Kommentar: Olaf Scholz sollte Nord Stream 2 im Ukraine-Konflikt als Hebel nutzen

Tatsächlich war die Gasröhre von Beginn an das Geopolitikum schlechthin.
Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie: Am Ende könnte Nord Stream 2 womöglich doch noch eine sinnvolle geopolitische Rolle spielen – jene Ostsee-Pipeline also, die Ex-Kanzlerin Angela Merkel stets als rein privatwirtschaftliches Projekt verstanden wissen wollte. Diese Sichtweise hatte Merkel im internationalen Politkonzert immer schon exklusiv. Tatsächlich war die Gasröhre von Beginn an das Geopolitikum schlechthin.
Das privatwirtschaftliche Projekt verprellte europäische Partner im Westen wie im Osten, es belastete das transatlantische Verhältnis – nicht nur in der Präsidentschaft Trumps, sondern auch in der Joe Bidens –, und es stärkte das System Putin: weil es dem Land Milliarden an Einnahmen beschert und weil es dem Autokraten ein Mittel an die Hand gab, die Ukraine zu erpressen.
Den letzten Beweis dafür, wie politisch eine schnöde Metallröhre sein kann, liefert nun die Tatsache, dass Nord Stream 2 als entscheidendes Druckmittel gehandelt wird, um Wladimir Putin von einer Invasion in der Ukraine abzuhalten. Die neue Regierung Olaf Scholz sollte Gebrauch davon machen – so absurd und schmerzlich es auch erscheinen mag, ein Zehn-Milliarden-Projekt nach Fertigstellung noch aufs Spiel zu setzen.
Der Preis ist es wert. Für Putin ist die Röhre mehr als eine Finanzquelle. Sie ist ein Prestigeprojekt. Zwar weiß niemand, ob Putin sich durch eine solche Drohung abhalten ließe. Mehr noch: Niemand weiß, ob er einen solchen Einmarsch überhaupt ernsthaft erwägt oder doch nur zündelt. Dass ihm der Einmarsch aber zuzutrauen ist, hat er mit der Annexion der Krim unter Beweis gestellt.
Und wer in Berlin glaubt, dass russisches Gas durch die Pipeline nach Europa fließt, während Putin – dieses Mal mit offiziellen Truppen – einen Krieg gegen die Ukraine führt, ist politisch naiv. Spätestens dann müssten die Verantwortlichen in Berlin einräumen, dass sie sich mit Nord Stream hoffnungslos verrannt haben.
Gasversorgung an Russland zu binden war immer ein Fehler deutscher Außenpolitik
Es war von Anfang an ein Fehler deutscher Außenpolitik, die Gasversorgung über eine weitere Ostseepipeline an ein Russland zu binden, das zunehmend autokratisch nach innen und imperialistisch nach außen agiert. Überhaupt konnte niemand die Berliner Melange aus Sanktionen gegenüber Moskau auf der einen und Pipeline-Connection auf der anderen Seite so recht verstehen. Die Unterzeichnung der Nord-Stream-Verträge gut ein Jahr nach der völkerrechtswidrigen Krim-Annexion gehört zu den größten außenpolitischen Fehlern der Ära Merkel, die an diesem Mittwoch endete.
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