Kommentar: Wirtschaftskrieg gegen China – Trump verspielt das Dollar-Privileg


Der amerikanische Politikberater James Carville hat den wohl bekanntesten politischen Lehrsatz der Gegenwart geprägt: „It’s the economy, stupid.“ Die Einsicht, dass Wirtschaft Wahlen entscheidet, leitet weltweit demokratische Debatten.
Etwas weniger eingängig, dafür aber um einiges gehaltvoller ist ein anderes, zumindest in den USA berühmtes Carville-Zitat: ein Spruch über die unheimliche Macht der Anleihemärkte.
Früher habe er davon geträumt, als Präsident, Papst oder Baseballspieler wiedergeboren zu werden, lautet dieser. „Aber jetzt würde ich als Anleihemarkt zurückkommen. So schüchtern Sie jeden ein.“
In den vergangenen Tagen hat sich einmal mehr gezeigt, wie recht Carville damit hatte. Die mächtigste Institution der Welt ist nicht die US-Regierung mit ihren Flugzeugträgern, Kampfdrohnen und Nuklearsprengköpfen. Es ist der Anleihemarkt. Wenn sich die Zinsen auf Staatsanleihen erhöhen, verringert sich der Handlungsspielraum der Politik – bis nichts mehr von ihm übrig bleibt.
Donald Trump hat sich Amerika untertan gemacht, er hat die Presse eingeschüchtert und Wirtschaftsbosse auf Linie gebracht. Gerichtsurteile ignoriert er, Checks and Balances existieren für ihn nur auf dem Papier.
Der Präsident steht faktisch über dem Gesetz. Aber die Anleihemärkte zwangen ihn in die Knie.
Chronik eines Scheiterns
Es begann mit dem „Liberation Day“: Mit willkürlich gesetzten Zöllen versetzte Trump die Finanzwelt in Aufruhr; stur hielt er an seinen Plänen fest, während die Börsen einbrachen. Erst als die Panik auf den Markt für Treasuries, wie amerikanische Staatsanleihen im Finanzjargon heißen, übergriff, gab Trump klein bei. Für 90 Tage, so verkündete er, setze er die gravierendsten Zollerhöhungen aus.
Die Märkte feierten die Entscheidung zunächst. Die Aktienkurse schossen in die Höhe, und die Anleihemärkte beruhigten sich wieder. Doch schon am Tag darauf ging es wieder abwärts, kehrte die Nervosität zurück.
Denn seine Zölle gegen China revidierte Trump nicht, er erhöhte sie sogar, um Peking dafür zu bestrafen, Gegenmaßnahmen ergriffen zu haben. Die Spannungen zwischen der Hegemonialmacht Amerika und ihrem Herausforderer aus dem Fernen Osten wachsen seit Jahren. Jetzt sind sie in einen offenen Wirtschaftskrieg umgeschlagen.
Die Eskalationsspirale dreht sich weiter. China hob am Freitag seine Zölle auf US-Produkte auf 125 Prozent an; für viele amerikanische Waren dürfte es in der Volksrepublik damit praktisch keine Abnehmer mehr geben.
Die Europäer schauen ungläubig zu, wie sich ihre wichtigsten Handelspartner gegenseitig in den Abgrund ziehen. Für Schadenfreude ist die Lage viel zu ernst. Trumps Zollkrieg kennt nur Verlierer. Offen ist nur noch, wie groß die Verluste werden.
Trump hat keine Strategie
China hat noch weitere Wohlstandsvernichtungswaffen im Arsenal. Das Land verfügt über gewaltige Mengen an US-Staatsanleihen. Wenn es diese auf dem Markt wirft, bricht der Dollar ein – mit dramatischen Folgen für die USA und den Rest der Welt. Schon jetzt verliert die US-Währung rasant an Wert, entziehen Investoren Amerika das Vertrauen.
Wo soll das enden? Trump hat offenkundig keinen Plan, auch wenn das Weiße Haus sich bemüht, das chaotische Hin und Her zur genialen Verhandlungsstrategie zu verklären. Seine eilig verkündete Zollpause war eine erste Kapitulation vor der Macht der Märkte. Die Chinesen vertrauen darauf, dass es nicht die letzte bleibt. Im Rückblick könnte die vergangene Woche den Zeitpunkt markieren, an dem Trump den Höhepunkt seiner Macht überschritten hat.
Doch das ist in diesen aufgewühlten Zeiten nur ein schwacher Trost. Im schlimmsten Fall kann sich der ökonomische Schlagabtausch zwischen den USA und China zu einer Finanzkrise hochschaukeln. Zumal weiterhin unklar ist, was in 90 Tagen, wenn Trumps Zollpause verstrichen ist, mit dem Rest der Welt geschieht. Selbst in der Pandemie war die Unsicherheit über die amerikanische Wirtschaftspolitik nicht so ausgeprägt wie jetzt, das zeigt ein entsprechender Index.
Die Quittung für das Chaos
Die Märkte werden den Trump-Schock nicht so schnell vergessen, wahrscheinlich werden die Investoren das Risiko, das von diesem Präsidenten ausgeht, in Form von dauerhaft höheren Zinsen einpreisen.
Als „exorbitantes Privileg“ bezeichnete der frühere französische Präsident Valéry Giscard d’Estaing einst die Möglichkeit der USA, sich in ihrer eigenen Währung zu günstigen Konditionen zu verschulden. Trump tauscht dieses Privileg gegen eine Risikoprämie ein – und behauptet weiterhin, der beste Dealmaker der Welt zu sein.
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Die Folgen der vergangenen Woche beschränken sich allerdings nicht auf das Ökonomische. Was für die Märkte gilt, sollte auch für die Politik gelten: Die Europäer müssen sich in Acht nehmen, noch mehr als bisher schon.




Er wird doch nicht, er kann doch nicht – viel zu lange hat Europa darauf vertraut, dass sich Trump schon irgendwie einhegen, besänftigen oder überzeugen lasse. Die vergangenen eineinhalb Wochen haben diesen Irrtum hoffentlich ausgeräumt, ein für alle Mal.
Wer bereit ist, mit seinem Land aus der Globalisierung auszusteigen, ist auch bereit, die Nato zu verlassen. Auf der Prämisse, dass Trump alles zuzutrauen ist, dass seine Irrationalität bis zur Selbstzerstörung reicht, muss Deutschlands Außen- und Wirtschaftspolitik von nun an beruhen.
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