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KommentarWas die Geschichte im Nahost-Konflikt lehrt – und was nicht

Es gibt kaum einen so historisch geprägten Konflikt wie den im Nahen Osten. Doch aus der Geschichte lässt sich zwar viel erklären, aber wenig Politik ableiten.Frank Wiebe 07.11.2023 - 09:00 Uhr
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Angriff auf Gaza-Stadt: 1948 kam es zum ersten von mehreren israelisch-arabischen Kriegen.

Foto: Reuters

Mit Entsetzen schaut die Welt auf den Krieg im Nahen Osten, der durch den Terrorangriff der Hamas ausgelöst wurde und auf beiden Seiten viele Opfer fordert.

Und wieder stellt sich die Frage wie schon seit Jahrzehnten: Warum ist kein Frieden möglich? Was muss noch passieren, damit die Friedfertigen auf beiden Seiten eine Chance bekommen? Wie ist es zu der heutigen Situation gekommen?

Die Geschichte kann helfen, die Gegenwart zu verstehen. Aber, und das ist traurig genug, sie gibt kaum Rezepte dafür her, das Leid zu lindern und das zugrunde liegende Problem zu lösen.

Dauerhafter Frieden ist selten ohne gegenseitiges Verständnis möglich. Die Palästinenser trifft keine Schuld an der Schoah, dem deutschen Massenmord an Juden. Trotzdem dürfte eine Einigung in Nahost schwierig sein, wenn sie nicht verstehen, welches Trauma dieses Ereignis für die Juden bis heute ist.

Aber auch die Palästinenser haben ein Trauma: die Nakba, die sich ebenfalls in den 40er-Jahren des vorigen Jahrhunderts abspielte, die massenhafte Vertreibung durch das neue Israel aus ihrer Heimat. Beide Ereignisse sind kaum vergleichbar. Aber beide bestimmen die Geschichte bis heute mit. Und einen Frieden kann es voraussichtlich nur geben, wenn die Juden Israels auch dieses Trauma verstehen.

Eine Zuflucht und eine verzweifelte Hoffnung

Zwei Völker wollen dieselbe Region als Heimat – das eine nennt sie Israel, das andere Palästina. Das eine verteidigt eisern den Staat, den es sich nach Jahrhunderten der Verfolgung als Zuflucht geschaffen hat.

Das andere hält verzweifelt die Hoffnung aufrecht, eines Tages in die Häuser zurückkehren zu können, von denen viele Familien die Schlüssel aufbewahrt haben. Können sie in zwei Staaten nebeneinander leben? Das ist schwierig. Oder zusammen in einem? Das ist vielleicht noch schwieriger.

Geschichte erklärt. Sie kann Verständnis mit sich bringen. Aber sie taugt nur wenig als Ratgeber für die Zukunft. Denn wenn es um Politik geht, wird sie meist nur einseitig erinnert und verstanden oder sogar rückwärts konstruiert. Wie viele Kriege sind schon mit einer angeblich historischen Mission geführt worden?

Es mag interessant sein zurückzuverfolgen, wer vor Tausenden von Jahren in der heute umstrittenen Region gewohnt hat. Aber daraus Besitzansprüche abzuleiten grenzt ans Absurde. Die Menschheit würde nicht überleben, wenn jeder an frühere Ursprungsorte zurückkehren wollte. Das beste Argument für das Existenzrecht Israels ist, dass dieser Staat existiert und lebt. Das beste Argument für einen Staat der Palästinenser ist, dass sie einen brauchen.

Auch die jüngere Geschichte, wer wem das Land wann versprochen hat, was eine Uno-Resolution gefordert hat, wer welche Siege errungen oder Niederlagen erlitten hat und wer wie die Chance zu Friedensverhandlungen verpasst hat: Das alles kann erklären, warum die Situation heute so schwierig ist.

Aber hilft es, die Zukunft zu gestalten? Gilt es da nicht eher, pragmatisch auszuloten, welche Kompromisse lebbar sein könnten? Welche Konzepte beiden Seiten ein Maß an Sicherheit und Chancen auf Wohlfahrt, aber eben auch gegenseitigen Respekt bringen könnten?

Die Geschichte lehrt allenfalls, dass Zäune und Mauern Probleme nicht lösen und oft nicht einmal eindämmen. Und dass der Hass immer weiterwächst, wenn Bevölkerungsgruppen mit ganz unterschiedlichen Rechten und Chancen eng beieinander leben.

Deutsche Verantwortung und Entlastungsstrategien

Was bedeutet das für Deutschland? Wir haben die historische Verantwortung für die Schoah und sind dadurch auch besonders eng mit der Geschichte Israels verknüpft.

Zehn Tage nach dem Terrorangriff der Hamas hat der Bundeskanzler Israel bei einem Besuch in Tel Aviv die volle Solidarität Deutschlands versichert.

Foto: dpa

Am 9. November, dem Jahrestag der Zerstörung jüdischen Lebens in Deutschland im Jahr 1938, von den Nationalsozialisten zynisch „Reichskristallnacht“ genannt, ist diese Verantwortung besonders zu spüren. Und sie reicht auch über den Schutz jüdischen Lebens in Deutschland hinaus bis in die Gegenwart hinein.

>> Lesen Sie auch: Innenministerium warnt vor Attacken auf jüdische Einrichtungen am Jahrestag der Reichspogromnacht

Manchmal wird die Verantwortung für den Staat Israel etwas missverständlich als „Staatsräson“ bezeichnet, obwohl dieser Begriff eher die Lizenz für Staaten meint, um der eigenen Existenz willen auch unmoralisch zu handeln. Auch hier fragt sich aber, ob die Geschichte hilft, für Deutschland eine konstruktive Rolle im Nahostkonflikt zu finden.

Zwei deutsche Entlastungsstrategien sind gängig. Entweder Israel bedingungslosen, aber wenig konkreten Beistand zuzusichern. Oder aber den Konflikt, entweder eher im Stillen oder verbrämt durch antikolonialistische Narrative, in seiner Scheußlichkeit gegen die moralische Last der deutschen Vergangenheit aufzurechnen.

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Beides taugt nicht viel. Es gibt zusätzlich leider noch eine dritte Variante: Das Problem des Antisemitismus weitgehend auf den Zuwanderern abzuladen, die den Nahostkonflikt zum Anlass für Hassparolen gegen Israel und Juden nehmen. Diese Entlastungsstrategie ist, wenn sie mit einem ungeklärten Verhältnis zur deutschen Vergangenheit zusammenfällt, besonders perfide.

Auch mit Blick auf die deutsche Verantwortung gilt: Die Geschichte gibt keine guten Ratschläge. Wenn es möglich ist zu helfen, muss das geschehen, auch im Rahmen der Europäischen Union. Viel mehr ist nicht zu hoffen und daher auch nicht zu versprechen.

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