Morning Briefing: Gaskraftwerke und Industriestrompreis – Koalition sendet Lebenszeichen
Koalitionsausschuss: Ich weiß, was ihr gestern Abend getan habt
Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser!
Den versprochenen Herbst der Reformen wird’s in diesem Jahr wohl nicht mehr geben. Aber immerhin: Die Bundesregierung hat mit dem gestrigen Koalitionsausschuss signalisiert, dass sie noch handlungsfähig ist. Die drei wichtigsten Beschlüsse:
- Für die Jahre 2026 bis 2028 soll ein verbilligter Industriestrompreis eingeführt werden. Bundeskanzler Friedrich Merz sprach von einem Zielpreis von fünf Cent pro Kilowattstunde.
- Die Koalitionspartner einigten sich auf eine Strategie zum Bau von neuen Gaskraftwerken. Sie sollen bis 2031 in Betrieb gehen, sagte Merz. Laut Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD) werden die neuen Kraftwerke technisch so ausgestattet, dass sie auch mit klimafreundlichem Wasserstoff betrieben werden können. Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) wollte darauf bei den ersten Kraftwerken eigentlich verzichten.
- Zum 1. Juli 2026 soll die Ticketsteuer im Luftverkehr sinken. Bundeskanzler Merz sprach von einer Größenordnung von etwa 350 Millionen Euro zugunsten der Luftverkehrsbranche in Deutschland.
Was gestern sonst noch beschlossen wurde, können Sie hier nachlesen.
Die Geheimnisse von Palantir
In der an hohen Börsenbewertungen nicht gerade armen Welt der US-Tech-Konzerne steht die Aktie des US-Softwarekonzerns Palantir für eine ganz eigene Stufe des Wahnsinns. An der Wall Street bringt es Palantir auf eine Marktkapitalisierung von 440 Milliarden US-Dollar. Das ist deutlich mehr als der Börsenwert des um ein Vielfaches umsatzstärkeren deutschen Softwarekonzerns SAP.
Und wer glaubt, der KI-Chipspezialist Nvidia sei mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 54 luftig bewertet, der sollte einen Blick auf Palantir werfen. Dort liegt das KGV bei 446. So viel Fantasie wurde selten an der Börse gehandelt.
Palantir entwickelt Software für die Analyse von großen Datenmengen, um in ihnen neue Zusammenhänge zu erkennen. Ein innovatives Geschäftsmodell, aber kein einzigartiges. Das deutsche Software-Startup Celonis beispielsweise macht Ähnliches.
Der Nimbus rührt aus dem Kundenkreis: Palantir arbeitet für Konzerne wie die Allianz, aber auch für Polizeibehörden, Geheimdienste und Streitkräfte in aller Welt. Vorstandschef Alex Karp sagte einmal:
Auch in einigen deutschen Bundesländern, etwa in Hessen, wird die Palantir-Software „Gotham“ für die Ermittlungsarbeit genutzt. Nach Darstellung des hessischen Innenministers Roman Poseck hat das die Zerschlagung der „Reichsbürger“-Gruppe um Heinrich Prinz Reuß ermöglicht.
Eine frühe Finanzierung erhielt Palantir vom Wagniskapital-Arm der CIA. Nimmt man dann noch den Umstand hinzu, dass der größte Aktionär und Chairman von Palantir niemand anderes ist als der rechtslibertäre Investor Peter Thiel, wird deutlich: Hier handelt es sich um kein normales Software-Unternehmen. Den Handelsblatt-Reportern Felix Holtermann und Thomas Jahn ist in monatelanger Recherchearbeit ein faszinierender Einblick in den vielleicht geheimnisvollsten Konzern der Welt gelungen.
Allianz und Siemens Energy erhöhen Prognose
Es gibt sie noch, die guten Nachrichten aus der deutschen Wirtschaft: Ermutigt durch ein Gewinnplus in den ersten neun Monaten hebt die Allianz ihre Prognose für das laufende Geschäftsjahr an. Der Vorstand rechne nun für das Gesamtjahr 2025 mit einem operativen Gewinn von 17 bis 17,5 Milliarden Euro, teilte der Versicherer mit. Das liege am oberen Ende der zu Beginn des Jahres ausgegebenen Zielspanne von 15 bis 17 Milliarden Euro.
