Morning Briefing: Das Kommunikationsdesaster der FDP – „Mit mir nicht, meine Herren!“
Landvermessung: Wo die deutsche KI Spitze ist
Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser,
wie für die meisten Dinge des Lebens haben die Deutschen auch in Sachen Künstliche Intelligenz (KI) ein passendes Untergangsszenario parat. Das geht in etwa so: Die US-Techkonzerne haben die Wagniskapital-Milliarden, die gewaltigen Rechenkapazitäten und die digitalen Vertriebsplattformen, die für Entwicklung und Betrieb von KI-Modellen wie ChatGPT nötig sind. Was können wir in Deutschland schon dagegen ausrichten?
Die Antwort: erstaunlich viel.
Gemeinsam mit dem Forschungsinstitut Prognos hat sich das Handelsblatt an eine Vermessung der deutschen KI-Landschaft gemacht.
Die Prognos-Experten werteten die Patentanmeldungen deutscher Konzerne, die Zitierungen deutscher Forscher mit KI-Bezug und die Downloads auf dem populären KI-Marktplatz Hugging Face aus. Das KI-Team des Handelsblatts unter der Leitung von Larissa Holzki ergänzte mit seiner Unternehmens-Expertise.
Das Ergebnis ist ein KI-Atlas, der zwar nicht überall blühende Landschaften zeigt, aber eben auch keine flächendeckende Versteppung.
- Geographisch liegen die wichtigsten KI-Cluster vor allem im Süden und Westen der Republik sowie in Berlin.
- Inhaltlich zeigt sich: Deutsche KI-Start-ups sind meist dann erfolgreich, wenn sie an konkreten KI-Anwendungen für Konzerne arbeiten – das sorgt für schnellen Cashflow und lindert den Druck, immer neues Wagniskapital suchen zu müssen.
- Die deutschen Konzerne, vor allem aus der Industrie, sitzen auf einem gewaltigen Datenschatz, mit dem sich KI-Anwendungen für ihr Kerngeschäft trainieren lassen. Sie müssten diese Chance aber noch konsequenter ergreifen.
- Die deutsche Forschung mit KI-Bezug ist Weltklasse, etwa in der automatischen Interpretation medizinischer Bilder. Der Haken, wie so oft: Aus bahnbrechenden Erkenntnissen werden zu selten bahnbrechende Geschäftsmodelle.
Und dann gibt es da noch Wunderkinder wie das erst in diesem Jahr gegründete Freiburger Start-up Black Forest Labs, dessen KI-Bildgenerator die US-Wettbewerber alt aussehen lässt. Weshalb neuerdings vermehrt Emissäre aus dem Silicon Valley am Rande des Schwarzwalds gesichtet werden. Firmengründer Robin Rombach empfiehlt: „Habt keine Angst vor den USA. Versucht es einfach von hier aus.“
Um „Transparenz herzustellen“ veröffentlichte die FDP gestern auf ihrer Website eine bis dahin parteiinterne Powerpoint-Präsentation. Sie behandelt detailliert Pläne zum Ampel-Aus – und auf sechs von acht Folien prangt fett die Überschrift:
„D-Day Ablaufszenarien und Maßnahmen“
Warum rennt eine Partei sehenden Auges derart in den Shitstorm?
Eine mögliche Erklärung: „D-Day" bezieht sich gar nicht auf die Landung der Alliierten in der Normandie, sondern auf die Hollywood-Schauspielerin Doris Day. Das würde Sinn ergeben, denn auffällig viele von Days Filmerfolgen lassen sich als Anspielung auf das Ampel-Ende lesen:
- „Mit mir nicht, meine Herren“
- „Eine zuviel im Bett“
- sowie (leider nicht an der Seite von Olaf Scholz): „Zaubernächte in Rio“
Die wesentlich wahrscheinlichere Erklärung: Die D-Day-Präsentation lag zum Zeitpunkt der Veröffentlichung durch die FDP bereits mehreren Redaktionen vor, darunter dem Handelsblatt. Eine Berichterstattung hätte sich ohnehin nicht mehr verhindern lassen, daher die Flucht nach vorn.
