Morning Briefing: Die Autoindustrie darf ihr Geschäftsmodell erstmal weiterfahren

Rückwärtsgang: Das Aus des Verbrenner-Aus
Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser!
Die EU legt den Rückwärtsgang ein und revidiert ihr ursprüngliches Ziel, bis 2035 keine neuen Verbrenner mehr auf Europas Straßen zuzulassen. Einen entsprechenden Gesetzesentwurf hat die EU-Kommission gestern in Straßburg vorgestellt. Statt einer Reduktion um 100 Prozent müssen die Hersteller ihre Emissionen bis 2035 nur noch um 90 Prozent verringern. Einen Zeitplan für ein komplettes Aus gibt es nicht mehr.
Jetzt beginnt in Brüssel aber auch in Wolfsburg, Stuttgart und München die große Rechnerei. Denn CO₂-Emissionen, die nicht-elektrische Fahrzeuge verursachen, müssen dann ausgeglichen werden – mithilfe klimaneutraler Kraftstoffe oder dem Einsatz von grünem Stahl. Dafür sollen die Hersteller nach 2035 CO₂-Gutschriften als sogenannte Credits erhalten.
Die deutschen Autohersteller sind trotzdem zufrieden. BMW etwa sprach von einem „wichtigen Schritt, dass die EU-Kommission nicht mehr Technologieverbote als Leitprinzip verfolgt, sondern die Zukunftsfähigkeit des Verbrennungsmotors anerkennt“.

Mein Kollege Roman Tyborski nennt die Entscheidung der EU in seinem Kommentar einen Erfolg der Autobauer in der Disziplin politische Einflussnahme. Er analysiert, dass die deutsche Autoindustrie darauf hoffe, ihr fossiles Geschäftsmodell noch so lange wie möglich erhalten zu können. Sie blende dabei aber offenbar aus, dass sie damit bereits auf allen Teilen der Welt stetig Marktanteile verliere.
Er ist sich sicher:
Langfristig könne sich mit der heutigen Entscheidung der Rückstand von Deutschlands wichtigster Industrie gegenüber der Konkurrenz in China, Japan und den USA vergrößern.
Einen Gruß aus dem Dunstkreis der Rückabwicklung schickt auch der US-Autobauer Ford. Das Traditionsunternehmen aus Detroit stellt gleich mehrere Strommodelle ein und will sich stattdessen auf „Bereiche mit höherer Rendite“ konzentrieren. So formulierte es der Leiter des Ford-Geschäftsbereichs für Verbrenner und Elektroautos, Andrew Frick.

Damit meint Ford vor allem Modelle mit Verbrenner- und Hybridantrieb. Eine schlechte Nachricht für die Förderer und Profiteure der Elektromobilität, die im Falle von Ford vor allem in Deutschland zu finden sind. Denn hierzulande fertigt das Unternehmen mittlerweile ausschließlich Elektroautos.
Europa rudert bei Sicherheitsgarantien zurück
Was die Europäer und die Amerikaner zu Beginn der Woche in Berlin auf dem Weg zu einem Waffenstillstand in der Ukraine beschlossen hatten, klang nach einem Durchbruch oder zumindest einem kleinen Durchbrüchchen. Doch in den Tagen nach der Euphorie überwiegt die Ernüchterung. „Wir sehen keine Anzeichen, dass Russland Frieden will“, sagte Finnlands Ministerpräsident Petteri Orpo gestern in Helsinki.

