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Morning BriefingDie Null-Covid-Blase: Olaf Scholz auf Staatsbesuch in China

Christian Rickens 04.11.2022 - 06:00 Uhr Artikel anhören

Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser,

was würde wohl passieren, wenn ab morgen ausschließlich Journalisten in deutschen Behörden säßen? Drei Prognosen, gespeist aus 25 Jahren Berufserfahrung:

    In amtlichen Dokumenten kämen Zahlenangaben nur noch in den Formen „rund 100“, „deutlich vierstellig“ oder „im Millionenbereich“ vor (die exakte Zahl war nämlich auf die Schnelle nicht zu finden, siehe nächster Punkt).Mit der Arbeit an Verordnungstexten würde grundsätzlich am Tag der Deadline begonnen und alle Verordnungen wären erst zwanzig Minuten nach Fristablauf fertig (30 Minuten, wenn der Chef nicht anruft und drängelt).Verwaltungsentscheidungen würden vor allem nach der Maßgabe gefällt, welches Votum das überraschendere ist.

Insofern ist es gut, dass die höhere deutsche Beamtenschaft überwiegend aus Juristen besteht, denen die Rechtssicherheit ihres Wirkens wichtiger ist als der Unterhaltungswert. Aber dafür beschert uns der Staat ein anderes Problem: Seit Jahren verspricht er, seine Bürger von zu viel Bürokratie zu entlasten. Stattdessen kommen immer neue Vorschriften und Anforderungen. Die jüngsten Nachtmahre heißen Grundsteuererklärung und Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Dabei wäre ein Abbau von überflüssigen Vorschriften ein Konjunkturprogramm zum Nulltarif – Bürokratie kostet ein typisches mittelständisches Unternehmen 2,5 Prozent seines Jahresumsatzes.

In unserem Freitagstitel gehen die Hauptstadt-Reporterinnen Heike Anger und Teresa Stiens dem deutschen Bürokratiewahnsinn auf den aktengrauen Grund. Sie erklären eindringlich, warum neue Regeln so leicht entstehen und warum sie so schwer wieder zu schleifen sind.

In einem Bürokratie-Alphabet listen die Autorinnen zudem 26 besonders komplizierte bis absurde Vorschriften auf und nennen Wege, wie sie sich vereinfachen ließen. Angefangen mit der A1-Bescheinigung, die auch Sie sicher auf jeder Dienstreise ins EU-Ausland mitführen – oder etwa nicht?

Zu den immer wieder kolportierten Mythen zählt, der öffentliche Sektor könne nicht effizienter funktionieren, weil er „kaputt gespart“ werde. Zumindest was die Personalausstattung angeht, kann davon keine Rede sein, wie unsere Grafik zeigt. Die Zahl der Stellen im öffentlichen Sektor ist seit 2010 deutlich gestiegen. Vermutlich ist es vielmehr so, wie es der langjährige Chef des Normenkontrollrats, Johannes Ludewig, im Handelsblatt formuliert: „Alle rufen nach zusätzlichen Planstellen, aber niemand überprüft, was mit den vorhandenen Ressourcen tatsächlich geleistet werden kann.“

In Europa wächst die Sorge, dass die USA mit üppigen Staatsbeihilfen Investitionen absaugen und die europäische Wirtschaft zusätzlich schwächen könnten. „Die USA eröffnen faktisch ein Subventionsrennen und diskriminieren womöglich europäische Anbieter“, sagt EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton im Handelsblatt-Interview. „Es ist bedauerlich, dass unsere sogenannten gleichgesinnten Partner zu solchen Mitteln greifen“.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck warnt sogar vor einem neuen Handelskrieg. Eine transatlantische Taskforce soll ab heute Wege suchen, um den Konflikt zu lösen.

Foto: TOM BRENNER/The New York Times/R

Hintergrund des Streits: 400 Milliarden Euro Steuergeld lenkt die US-Regierung in die klimaneutrale Industrie, allein 260 Milliarden Dollar in den Ausbau von Solar-, Wind- und Wasserkraft. In der Europäischen Union wächst die Furcht, dass dieser Mitte August von Biden unterzeichnete „Inflation Reduction Act“ europäische Firmen zu Produktionsverlagerungen in die USA anreizt.

