Kommentar: „Tina“ prägt die New Yorker Börsen – den Anlegern fehlen die Alternativen
Die Ergebnisse, die vor allem die US-Unternehmen zuletzt vorgelegt haben, waren überraschend gut.
Foto: APMitten in der Coronakrise erklimmt der S&P 500 einen neuen historischen Rekord. Seit seinem Tief am 23. März hat der Index mehr als 50 Prozent zugelegt. Auch der Technologieindex Nasdaq hat einen neuen Rekord hingelegt. Und viele Beobachter fragen sich zu Recht: Wie kann das sein, dass die Konjunktur weltweit einbricht und die Börsen feiern?
Wir sind offiziell wieder im Bullenmarkt. Der Bärenmarkt, der mit Beginn der Corona-Pandemie begonnen hatte, war sogar der kürzeste seit 1929.
Die Finanzexperten haben sich als Antwort wieder einmal ein schönes Akronym einfallen lassen: „Tina“ – There is no alternative. Auf gut Deutsch: Irgendwo muss das Geld ja hin.
Die Zinsen sind so niedrig, dass sich Festanlagen oder Anleihen kaum lohnen. Außerdem kauft die Anleihen gerade eh die US-Notenbank Fed auf – auch jene mit schlechter Bonität. Gold ist auch schon extrem gestiegen.
Da bleibt den Investoren kaum etwas anderes übrig, als in Aktien zu gehen. Es ist auch nicht so, als hätten die Anleger wahllos an der Börse zugegriffen. Es sind vor allem Technologieaktien, die derzeit laufen und die Indizes treiben. Google, Apple, Netflix, Facebook und Microsoft sind die Aktien, die in diesem Jahr am meisten zugelegt haben.
Das macht auch durchaus Sinn. Denn wenn es einen Ort gibt, an dem die Menschen in der Pandemie mehr Zeit verbringen, dann ist es am Computer oder am Smartphone. Außerdem nehmen immer mehr große Technologiekonzerne zunehmend eine Rolle wie Versorger ein, die aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken sind.
Aber es spricht noch mehr für starke Aktien: Die Ergebnisse, die vor allem die US-Unternehmen zuletzt vorgelegt haben, waren überraschend gut. Auch weil die US-Regierung den Amerikanern mit Geschenken wie 600 Dollar pro Woche finanziell unter die Arme griff, ist der Einzelhandel besser gelaufen als erwartet.
Die Menschen sind zwar nicht mehr so viel in die Geschäfte gegangen. Aber dafür haben sie am Computer oft mehr bestellt als zuvor. Heimwerkermärkte wie Home Depot boomen und übertreffen alle Erwartungen. Das Gleiche gilt für den Einzelhandelsriesen Walmart.
Kann es also so weitergehen an den Märkten? Das ist nicht gesagt. Der Markt war und ist gedopt. Die billionenschweren Staatshilfen für Unternehmen und Verbraucher und Märkte haben den Konsum und den Markt in den USA künstlich angeheizt. Auch wer in den USA seinen Job verloren hatte in den vergangenen Monaten, konnte dank der Schecks aus Washington oft weiter shoppen gehen.
Einzelhändler wie Home Depot und Walmart mahnen schon jetzt, dass sie mit geringeren Staatshilfen wohl weniger verkaufen werden. Da muss die Konjunktur schon wirklich stark anspringen, dass sie diesen Einbruch mithilfe von neuen Jobs und neuer Kaufkraft wettmachen können.
Viel wird also davon abhängen, auf welches Hilfspaket sich Demokraten und Republikaner im Wahlkampf einigen können und wann der Impfstoff kommt. Doch auch bis dahin stellen sich viele Anleger die Frage: Wohin mit dem Geld?