Bei der Zusage zu Sicherheitsgarantien durch multinationale Truppen rudern die europäischen Staaten langsam, aber sicher zurück. Polens Premier Donald Tusk erklärte mit Blick auf eine mögliche Ukraine-Friedenstruppe, die polnische Armee sei mit dem Schutz der eigenen Ostgrenze schon genug beschäftigt. Da ist es nicht verwunderlich, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in Den Haag „rechtlich bindende Zusagen“ für Sicherheitsgarantien forderte. Doch momentan sieht es eher so aus, als würden sich viele europäische Staaten am Ende doch noch wegducken.
Deutschlands Wohlstand ist einsturzgefährdet
Wenn ein Mann, der hauptberuflich marode Immobilien saniert, beim Betreten eines Hauses sagt, er mache sich „große Sorgen“ – würden Sie in das Haus einziehen? Vermutlich nicht. Nun, ich habe schlechte Nachrichten für uns alle. Der Mann in diesem Beispiel heißt Klaus Regling. Er saniert hauptberuflich keine Häuser, sondern Staaten, und das Objekt, über das er sich große Sorgen macht, ist Deutschland.

Regling war Chef des Euro-Rettungsfonds ESM, davor bei der EU-Kommission und dem Internationalen Währungsfonds (IWF). Im Interview mit meinem Berliner Kollegen Jan Hildebrand sagt er den besorgniserregenden Satz:
Bei einem maroden Haus würde man vermutlich sagen „abreißen und neu bauen“. Aber bei der deutschen Volkswirtschaft ist das wohl kaum eine Option. Um den Wohlstandsverlust zumindest einzudämmen, braucht es nach Reglings Einschätzung deshalb ein „so umfassendes Reformpaket, wie wir es bisher in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gesehen haben“. Konkret schlägt der Ökonom vor, das Arbeitsvolumen zu erhöhen – etwa durch die Streichung von zwei Feiertagen, die Abschaffung des Ehegattensplittings und einen späteren Renteneintritt.
Naturkatastrophen wieder sehr kostspielig
107 Milliarden Dollar – so viel haben Naturkatastrophen im vergangenen Jahr die globalen Versicherer gekostet. Das schätzt das Swiss Re Institute. Somit haben die versicherten Schäden aus Naturkatastrophen in diesem Jahr zum sechsten Mal in Folge die Marke von 100 Milliarden Dollar überstiegen. Sie liegen allerdings 24 Prozent unter dem Wert des Vorjahres.
Swiss-Re-Chefökonom Jérôme Haegeli sagt:
Zum Schutz von Leben und Eigentum sei es daher essenziell, verstärkt Prävention zu betreiben und Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Mit 83 Prozent der weltweit versicherten Schäden sind die USA der am stärksten betroffene Markt. Allein die Waldbrände in Kalifornien machten 40 Milliarden Dollar aus. In Deutschland hingegen sind die Schäden mit Versicherung unterdurchschnittlich ausgefallen – denn hierzulande gab es im vergangenen Jahr kaum nennenswerte Extremwetterereignisse.
Ein Schreibretreat hinter Gittern
Zum Abschluss werfen wir noch einen Blick auf den Blitzbestseller des ehemaligen französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy. Der hat jüngst 20 Tage in einem Pariser Gefängnis verbracht und darüber ein Buch mit dem Titel „Tagebuch eines Häftlings“ veröffentlicht.
In der ersten Woche hat sich das Buch fast 100.000 Mal verkauft – die Vorbestellungen übertrafen sogar den neuen Asterix-Comic. Sarkozy reiht sich damit in eine Riege von Männern unterschiedlicher Hintergründe ein, die ihre Bücher im Gefängnis verfasst haben: von Antonio Gramsci über Nelson Mandela bis hin zu Martin Luther King Junior und Adolf Hitler.
Dass der ehemalige französische Präsident nicht einmal drei Wochen hinter Gittern saß und trotzdem über seine Erfahrungen ein ganzes Buch schreibt, bringt ihm den Spott seiner Landsleute ein. Die Zeitung „Le Monde“ zitiert einen Leserkommentar:






Ich wünsche Ihnen einen guten Tag, an dem Sie sich nicht zu wichtig nehmen.
Es grüßt Sie herzlich
Ihre
Teresa Stiens
Redakteurin Handelsblatt





