Leserdebatte: Welche Lehren sollte die Bundesregierung aus den Landtagswahlen ziehen?
Die Ampelparteien mussten bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen schwere Niederlagen hinnehmen.
Foto: dpaBei den Ampelparteien ist die Enttäuschung über die Ergebnisse der Landtagswahlen in Hessen und Bayern groß, während die Union einen Doppelsieg feiert und die AfD deutlichen Zulauf verbucht. Wir haben die Handelsblatt-Leserschaft diese Woche gefragt, wie sie den Ausgang der Wahlen bewertet und was sie der Ampelkoalition jetzt rät.
Viele Leserinnen und Leser sind sich einig: Das Wahlergebnis ist ein Ausdruck der Unzufriedenheit mit der Bundesregierung.
Diese müsse dringend „der Bevölkerung Sicherheit zur Zukunftsfähigkeit unseres Landes“ vermitteln und dabei Herausforderungen „nicht morgen, sondern heute“ angehen, schreibt ein Leser. In der „derzeitigen wirtschaftlichen und weltpolitischen Lage“ müsse die Bundesregierung zudem anfangen, „die dringend nötige Zuversicht zu wecken und zu stärken“, schreibt eine andere Leserin. Es mangele auch an der „Geschlossenheit im öffentlichen Auftreten“, fügt ein Leser hinzu.
Das schlechte Abschneiden der Ampelkoalition sehen viele auch in der unklaren Kommunikation begründet. Die Bundesregierung müsse zeigen, dass sie die „Sorgen und Nöte der Menschen“ versteht und in die politische Agenda aufnimmt. Dabei dürfe sie sich nicht vor „unangenehmen Themen“ ducken, fordert ein Leser. „Klare und ehrliche Kommunikation“, heißt es in einer Zuschrift, kann „das Vertrauen in die Arbeit stützen“. So könne man auch „Protestwähler zurückgewinnen“, fügt ein weiterer Leser hinzu.
Es gibt auch vereinzelte Leser, die drastischere Konsequenzen fordern wie etwa eine Kabinettsumbildung. Ein Leser rät sogar zum „sofortigen Rücktritt“.
Für die aktuelle Ausgabe unseres Leserforums haben wir aus den unterschiedlichen Zuschriften eine Auswahl für Sie zusammengestellt.
Die Sorgen und Nöte der Menschen annehmen
„Der Frust über die Bundesregierung wurde nie zuvor so offensichtlich ausgedrückt wie bei den beiden Wahlen vom vergangenen Wochenende, dies ist auch für einen politischen Laien sehr gut nachvollziehbar.
Aber wie geht’s nun weiter? Die Ampel ist gut beraten, losgelöst von Parteiideologie, die Sorgen und Nöte der Menschen aufzunehmen und zu respektieren und daraus klare Schwerpunktthemen festzulegen, die nicht morgen, sondern heute angegangen werden müssen. Dabei darf man sich nicht vor unangenehmen Themen wie der Flüchtlingsproblematik ducken. Ziel muss es sein, der Bevölkerung Sicherheit zur Zukunftsfähigkeit unseres Landes darzustellen.
Und noch wichtiger: im Anschluss die Erkenntnisse mit einer Stimme zu kommunizieren. Dann könnte es auch mit der Ampel funktionieren – angesichts der vielen erfolgreichen Projekte der ersten zwei Jahre unter immens schwierigen Bedingungen, die bereits umgesetzt wurden.“
Udo Geisler
Eine beherzte Kabinettsumbildung
„Sicher ist es immer schwierig, vom Spielfeldrand kluge Empfehlungen abzugeben, das passiert leider jeden Tag viel zu oft.
Aber nach dem überdeutlichen Hilferuf der Bürger nach mehr Stabilität, Sicherheit und spürbarem Zupacken in dieser überaus schwierigen Gesamtsituation mit all ihren Sondereffekten hätte die Ampel in der Halbzeit eine historische Chance. Mit einer beherzten Kabinettsumbildung könnte sie zeigen, dass sie die Sorgen und Ängste der Bürger und Unternehmen verstanden hat und sich für die zweite Halbzeit neu und strategisch gestärkt aufstellt.
