Kommentar: Mützenich beschwört die Kanzlerdämmerung herauf

Der Finanzminister und der SPD-Fraktionschef beharken sich schon längere Zeit. Doch in einem Interview mit dem Handelsblatt brachte Christian Lindner seine Verärgerung über Rolf Mützenich selbst für Berliner Verhältnisse drastisch zum Ausdruck.
Der FDP-Chef warf ihm vor, innerhalb weniger Tage in der Sicherheits- und in der Haushaltspolitik die Grundsatzentscheidungen der Bundesregierung infrage gestellt zu haben. Mützenich sei die größte Gefahr für die Ampel.
Der Zoff um Mützenichs Querschüsse bei der Debatte über die Schuldenbremse und die Stationierung von US-Langstreckenwaffen erinnert fatal an das Ende der sozialliberalen Koalition im Jahr 1982.
Damals ging es auch um die Stationierung von Raketen: Die SPD verweigerte ihrem parteiintern ungeliebten Kanzler Helmut Schmidt die Gefolgschaft. Gleichzeitig versuchten die Sozialdemokraten, der FDP die Schuld für den Bruch der Koalition in die Schuhe zu schieben.
Sie begründeten das mit neuen wirtschaftspolitischen Vorstellungen der FDP im sogenannten Lambsdorff-Papier, das weitreichende Einschnitte im sozialen Bereich forderte.
Geschichte wiederholt sich nicht. Aber in diesem Fall gibt es erstaunliche Parallelen. Es ist auffallend, wie Mützenich die verteidigungspolitische Zeitenwende von Kanzler Olaf Scholz zurückdrehen will.
Verteidigungsminister und SPD-Hoffnungsträger Boris Pistorius muss sich von ihm anhören, er solle nicht dauernd von Kriegstüchtigkeit sprechen und damit das Militärische in die Gesellschaft pressen. Gleichzeitig ist die Verlängerung der Amtszeit der Wehrbeauftragten Eva Högl nicht sicher, weil sie mehr Geld für die Bundeswehr fordert.
Mützenich mag Scholz nicht beim Namen nennen, aber durch seine Maßregelung von Pistorius und Högl trifft er auch die Politik des Kanzlers. Um die pazifistischen und russlandfreundlichen Kollegen in der Fraktion zu befrieden, müsste er nicht zu solchen Mitteln greifen. Dem gelernten Außenpolitiker Mützenich passt einfach die ganze Richtung nicht.
Scholz kann nur tatenlos zuschauen
Hinzu kommt, dass der Streit immer lauter ausgetragen wird. Mützenich erinnert den Finanzminister daran, er solle doch seinen Job machen und seinen Widerstand gegen eine Reform der Schuldenbremse aufgeben. Der Finanzminister wiederum erinnert Mützenich an seine staatspolitische Verantwortung als Vorsitzender der größten Regierungsfraktion und fordert immer wieder Einsparungen im Sozialbereich.
Scholz schaut dieser Entwicklung nur tatenlos zu. In seiner letzten Pressekonferenz vor der Sommerpause betonte er pflichtschuldigst, mit Mützenich würde es prima laufen. Alles würde gemeinschaftlich entschieden. Doch das alles klingt nicht gut. Wenn Mützenich nicht aufpasst, dann ist er der unfreiwillige Dramaturg einer Kanzlerdämmerung.