Kommentar: Von der Leyen baut Luftschlösser

Keine Studie wird in Brüssel so häufig zitiert wie der Draghi-Report zu Europas Wettbewerbsfähigkeit. Die mehr als 300 Reformvorschläge, die der ehemalige EZB-Präsident Mario Draghi vor einem Jahr vorgelegt hat, sind laut EU-Industriekommissar Stephane Séjourné zur neuen „Wirtschaftsdoktrin“ der EU geworden.
Es wäre schön, wenn es so wäre. Denn Draghis Diagnose ist treffend, viele seiner Empfehlungen sind einleuchtend. Doch droht dem Bericht das Schicksal vieler Ruck-Reden: Erst werden sie groß gefeiert, dann schnell vergessen. Zum Jahrestag der Veröffentlichung lässt sich feststellen: Sein Appell zu mehr Europa (mehr Binnenmarkt, mehr EU-Finanzierung) ist an entscheidenden Stellen verpufft.
Hinzu kommt der einseitige Zolldeal, den Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit US-Präsident Donald Trump vereinbart hat und der europäische Unternehmen Milliarden kostet. Beim Handel steht Europa also heute eher schlechter als besser da.
Viele „Roadmaps“ und „Action Plans“
Beim Draghi-Bericht handelt es sich um eine Auftragsarbeit. Von der Leyen hat ihn bestellt, und der Sonderbeauftragte aus Italien hat ihr die gewünschten Stichworte geliefert. Jetzt kann die CDU-Politikerin ihre politischen Auftritte stets mit Draghi-Zitaten schmücken – auch an diesem Mittwoch wieder in ihrer „State of the Union“-Rede im Europaparlament.