Biden spricht vor der Unterzeichnung eines Hilfspakets für die Ukraine, das auch die Unterstützung Israels, Taiwans und anderer Verbündeter umfasst, im State Dining Room des Weißen Hauses. Foto: dpa

US-Strafzölle in Höhe von hundert Prozent auf chinesische Auto-Importe – das ist eine neue Qualität. Und auch dem letzten Globalisierungsfreund dürfte spätestens jetzt klar sein: Der Konflikt zwischen den Vereinigten Staaten und China trägt inzwischen Züge eines veritablen Handelskriegs. Dieser Großkonflikt wird eine nachhaltige Wirkung auf die gesamte Weltwirtschaft entfalten. Und zwar keine positive.

Die jetzige Aktion des US-Präsidenten beschränkt sich nicht nur auf Elektroautos, sondern umfasst unter anderem auch Strafzölle auf Solarzellen, Halbleiter, Batterien und medizinische Produkte und ist zu großen Teilen der Wahlkampftaktik geschuldet. Joe Biden stellt sich im November zur Wiederwahl, in Umfragen liegt er hinter seinem Herausforderer Donald Trump zurück. Und Protektionismus hat immer schon funktioniert in amerikanischen Wahlkämpfen. Die Frage, ob die Maßnahmen gerechtfertigt oder WTO-konform sind, ist allenfalls zweitrangig.

Hundert Prozent Zoll – das klingt gewaltig, so soll es auch klingen. Schließlich war es Trump selbst, der diese Zahl Ende März ins Spiel brachte und vor einem erneuten „Blutbad für die amerikanische Autoindustrie warnte, sollte Biden diesen Zoll nicht durchsetzen. Am vergangenen Wochenende bot der Herausforderer gleich mal einen Strafzoll von  200 Prozent. Geht noch mehr? Was beide verschweigen: Der Markt-Anteil chinesischer E-Autos auf dem US-Markt beträgt nur ein Prozent. Als Gefahr für die nationale Sicherheit, mit der die US-Präsidenten ihren Protektionismus spätestens seit Trumps erster Amtszeit rechtfertigen, lässt sich das kaum glaubhaft darstellen.  Hinzu kommt: Biden selbst subventioniert die amerikanische Industrie, was das Zeug hält, und nennt das Industriepolitik, oder wahlweise „Inflation Reduction Act“. 

„America first" gilt für Biden wie Trump

Gerade in der Chinapolitik inszeniert Biden sich wie Trump als Handelskrieger. Er ließ nicht nur die Zölle seines Vorgängers weiterlaufen, erhöht sie jetzt teilweise sogar und er verhängte auch Exportverbote auf sensible Technologien wie Halbleiter.

» Lesen Sie auch: Neuer Sparkurs bei Mercedes – Autobauer will Entwicklung seiner großen Elektroplattform stoppen

Der einzige Unterschied zwischen Trump und Biden: Während der Ex-Präsident allen, die sich nicht gefügig zeigten, wahllos den Handelskrieg erklärte, nimmt der amtierende Präsident immerhin noch einigermaßen Rücksicht auf Verbündete.

Trotzdem wird sich Europa jetzt fragen müssen, wie es sich in dem eskalierenden Handelskonflikt zwischen den beiden größten Volkswirtschaften positioniert. Hier geht es um geoökonomische Grundsatzfragen: In den Handelskrieg mit einsteigen? Auch beim neuerdings als Industriepolitik getarnten Subventionswettlauf mitziehen? Die Antwort auf diese Fragen ist bei Weitem nicht so trivial, wie es auf den ersten Blick erscheint. 

Die Europäische Union wird demnächst selbst - immerhin WTO-konform - Strafzölle auf chinesische E-Auto-Importe verhängen  – und zweifelsfrei erhöhen die neuen US-Zollsätze den Importdruck auf Europa. Dennoch ist es aus ökonomischer Perspektive nicht immer die intelligenteste Strategie, mit gleichen Mitteln zurückzuschlagen – mögen die chinesischen Hersteller auch noch so mit staatlichen Mitteln gepäppelt werden, was es übrigens auch im Einzelfall zu beweisen gilt.     

Besonnenheit jedenfalls ist gerade in Handelsfragen aus Sicht Europas, das immer noch bestrebt ist, zumindest Reste einer regelbasierten und multilateralen Welthandelsordnung zu retten, der bester Ratgeber. Vor allem auch weil die meisten europäischen Volkswirtschaften – allen voran die deutsche – wesentlich exportabhängiger  sind als die USA, wo die Ausfuhren gerade einmal elf Prozent der Wirtschaftsleistung repräsentieren. In Deutschland sind es fast 39 Prozent.

Protektionisten ignorieren die Geschichte und die Erkenntnisse der Nationalökonomie

Es gibt nicht allzu viele bahnbrechende gesicherte Erkenntnisse der Ökonomie, diese gehört dazu: Der Protektionist schadet nicht nur dem anderen, sondern am Ende auch sich selbst. Strafzölle zahlen nicht die exportierenden Unternehmen des vermeintlichen ausländischen Rivalen, sondern die Kunden des Heimatlandes. Von Subventionen profitieren nicht nur die Unternehmen, die sie vom Staat erhalten, sondern auch die ausländischen Konsumenten, die sich über verbilligte Importe freuen dürfen.

Trumps geplanter Generalzoll auf alle US-Importe in Höhe von zehn Prozent käme einer gewaltigen Steuererhöhung gleich. Eigentlich gibt es ja nichts, was der Präsidentschaftskandidat mehr verabscheut. Nach Schätzung des konservativen Thinktanks Tax Foundation würde ein solcher Zoll eine halbe Million Arbeitsplätze in den USA vernichten. 

Was die möglichen  Auswirkungen eines solchen Handels- beziehungswiese Zollkriegs angeht, gibt es ein herausragendes historisches Beispiel. Es war nicht zuletzt der globale Zoll-Krieg, der in den 1930er-Jahren die verheerende Weltwirtschaftskrise auslöste.  Aber diese historische Anschauung ignorieren die gegenwärtigen Handelskrieger genauso wie die  Erkenntnis der klassischen Nationalökonomie, dass Protektionismus am Ende alle ärmer macht. 

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Mehr: Nach Zollentscheidung der USA: Europa droht der China-Schock

Erstpublikation: 14.05.2024, 17:48 Uhr.

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