1. Startseite
  2. Meinung
  3. Kommentare
  4. Impfstoffe: Lasst die Finger von den Patenten

KommentarLasst die Finger von den Patenten

Das gesamte Geschäftsmodell der modernen Pharmaindustrie funktioniert nur mit Patentschutz. Denn Risiken und Kosten der Forschung tragen allein die Originalhersteller.Siegfried Hofmann 11.05.2021 - 21:28 Uhr Artikel anhören

Firmen wie Biontech bietet sich nun die Chance, neue Investoren anzulocken.

Foto: Reuters

Mehr als 80 Staaten und Organisationen fordern eine vorübergehende Aufhebung der Patente für Covid-Impfstoffe und -Medikamente im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO), um den Kampf gegen die Corona-Pandemie in einkommensschwachen Ländern zu beschleunigen. Der Vorstoß hat neue Brisanz gewonnen, seit die US-Regierung überraschend Unterstützung für den geforderten „patent-waiver“ signalisierte.

Die Idee wirkt einleuchtend angesichts des nach wie vor bestehenden Mangels an Impfstoffen und hoher Infektionsraten in Ländern wie Indien. Dennoch ist sie falsch und gefährlich.

Eine solche Patentaufhebung würde kurzfristig an der globalen Knappheit gar nichts ändern und längerfristig ein falsches Signal senden.

Deutschland und die EU haben allen Grund, sich dem Antrag in der WTO zu widersetzen. Die beiden führenden mRNA-Impfstoffhersteller Biontech/Pfizer und Moderna sind dabei, ihre Produktionsnetzwerke massiv auszubauen. Sie steuern auf eine Produktion von vier Milliarden Dosen in diesem und mehr als sechs Milliarden Dosen im nächsten Jahr zu. Und sie sind bereit, einen Großteil dieser Produktion auch außerhalb der Industrieländer zu reduzierten Preisen zu verkaufen.

Weitere sechs bis sieben Milliarden Dosen peilen allein die westlichen Hersteller mit etablierten Technologien wie Johnson & Johnson, Astra-Zeneca und Novavax an, ganz zu schweigen von weiteren Produzenten in China oder Indien. Astra-Zeneca und die Oxford-University haben für ihr Vakzin auf breiter Front weltweit Lizenzen vergeben.

Patente fördern die Offenlegung von Wissen

Newcomer würden unterdessen für den Aufbau der neuartigen mRNA-Produktion mindestens ein Jahr und für die Beschaffung der nötigen Vormaterialien womöglich noch länger benötigen. Die Freigabe der Patente würde im Pandemiegeschehen frühestens 2024 irgendetwas bewirken, wenn mehr als genügend Impfstoffe der Originalhersteller zur Verfügung stehen.

De facto kann man den WTO-Vorstoß von Ländern wie Indien, Südafrika und China nur als Versuch werten, ihren Pharmafirmen generell schnelleren Zugang zur mRNA-Technologie zu verschaffen. Noch problematischer ist das grundsätzliche Signal, das mit einer Aufhebung von Patenten einhergeht. Denn das Patentrecht hat sich für die Welt als extrem segensreiches Instrument erwiesen.

Das Grundprinzip ist einfach: Der Erfinder legt seine Erfindung offen und erhält im Gegenzug dafür ein zeitlich begrenztes Monopolrecht für die kommerzielle Verwertung seiner Erfindung.

Patente fördern damit die Offenlegung von Wissen und stärken die Risikobereitschaft von Geldgebern, die Forschung finanzieren. Das Patentsystem ist damit zwar noch keine hinreichende, wohl aber eine notwendige Bedingung für das Aufblühen innovativer Industrien. Das gilt in besonderem Maße für die Arzneimittelentwicklung.

Nachahmer-Firmen könnten profitieren, während die Erfinder Verluste erleiden

Es ist vermutlich kein Zufall, dass praktisch alle pharmazeutischen Innovationen der letzten 100 Jahre in Ländern generiert wurden, die über ein funktionierendes Patentrecht verfügten.

Das innovative Pharmageschäft ist gekennzeichnet durch sehr große Risiken in der Forschung, entsprechend hohe Entwicklungskosten und niedrige Herstellkosten. Nachahmer-Firmen können sich daher einen Großteil der Kosten sparen, während die Originalhersteller bei Patentverlust drastische Umsatzeinbußen hinnehmen müssen. Das gesamte Geschäftsmodell der modernen Pharmaindustrie funktioniert nur mit Patentschutz.

Und noch essenzieller ist das System für junge Biotechfirmen, die keinerlei Einnahmen erzielen und daher jahrelang auf Risikokapitalgeber angewiesen sind, um ihre Forschung voranzutreiben. Ohne die Aussicht auf potenzielle Erträge aus patentgeschützten Erfindungen hätten diese Firmen und ihre Gründer keinerlei Chance.

Selbst unter den bisherigen Bedingungen mit funktionierendem Patentrecht haben sich gerade deutsche Biotechunternehmen schwergetan, Geldgeber zu finden.

mRNA-Technologie war großen Pharma-Konzernen zu riskant

Firmen wie Biontech oder Curevac waren mehr als zehn Jahre lang unterwegs und haben in dieser Zeit mehr als 400 Millionen Euro verbrannt, bevor ihnen die Covid-Pandemie jetzt eine Möglichkeit eröffnete, ihre Technologie zu beweisen. Moderna hat mehr als eine Milliarde Dollar eingesetzt, ohne dass wirklich klar war, ob mRNA funktioniert.

Etablierten Pharmafirmen wie Bayer und Merck schien die Technologie noch vor wenigen Jahren als viel zu riskant, um zu investieren. Und die meisten europäischen Regierungen hatten selbst Mitte des letzten Jahres, als Biontech und Moderna bereits starke Phase-2-Daten für ihre Impfstoffkandidaten vorgelegt hatten, kaum Vertrauen in die Impfstoff-Technologie der Biotechfirmen.

Verwandte Themen
WTO
Coronavirus
Medizin

Auch das macht deutlich, wie hoch die Risikobereitschaft der Geldgeber für solche Biotech-Start-ups sein muss. Deutschland und Europa haben in dieser Hinsicht ohnehin Nachholbedarf gegenüber den USA mit ihrem bisher deutlich besseren Finanzierungsklima für Biotechs.

Firmen wie Biontech bietet sich nun die Chance, neue Investoren anzulocken. Auch das ist ein Grund, nun im Streit über die Impfstoff-Patente klare Flagge zu zeigen.

Mehr zum Thema
Unsere Partner
Anzeige
remind.me
Jetziges Strom-/Gaspreistief nutzen, bevor die Preise wieder steigen
Anzeige
Homeday
Immobilienbewertung von Homeday - kostenlos, unverbindlich & schnell
Anzeige
IT Boltwise
Fachmagazin in Deutschland mit Fokus auf Künstliche Intelligenz und Robotik
Anzeige
Presseportal
Direkt hier lesen!
Anzeige
STELLENMARKT
Mit unserem Karriere-Portal den Traumjob finden
Anzeige
Expertentesten.de
Produktvergleich - schnell zum besten Produkt