Morning Briefing: Krank, abgehängt, demotiviert – die Vergessenen im Bürgergeld

Bürgergeld: Umfrage zeigt Missstände / Innenminister: Neuer Anlauf fürs AfD-Verbot
Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser!
Diese Zahlen dürften die Debatte um eine Bürgergeld-Reform neu anfachen: 43 Prozent aller arbeitsfähigen Empfänger von Bürgergeld haben nach eigener Aussage noch nie ein Stellenangebot vom Jobcenter erhalten. 57 Prozent haben in den zurückliegenden vier Wochen nicht selbst nach einem Job gesucht. 45 Prozent davon gaben an, sie seien wegen einer psychischen oder chronischen Erkrankung nicht in der Lage, sich um einen Job zu kümmern.
Das zeigt eine repräsentative Befragung von 1.006 Erwerbsfähigen zwischen 25 und 50 Jahren, die mindestens seit einem Jahr Bürgergeld beziehen. Auftraggeber ist die Bertelsmann Stiftung.
Insgesamt erhalten derzeit rund 1,8 Millionen arbeitslose Menschen in Deutschland Bürgergeld, die grundsätzlich als erwerbsfähig gelten. Bisher gab es nach Angaben der Bertelsmann Stiftung keine verlässlichen Informationen, ob und wie intensiv die Betroffenen auf Jobsuche sind und wie gut die Jobcenter sie unterstützen. Die Befragung des Instituts für Angewandte Wirtschaftsforschung (IAW) im Auftrag der Stiftung soll diese Lücke nun schließen.
Knapp die Hälfte derer, die keinen Job suchen, begründet das mit zu wenigen passenden Stellen. 22 Prozent sagen, sie seien durch Pflege von Angehörigen oder Kinderbetreuung gebunden. Ein gutes Viertel erklärt aber auch, dass sich ihre finanzielle Lage mit einem Job nicht verbessern würde. Experten hatten vielfach kritisiert, dass sich Arbeit für Bürgergeldempfänger teilweise schlicht nicht lohne.

Elf Prozent gaben an, sich mit „Gelegenheitsarbeiten“ über Wasser zu halten. Die Bertelsmann-Experten sprechen eine klare Empfehlung aus: Personen, bei denen Schwarzarbeit vermutet werde, müssten künftig stärker zeitlich eingebunden werden – etwa mit geförderter Beschäftigung, die durch das Bürgergeld finanziert werde.
Wenn es hingegen etwa aus gesundheitlichen Gründen keine realistische Chance auf eine Integration in den Arbeitsmarkt gebe, „sollte ein Wechsel aus der Grundsicherung in ein besser passendes Unterstützungssystem wie die Sozialhilfe oder die Erwerbsminderungsrente geprüft werden“, fordert Tobias Ortmann, Co-Autor der Studie.
Innenminister wollen über AfD-Verbot sprechen
Die Innenminister von Thüringen und Niedersachsen, Georg Maier und Daniela Behrens (beide SPD), wollen mit ihren Amtskollegen bei der gemeinsamen Innenministerkonferenz in Bremen auch über ein mögliches AfD-Verbotsverfahren beraten. Das bestätigten die beiden Politiker Handelsblatt-Reporter Dietmar Neuerer.
Den konkreten Anlass, sich auf der Konferenz mit der Verbotsdebatte zu befassen, liefert die Neugründung der AfD-Jugendorganisation „Generation Deutschland“ (GD) am vergangenen Wochenende. Die habe sicherlich nicht zu einer Deradikalisierung der Partei beigetragen, sagte Maier. Das neue Führungspersonal verkörpere vielmehr „eine weitere Annäherung an das rechtsextremistische Vorfeld der AfD“.

Bedenken gegen künftigen Fed-Chef Hassett
Anleiheinvestoren haben offenbar bei der US-Regierung Bedenken gegen den früheren Trump-Berater Kevin Hassett als möglichen neuen Chef der US-Notenbank Fed geäußert. Das berichtet die „Financial Times“ unter Berufung auf Personen, die mit den bereits im November geführten Gesprächen vertraut seien.
Die Investoren befürchten demnach, dass Hassett zu willkürlichen Zinssenkungen neigen könnte, um den Wünschen von Präsident Donald Trump zu entsprechen, auch wenn die Inflation über dem Zwei-Prozent-Ziel der Fed liegt.
Trump hatte die Spekulationen um Hassett am Dienstag angeheizt, als er bei einem Termin mit seinem Wirtschaftsberater von der Anwesenheit eines „potenziellen Fed-Vorsitzenden“ sprach. Hassett gilt als Vertreter einer lockereren Geldpolitik.

