Kommentar zum Weltfrauentag: Keine Angst, meine Herren!


Noch nie war der Dax so weiblich wie derzeit. Diese Frauen zeigen, wie man bis an die Spitze der deutschen Unternehmen kommt.
Sie scheinen nicht mehr aufzuhalten zu sein: die Frauen. Seit Januar 2022 wurden erstmals genauso viele Frauen in Dax-Vorstände berufen wie Männer. 16 an der Zahl. Die Parität ist damit erreicht – jedenfalls bei den Neuberufungen.
Die Folge: Nie war der Dax weiblicher als derzeit. Es gibt aktuell 59 Vorständinnen, zwei davon sind zudem CEO. Das sind zwar immer noch deutlich weniger als die 199 männlichen Vorstandskollegen und 38 CEO, aber dennoch ein Rekordwert.
Und auch sonst sind Frauen auf dem Vormarsch – auch jenseits der in den vergangenen Jahren in Deutschland eingeführten und nun wirksam gewordenen Quoten für die Vorstände und Aufsichtsräte börsennotierter und paritätisch mitbestimmter Konzerne.
Mit Marion Höllinger als neue CEO der Hypo-Vereinsbank (HVB) steht nun erstmals eine Frau an der Spitze einer großen deutschen Bank. Die viele Jahre hochherrschaftlich geführte Kommission Deutscher Corporate Governance Kodex wird mit der Ex-McKinsey-Beraterin und Multiaufsichtsrätin Clara Streit seit dem 1. März erstmals von einer Frau geleitet. Mit Sigrid Nikutta (Deutsche Bahn), Claudia Nemat (Telekom) und Bettina Orlopp (Commerzbank) stehen drei weitere Frauen bereit, einflussreiche deutsche Konzerne zu führen.
Eine Kanzlerin hat die deutsche Politik zwar nicht mehr zu bieten, aber mit Annalena Baerbock eine Außenministerin. Und die steht nicht nur ihre Frau im Amt, sie setzt sich auch für Frauen ein und betreibt jetzt erklärtermaßen „feministische Außenpolitik“.
Haben Männer noch Chancen auf Karriere?
Ich muss kein Mann sein, oder Mutter von vier Jungen, um zu verstehen, dass es manchem Mann, vor allem jungen, weißen Männern, die Karriere machen möchten, und kein Diversitätskriterium erfüllen, derzeit immer mal wieder angst und bange wird. Der kleine Unterschied ist mal wieder ein ganz großer – nur dieses Mal anscheinend zum Nachteil des männlichen, und zum Vorteil des weiblichen Geschlechts.
>> Lesen Sie hier: Die Vorständinnen-Revolution – Der Dax war noch nie so weiblich wie derzeit
Es stellt sich also die Frage: Haben Männer noch Chancen auf Karriere? Oder haben sie nun zur Abwechslung mal in der deutschen Wirtschaft so sehr das Nachsehen, wie es Frauen seit Menschengedenken hatten? Was tun sie neben all diesen Frauennetzwerken und Frauenförderprogrammen? Folgt auf das Patriarchat das Matriarchat?
Weit gefehlt: Es ist genug Karriere für alle da. Wir haben in Deutschland schon heute einen eklatanten Fach- und Führungskräftemangel. „Arbeiterlosigkeit“ nennt das Sebastian Dettmers, der CEO der Job- und Karriereplattform Stepstone. Dem jüngsten Fachkräftereport der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) zufolge, kann mehr als jedes zweite Unternehmen in Deutschland nicht mehr alle offenen Stellen besetzen – und das trotz einer unsicheren Wirtschaftslage.
Nicht die Frauen brauchen Gleichberechtigung am Arbeitsmarkt, alle brauchen sie
Angesichts dieses Mangels können wir es uns schlichtweg nicht mehr leisten, auf die Frauen, und damit auf die Hälfte unseres Arbeitskräftepotenzials zu verzichten. Und diese werden sich nicht bei eingeschränkten Aufstiegsaussichten, gesellschaftlichen Titulierungen wie Rabenmutter und schlechterer Bezahlung motivieren lassen. Nicht ohne Grund lautet das Motto des diesjährigen Internationalen Frauentags am 8. März: „Wer Fachkräfte sucht, kann auf Frauen nicht verzichten!“.

Die Managerin lernte bei ihrem Einstieg in den Bayer-Vorstand als eines der ersten deutschen Worte: Quotenfrau.
Frauenförderung ist zudem nur ein Übergangsmittel, die Frauenquote ein kurz- und mittelfristig notwendiges Übel. Ziel muss die Chancengleichheit sein. Es muss egal sein, ob jemand Männlein oder Weiblein oder divers ist. Entscheidend sollte sein, wie qualifiziert und motiviert jemand ist.
Bei diesem Übergang zu mehr Vielfalt in den Chefetagen kann es etwas rumpeln. Im öffentlichen Dienst ist das derzeit zu beobachten. Dort werden bei gleicher Qualifizierung vielerorts Frauen bevorzugt. Ist das die Diskriminierung des Mannes? Vielleicht. Ist es gerecht, wenn eine Generation junger Männer zum Großteil das wettmachen muss, was in den vergangenen Jahrzehnten versäumt wurde? Sicher nicht.
Der Weg zum Aufstieg in die Königsklasse des Dax ist für die Frau noch weit
Es ist aber aller Mühen wert. Nicht nur die Frauen brauchen Gleichberechtigung am Arbeitsmarkt, alle zusammen brauchen wir Gleichberechtigung am Arbeitsmarkt. Wir sollten nicht gegeneinander, sondern miteinander ringen. Denn die Zusammensetzung unserer Entscheidungsgremien entspricht noch nicht der Komplexität unserer Welt.
So pfleg(t)en einige Führungsgremien in der deutschen Wirtschaft doch noch sehr lange, wenn nicht gar bis heute den Stil der Kolonialzeit. Eine Handvoll weißer, älterer Herren entscheidet über Weltreiche in Form von global agierenden Konzernen mit Hunderttausenden von Mitarbeitern.
Wie weit der Weg bei allen Aufstiegen von Frauen auch etwa in die Königsklasse, den Dax, noch ist, das wurde mir klar, als ich dieser Tage auf Sarena Lin traf. Sie ist seit zwei Jahren im Vorstand von Bayer. Und jetzt raten Sie bitte mal, welches deutsche Wort sie als erstes lernte? Quotenfrau! Sie sei nämlich sogar eine doppelte Quotenfrau: erstens Frau und zweitens auch noch Nicht-Deutsche. Das heißt, sie brachte dem bis dato sehr männlichen und weißen Bayer-Vorstand gleich zwei Diversitätskriterien. Wie Lin damit umging? Sie sagte sich: Gut so, und jetzt erst recht mit aller Power.






Und überhaupt und sowieso: Kindermund, so heißt es sprichwörtlich, tut Wahrheit kund. Als ich unseren neunjährigen Sohn Caspar neulich fragte, was er eigentlich mal werden möchte, reagierte er mit präpubertärem Armehochreißen und Augenverdrehen, und erklärte: „Boah, Mama, ich will nichts werden. Ich bin doch schon ich!“





