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KommentarMut oder Selbstüberschätzung? Nawalny wusste, was ihn in Russland erwartete

Es war ein Foul mit Ansage: Gleich nach der Landung wurde Wladimir Putins schärfster Gegner verhaftet. Beide wussten, worauf sie sich einlassen. Aber niemand weiß, wer den Machtkampf gewinnt.Mathias Brüggmann 17.01.2021 - 20:12 Uhr Artikel anhören

Nützt der prominenteste Häftling Russlands jetzt der Opposition, und schadet er Wladimir Putin?

Foto: dpa

Mut muss man Alexej Nawalny ganz unbedingt attestieren. Der Kremlkritiker wusste, was auf ihn zukommt, als er am Sonntagnachmittag in Berlin den Flieger bestieg. Gleich nach der Landung wurde er erwartungsgemäß verhaftet. War es dann also Mut, zurückzukehren in das Land seines erbitterten Gegners, oder Übermut?

Der 44-Jährige weiß natürlich um das Schicksal russischer Dissidenten und Oppositionspolitiker: Ob vom Gulag-Schriftsteller Alexander Solschenizyn, der nach Lagerhaft und Jahrzehnten im US-Exil nach der Heimkehr kaum mehr eine bedeutende Rolle spielte.

Oder vom Kernphysiker Andrej Sacharow, der am Ende den Friedensnobelpreis bekam und sich in den Tauwetterjahren der Gorbatschow-Ära für die Öffnung der Sowjetunion einsetzen konnte. Oder vom Ölmilliardär Michail Chodorkowskij, den Kremlchef Wladimir Putin zehn Jahre in Haft werfen ließ und der heute aus dem Exil die Opposition finanziert. Oder von der in Moskau ermordeten Journalistin Anna Politkowskaja und den im Ausland vom russischen Geheimdienst ermordeten Exilanten.

Nawalny konnte also bei seiner Kalkulation zweierlei Dinge berücksichtigen: Ermordet werden kann er auch im Ausland – so weit reicht der lange Arm des Kremls. Aber aus dem Ausland oder zu lange im Exil lebend ist der Einfluss in der alten Heimat schwach und verblassend.

Es gab also gute Gründe zur Heimkehr für Nawalny, der sein Land von der Korruption befreien und eine Elite abräumen will, die nicht an die Menschen im Riesenreich, sondern nur an den eigenen Vorteil denkt.

Und es erfordert sehr viel Mut, sehenden Auges in die Hände von Herrschern zurückzukehren, die ihn im August noch ermorden lassen wollten. Denn der Einsatz des Nervengifts Nowitschok ist für einfache Kriminelle nicht möglich, sondern erfordert den Einsatz des Geheimdienstes und somit Befehle von „oben“. Nawalny hat dies in Recherchen ziemlich lückenlos und bis hin zu einigen Namen nachgewiesen.

Da es sehr viel Mut erfordert, verbietet sich überhebliche Kritik. Aber die Frage nach einer möglichen Selbstüberschätzung Nawalnys ist zu stellen. Denn tot nützt er den gegen die endemische Korruption und den brutalen Machtmissbrauch in Russland kämpfenden Menschen wenig. Und zuletzt war der Anwalt Sergej Magnitzky in seiner Zelle zu Tode gekommen, nachdem ihm alle medizinisch nötige Hilfe in Haft verwehrt worden war.

Magnitzky hatte für den groß in Russland engagierten US-Investor Bill Browder gegen das Machtgeflecht aus Kreml, Gazprom, Rosneft und Justiz auch dann noch ermittelt, als dem Amerikaner trotz Milliarden-Investments längst die Einreise verweigert worden war. Wegen dieses gnadenlosen Vorgehens gegen den couragierten Anwalt wurde ein Sanktionsgesetz in den USA sogar Magnitzky Act getauft.

Nawalny will den Umsturz der korrupten Elite noch zu Lebzeiten erreichen, und er ist äußerst talentiert in seinem Kampf. Mit seiner Initiative „intelligentes Wählen“ – wo der jeweils aussichtsreichste Bewerber gegen den Kandidaten der Kreml-Partei „Einheitliches Russland“ unterstützt wird – hat er sich mächtige Feinde gemacht. Im russischen Wahljahr 2021 ist Nawalny eine ernst zu nehmende Gefahr für die Herrschenden.

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Dies ist er sicher auch als Isolationshäftling in Russland. Denn Nawalnys Schicksal hinter Gittern würde im Falle einer Verurteilung lange einen dunklen Schatten auf seinen Gegner Wladimir Putin werfen, der sich dann offensichtlich nicht anders zu helfen wusste.

Doch wäre ein aus dem Ausland heraus seinen Youtube-Kanal „Navalny live“ mit ebenso beißender wie mit Fakten bestens belegter Kritik füllender, in Freiheit lebender Nawalny für die Opposition sicher noch wichtiger. Und über das Internet kann Nawalny heutzutage in der (k)alten Heimat viel mehr ausrichten als ein Solschenizyn früher im Exil.

Mehr: Der Kremlkritiker ist in Russland festgenommen worden. Die Entscheidung, dorthin zurückzukehren, war im Vorfeld als „mutig“ bezeichnet worden.

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