Trump will Verbrauchsvorschriften lockern
Der US-Präsident hat angekündigt, Vorschriften zum Flottenverbrauch von Autos in den USA zu lockern. Er wolle die „lächerlichen und inakzeptablen“ Auflagen seines demokratischen Vorgängers Joe Biden beenden, sagte er im Weißen Haus.
Die bisherigen Richtlinien sahen vor, dass im Flottendurchschnitt des Modelljahres 2031 eine Gallone Kraftstoff für rund 50 Meilen ausreichen muss. Das entspricht etwa 4,7 Litern pro 100 Kilometer. Stattdessen solle nun ein Wert von 34,5 Meilen pro Gallone angepeilt werden – also etwa 6,8 Liter auf 100 Kilometer.
Dax-Dividenden sinken erstmals seit Corona
Egal ob Ukraine-Krieg, Energiekrise oder Dauerstagnation, eine Kennzahl stieg in Deutschland mit großer Verlässlichkeit: die Dividendenausschüttungen der Dax-Konzerne. Doch mit diesem Trend dürfte es im kommenden Jahr vorbei sein. Erstmals seit dem Corona-Frühjahr 2020 müssen sich Aktionäre 2026 wieder auf insgesamt niedrigere Dividenden einstellen.
Nach einer Prognose des Handelsblatts werden die 40 im Dax notierten Konzerne im nächsten Frühjahr zusammengerechnet knapp 52 Milliarden Euro für das vergangene Geschäftsjahr ausschütten. Das ist knapp eine Milliarde Euro weniger als in diesem Jahr.

Zwar dürften 26 Konzerne ihre Ausschüttungen erhöhen und vermutlich nur fünf die Dividende kürzen. Dennoch sinkt die Dividendensumme insgesamt – und das liegt an den einst dividendenstarken Autobauern. Deren Ausschüttung dürfte sich um dreieinhalb Milliarden Euro auf nur noch 7,2 Milliarden Euro reduzieren.
Klammert man die Autobauer aus, dann steigen die Dividenden im Dax auch 2026 um fast zehn Prozent. Allein die Allianz dürfte etwas mehr als sechs Milliarden Euro ausschütten und damit mehr als jeder andere deutsche Konzern.
Deutsche fliegen bei Bezos mit
Beim nächsten Weltraum-Kurztrip mit der Rakete von Amazon-Gründer Jeff Bezos sollen erstmals auch zwei Deutsche dabei sein. Michaela Benthaus, Ingenieurin bei der europäischen Raumfahrtbehörde Esa, und der frühere Raumfahrt-Ingenieur Hans Königsmann sollen gemeinsam mit vier weiteren Crew-Mitgliedern an dem Flug von Bezos’ Raumfahrtfirma Blue Origin teilnehmen, hieß es von dem Unternehmen. Einen Termin für den All-Ausflug gibt es noch nicht. Die etwa zehnminütige Reise führt die Crew auf eine Höhe von rund 100 Kilometern – inklusive kurzer Phase der Schwerelosigkeit.
Bemerkenswert: Benthaus ist seit einem Mountainbike-Unfall querschnittsgelähmt. Königsmann hatte bis 2021 bei der Konkurrenz von Blue Origin gearbeitet – dem Raumfahrt-Unternehmen SpaceX von Tech-Milliardär Elon Musk.

Lindner beaufsichtigt Steinbruch-Unternehmen
Irgendetwas hat in dieser Woche gefehlt … stimmt, gestern war schon Mittwoch, und wir hatten noch immer nichts über einen weiteren Job in Christian Lindners Anschlussverwendungsportfolio gehört.
Diese Lücke kann nun geschlossen werden. Der Ex-Finanzminister tritt nach Informationen von Handelsblatt-Politikchef Moritz Koch in den Aufsichtsrat des Kalksteinproduzenten Lhoist Germany ein, einer Tochter der belgischen Lhoist-Gruppe. Es handelt sich um die fünfte Funktion, die Lindner seit seinem Ausscheiden aus der Politik parallel übernimmt.
Es sei „ein Privileg, dass ich mich neu erfinden kann“, sagte Lindner vor zwei Wochen dem Handelsblatt. Wobei er offenbar auch an Traditionen anknüpft: Einer seiner Urgroßväter war vor mehr als hundert Jahren als Arbeiter und Sprengmeister im Kalkwerk Dornap in Wuppertal tätig.
Ob Kalkstein oder Koalition – das Sprengen scheint den Lindners im Blut zu liegen.
Ich wünsche Ihnen einen disruptiven Donnerstag.
Herzliche Grüße,
Ihr






Christian Rickens