Die Absage der georgischen Führung an Beitrittsgespräche mit der EU hat in der Hauptstadt Tiflis und anderen Städten des Landes Proteste ausgelöst. In Tiflis versammelten sich bis in die späten Abendstunden mehrere Tausend Menschen am Parlamentsgebäude. Polizisten hielten die Menge auf. Staatspräsidentin Salome Surabischwili schloss sich dem Protest an.
Am Nachmittag hatte der nationalkonservative Ministerpräsident Irakli Kobachidse erklärt: Vor Ende 2028 werde Georgien nicht mit Brüssel über einen Beitritt verhandeln und bis dahin auch keine Haushaltszuschüsse der EU annehmen.
Georgien hatte im Dezember 2023 den Status eines EU-Beitrittskandidaten erhalten. Das Verhältnis zwischen Tiflis und Brüssel hat sich seitdem aber rapide verschlechtert. Die georgische Regierungspartei agiert zunehmend europakritisch und steht zudem unter dem Verdacht der Wahlfälschung.
Der russische Rubel hat seit Anfang August fast ein Viertel seines Wertes verloren. Am Mittwoch fiel er auf seinen niedrigsten Stand seit zwei Jahren. Die russische Zentralbank teilte am Abend mit, bis zum Jahresende keine Devisen mehr auf dem Inlandsmarkt zu kaufen. Dadurch stabilisierte sich der Markt am Donnerstag etwas.
Die schwache Währung verteuert Importe, weshalb die Inflationsrate in Russland weiter steigen dürfte. Offiziell prognostiziert die Zentralbank weiter eine Inflation von maximal 8,5 Prozent in diesem Jahr. Viele Verbraucher klagen allerdings über deutlich höhere Preissteigerungen bei Waren des täglichen Bedarfs. Butter wird in einigen Supermärkten nur noch in abgeschlossenen Vitrinen ausgestellt.
Russland erlebt offensichtlich die Grenzen seines „militaristischen Keynesianismus“: Um die westlichen Sanktionen abzufedern und die Rüstungsproduktion anzukurbeln, hat die russische Regierung gewaltige Geldmengen in die Wirtschaft gepumpt. Die staatlich stimulierte Nachfrage übersteigt die Produktionskapazität. Ein großer Teil des russischen Staatshaushalts wird zum Waffenkauf und für Truppensold verwendet, was wiederum die Inflation treibt.
Die Aktienmärkte sind von Rekord zu Rekord geeilt, beflügelt von der Lockerung der Geldpolitik. Die Konzentration des Booms auf wenige US-Techwerte macht inzwischen viele Anleger nervös. Das könnte dafür sprechen, sich durch Anleihen etwas mehr Sicherheit ins Depot zu holen, schreibt unser Finanzmarkt-Redakteur Frank Wiebe. Zumal die wahrscheinlich bevorstehenden weiteren Leitzinssenkungen der Europäischen Zentralbank die Kurse von älteren, höher verzinsten Anleihen steigen lassen könnten.
Euro-Unternehmensanleihen mit guter Bonität bieten derzeit eine Rendite von 3,45 Prozent. Im riskanteren High-Yield-Bereich sind sogar 5,19 Prozent drin.
Mit dem heutigen Tag verabschiede ich mich bis zum Jahresende, liebe Leserinnen und Leser. Ich habe aus den vielen Sonntagen im Dienste des Morning Briefing noch freie Tage abzufeiern. Und außerdem sind da vom Verfall bedrohte Bonusmeilen, die dringend weg müssen.
Meine Reise führt mich daher diesmal in entferntere Gefilde: In eine Stadt, deren wichtigste Branche in diesem Briefing eine Rolle spielt, und in der ein deutscher Literatur-Nobelpreisträger ein spätes Schlüsselwerk verfasst hat.
Ich wünsche Ihnen schon jetzt eine schöne Adventszeit, wie immer publizistisch hervorragend betreut von meiner Kollegin Teresa Stiens.
Herzliche Grüße,
Ihr
Christian Rickens
PS: In dieser Woche hatten wir Sie gefragt, was sie vom Trend hin zu einem härteren Führungsstil halten. Eine Auswahl der Antworten finden Sie hier.