Eigentlich müsste man bei dem verhuschten und zögerlichen Kanzler ohne sichtbare Führungsstärke anfangen. Da das aber nicht passieren wird, könnte man das Kabinett nicht nach Quoten, sondern nach Kompetenzen zum Teil neu besetzen. Nancy Faeser müsste gegen Boris Pistorius ausgetauscht werden. Seine Aufgaben könnte die ebenfalls sehr kompetente und zupackende Marie-Agnes Strack-Zimmermann übernehmen. Und den ebenfalls etwas unglücklich agierenden Verkehrsminister Volker Wissing könnte man aus den eigenen Reihen durch Andreas Pinkwart ersetzen, der schon in NRW die Themen Digitalisierung und Mobilität erfolgreich gepusht hat.
Ob so oder anders, in jedem Fall sollte es eine deutliche, sichtbare und spürbare Veränderung und qualitative Verbesserung geben, die zeigt, wir haben verstanden!“
Jürgen Milz
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Politik erreicht nicht die Herzen der Wähler
„Leider erreichen Politikerinnen und Politiker mit ihrer Sprache oft nicht die Wellenlänge und vor allem nicht die Herzen ihrer Wähler. Entweder sprechen sie die Sprache der Politik – sachlich, nüchtern, phrasenhaft und wenig authentisch, oder sie polemisieren, versuchen, mit anheizenden Parolen, teilweise unterhalb der Gürtellinie beim politischen ‚Gegner‘, verletzend zu punkten.
Beides trägt in der derzeitigen wirtschaftlichen und weltpolitischen Lage nicht dazu bei, die so dringend nötige Zuversicht zu wecken und zu stärken, die uns Menschen in unseren jeweiligen Aufgaben handlungsfähig macht und bleiben lässt.
In Kontakt und Kommunikation mit den Menschen bleiben, deren Sorgen und Nöte hören, ernst nehmen und empathisch und authentisch darauf reagieren wäre eine verbindende Art und Weise, die es bräuchte, um Vertrauen zu schaffen. In der Sache und der jeweiligen Aufgabe und Position mutig agieren und entscheiden wäre der Weg, den es zum Bewältigen der anstehenden Erfordernisse bräuchte, um voranzukommen und die zukünftigen Herausforderungen annehmen und meistern zu können.
In einer bunten Koalition wie dieser ist es sicher nicht so einfach, das eigene Ego zurückzustellen und in den Dienst der Sache und der Wähler zu stellen und in einem begrenzten Zeitkorridor einen Konsens für eine sinnvolle Beschlussfassung zu finden.
Ich wünsche dabei viel Vertrauen, Zuversicht und gutes Gelingen.“
Monika Kattermann
Wer hoch fliegt, fällt tief
„Ich würde der Ampelregierung den sofortigen Rücktritt empfehlen. Wenn dieses Wahlergebnis der Führung der Ampelparteien nicht zu denken gibt, dann wird sich durch diese Ignoranz und Arroganz der Rechtsruck fortsetzen.
Die arbeitende Mehrheit sieht nicht mehr ein, dass das erwirtschaftete Steuergeld mit vollen Händen verschwendet wird. Man hat den Eindruck,wir hinterlassen der nächsten Regierung einen Scherbenhaufen. Eigentlich müssten sich alle Politiker hinterfragen und schämen.
Wer hoch fliegt, fällt tief.“
Peter Weindl
Das große Bild sichtbar machen, nicht im Klein-Klein verlieren
„Die Ampel hat gute Erfolge (zum Beispiel Energiesicherheit im letzten Winter, Ausbau von Photovoltaik plus 25 Prozent, große Unterstützung der Ukraine), welche die Bürger an der Urne nicht wertschätzen. Es gibt Defizite, die nicht sichtbar angegangen werden (z.B. konsequentes Umsetzen des Asylrechtes, Ausbau Windenergie minus 20 Prozent, langsame Entscheidungen bei der Unterstützung der Ukraine).
Klare und ehrliche Kommunikation über Erreichtes und Defizite, können das Vertrauen in die Arbeit stützen, dabei mit Zahlen wie zum Beispiel ‚ZEIT‘-Energiemonitoring arbeiten und weniger ausschweifende Worthülsen erzeugen. Das große Bild sichtbar machen, sich nicht im Klein-Klein verlieren.“
Gerd Müller
Das bestimmende Thema ist Migration
„Das bestimmende Thema ist nicht die jeweilige Landespolitik, sondern das Thema Migration. Hier sollte eine offene und ehrliche Analyse der aktuellen Situation getroffen werden. Über die Ehrlichkeit der Kommunikation kann man auch wieder die Protestwähler zurückgewinnen und der AfD die Meinungshoheit zu diesem Thema nehmen.“
Joachim Pietz
Die Menschen wollen Normalität
„Die Menschen wollen Normalität. Die hessische CDU und der grüne Koalitionspartner hatten keine Skandale, Herr Rhein hat diese Normalität verkörpert und ausgestrahlt.