Auch der einstige Krisenkonzern Siemens Energy hob gestern Abend seine Mittelfristprognose an. Der Umsatz stieg im Geschäftsjahr 2024/25 (Stichtag: 30. September) um 15 Prozent auf 39 Milliarden Euro. Der Gewinn verbesserte sich von 1,3 auf 1,7 Milliarden Euro. Im gerade angelaufenen Geschäftsjahr 2025/26 sollen die Erlöse nun um elf bis 13 Prozent zulegen bei einem Gewinn von drei bis vier Milliarden Euro.
EU plant Elektro-Auflagen für Flottenbetreiber
Nach Handelsblatt-Informationen arbeitet die EU-Kommission an einem doppelten Strategiewechsel. Das geplante Verbrenner-Aus ab 2035 soll gelockert werden. Gleichzeitig will die Kommission die Vorgaben für gewerbliche Fahrzeugflotten verschärfen.
Diskutiert wird den Informationen zufolge eine Elektroquote von 50 Prozent bis 2027 für neue Dienstwagen, Miet- und Leasingfahrzeuge. Bis 2030 sollen es 90 Prozent sein. Das Vorhaben „Greening Corporate Fleet“ soll am 10. Dezember vorgestellt werden.
Als „Corporate Fleet“ gelten dabei alle Fahrzeuge mit Unternehmenszulassung. Der Elektroanteil in Fahrzeugflotten in der EU betrug 2024 nur 12,4 Prozent und lag damit niedriger als bei Privatkunden. Die EU-Kommission wollte sich zu den Plänen nicht äußern.
Die Autoindustrie äußert bereits Unmut. „Aus unserer Sicht wäre das tödlich“, sagt ein Vertreter eines großen deutschen Autobauers. Widerstand kommt auch von Leasinggesellschaften und Vermietern wie Sixt, Hertz und Europcar, die viele E-Modelle wegen schwacher Nachfrage, teurer Reparaturen und sinkender Restwerte wieder aus dem Programm genommen haben.
Andererseits: Der beschleunigte Elektro-Umstieg würde alle Flottenbetreiber gleichermaßen betreffen, sodass sie die höheren Kosten vermutlich auf ihre Preise überwälzen könnten. Und von den Flottenbetreibern würde die Autoindustrie endlich jene stabile Nachfrage nach Elektrofahrzeugen bekommen, deren Fehlen sie bislang immer beklagt hat.
Die Mysterien der Bereinigungssitzung
Während Sie diese Zeilen lesen, werden 42 Abgeordnete des Deutschen Bundestags vermutlich ziemlich müde sein oder noch schlafen. Gestern Nachmittag begann die Bereinigungssitzung des Haushaltssauschusses. In dem meist bis in die Nacht andauernden Treffen räumen die 42 Ausschussmitglieder die letzten strittigen Punkte des kommenden Etats aus.
Sie sehen sich als letzte Verteidigungslinie gegen Geldhunger und Selbstherrlichkeit der Regierung. Das führte über Jahrzehnte zu einem außergewöhnlichen Korpsgeist im Ausschuss. Doch in letzter Zeit bröckelt der Zusammenhalt. Damit einher geht ein Bedeutungsverlust. Manch ein Ausschussmitglied spottet, „die kleinen Könige“ seien zu „Erfüllungsgehilfen der Regierung“ geschrumpft.
Die Handelsblatt-Politik-Reporter Jan Hildebrand und Martin Greive haben nachgezeichnet, was vom Mythos der Bereinigungssitzung noch übrig geblieben ist.
Zumindest ein Symbol des Korpsgeistes funktioniert noch: Für die Haushaltsdebatte im Plenum verabreden die Ausschussmitglieder traditionell ein Codewort, das jeder von ihnen in seiner Rede unterbringen muss. Beim Etat 2025 lautete es „Sommernachtstraum“.
Angesichts der restaurativen Stimmung im Land empfehle ich fürs nächste Mal „Wintermärchen“.
Ich wünsche Ihnen einen wohltemperierten Wochenausklang.
Herzliche Grüße,
Ihr
Christian Rickens
Textchef Handelsblatt