Vor allem für deutsche Unternehmen werden die USA dank ihrer billigen Energie immer attraktiver. „Was die Amerikaner im Moment machen mit dem ‚Inflation Reduction Act‘ ist eine wahnsinnige Förderung, ich würde sagen, eine Überforderung, eine Subventionierung“, sagte Habeck gestern bei einer Veranstaltung in Berlin.

Man kann die Sache auch ganz anders sehen: Die USA tun endlich etwas, um zumindest ein kleines bisschen Dekarbonisierung zu betreiben. Im Kampf gegen den Klimawandel ist das weit effizienter, als wenn Deutschland weiterhin das zunehmend unrealistisch anmutende Ziel verfolgt, bis 2045 klimaneutral zu werden, analysiert Handelsblatt-Chefökonom Bert Rürup. Denn: „Dem Weltklima nutzt nur eine globale Klimapolitik, bei der das CO2 konsequent dort eingespart wird, wo es sich am billigsten vermeiden lässt.“

Übersetzt in die Praxis bedeutet das laut Rürup: Letztlich müssen vor allem die USA, China, Indien sowie die europäische Staatengemeinschaft der Welt eine Antwort darauf geben, wie rasch aus der besonders klimaschädlichen Kohleverstromung ausgestiegen werden kann – ohne, dass Energie insgesamt wesentlich teurer wird.

Foto: dpa

Olaf Scholz ist zu seinem eintägigen Staatsbesuch in Peking eingetroffen. Dort dürfen sich der Kanzler und seine Delegation nur in einer streng von der Außenwelt abgeschotteten „Blase“ bewegen. Jeder, der von außen mit der Besuchergruppe in direkten Kontakt kommt, muss anschließend für sieben Tage in Quarantäne, eingesperrt in einem Hotelzimmer.

Von den Deutschen vor Ort sind daher nur wenige bereit, sich in diese „Besucherblase“ zu begeben. Einer davon ist Jens Hildebrandt, Chef der Deutschen Handelskammer in China. Er hat sich bereits vor der Scholz-Visite im Diaoyutai-Staatsgästehaus in Isolation begeben. Hildebrandt will die Delegation persönlich über die Lage in China und die Stimmung der Firmen vor Ort informieren – auch, weil es so viele heikle Themen gebe.

Insbesondere nach der Machtdemonstration von Parteichef Xi Jinping auf dem Parteitag Mitte Oktober müsse man damit rechnen, dass künftig „Ideologie und Sicherheitsüberlegungen den Pragmatismus der Vergangenheit überschatten“, sagt Hildebrandt dem Handelsblatt. Enttäuscht wurden Hoffnungen auf eine Abkehr von der strikten Null-Covid-Politik. Diese liegt laut Hildebrandt „wie Blei“ auf dem Wachstumspotenzial der Wirtschaft in China.

Das Handelsblatt ist in Peking dabei und hält sie heute über alles Relevante auf dem Laufenden, was es rund um den Scholz-Besuch zu berichten gibt – innerhalb und außerhalb der Blase.

Selbstreferentiell hat dieses Briefing begonnen, und so soll es auch enden. Katy Perry, Pop-Idol der Generation Instagram, hat auf Twitter ein Bekenntnis abgelegt, das das Herz jedes Journalisten erwärmen dürfte: Eines ihrer liebsten Geräusche sei das „einer frischen Tageszeitung, gelesen während eines einstündigen Frühstücks“, das „Umblättern, das Herumkritzeln im Kreuzworträtsel...“. Die 38-Jährige beendet ihre Liebeserklärung an den gedruckten Journalismus mit einem Wunsch: „Ich hoffe, das wird niemals unmodern in unserer digitalen Welt. Es ist so romantisch.“

Ich wünsche Ihnen einen Wochenausklang, an dem es nicht nur beim Umblättern knistert.

Herzliche Grüße

Ihr

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Christian Rickens

Textchef Handelsblatt

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