Frau Faeser hat es ihm einfach gemacht. Bäumchen-wechsle-dich-Spielchen kommen bei uns Wählern nie gut an, und mit welcher Ignoranz und Arroganz Frau Faeser trotzdem mit dem Wahlslogan,
‚Die besten Kräfte für Hessen‘ angetreten ist, ist ehrlich gesagt erschreckend. Das Schlimmste daran ist, dass Frau Faeser erstens viel Geld damit verdient und zweitens, wie viel Geld Sie dafür ausgegeben hat, um diese ‚hohe Kompetenz‘ der Wahlkampfführung zu beauftragen.
Weiter weg von Normalität kann man nicht sein.“
Oliver Brosch
Natürlich rumpelt es
„Das starke Abschneiden der (Rechts-)Populisten offenbart, wie viele Wählerinnen und Wähler sich eine erschreckende Schlichtheit im politischen Denken erlauben und nach einer einfacheren Welt (zurück-)sehnen.
Natürlich rumpelt es lauter als in der Bonner Republik, wenn Deutschland zum ersten Mal von drei Parteien regiert wird. Damit klarzukommen ist aber nolens volens genauso zu erlernen wie mit sich veränderndem Klima, sich verändernden Migrationsbewegungen oder sich verändernder Sprache. Alles übrigens menschengemachte Phänomene.
Wer ‚Fuck you, Greta‘, ‚Danke, Merkel‘ oder ‚Gender-Gaga‘ als vermeintlich fundierte Position herausrülpst, der verabschiedet sich aus dem politischen Diskurs als Streit um Problemlösungen, entsagt dem realistischen Gestaltungsanspruch und zieht ins Sterbezimmer nostalgischer Sehnsüchte.“
Mauritz Faenger-Montag
Entscheidungen und Vorhaben transparenter vermitteln
„Das würde ich der Ampelregierung raten:
Die politischen Entscheidungen und Vorhaben müssen dem Wähler viel transparenter gemacht werden. Meines Erachtens sehen viele Wähler nur das Heute und ihren persönlichen Vorteil. Daher ist es dringend notwendig, auch die weitreichenden zukünftigen Konsequenzen für uns alle und Hintergründe des politischen Handelns deutlicher aufzuzeigen.
Allein ‚was das Volk will‘ reicht nicht, die Dinge sind zu komplex.“
Anne Hicking
Aufschreckende Wahlergebnisse
„Die aufschreckenden Wahlergebnisse erklären sich meines Erachtens zum Großteil mit Wählerfrust.
Es ist ein unverantwortliches Spiel mit dem Feuer, das in Bayern und Hessen überwiegend, wie ich vermute, von Rechtswählern aus Protest beziehungsweise Unzufriedenheit entfacht wurde.
Wie jede deutsche Bundesregierung sehe ich auch die derzeitig regierende Ampel in der Pflicht, gewissenhaft mit den Krisen ihrer Zeit umzugehen unter Beachtung offenkundiger Sorgen und Ängste der Bundesbürger. Verbesserungswürdig bei der Ampelkoalition dabei ist sicherlich durchgängige Geschlossenheit im öffentlichen Auftreten, nachvollziehbarer und für die Bevölkerung verständlicher Pragmatismus bei weittragenden Entscheidungen sowie Vermeidung interner Querelen in der Öffentlichkeit.
Vonnöten scheint mir darüber hinaus, politische Bildung, Demokratie- und Medienkompetenz bundesweit verstärkt in die Öffentlichkeit zu bringen – und damit möglichst jeden Bundesbürger zu erreichen und in die Lage zu versetzen, bei großer Unzufriedenheit mit Regierenden seinen Unmut in einer geeigneten Weise kundzutun. Nicht aber durch Abgabe einer Fruststimme für eine populistische Partei, wodurch die Demokratie letztlich geschwächt wird, indem eigentlich nicht gewollte Volksvertreter legitimiert werden.“
Frank Holtey
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