Morning Briefing: In deutschen Unternehmen grassiert eine ansteckende Krankheit – die Sparitis
Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser,
in deutschen Unternehmen grassiert derzeit eine ansteckende Krankheit – die Sparitis. Anzeichen für eine Infektion liefern Sätze wie:
Statistisch erhärten lässt sich das Ausmaß der Sparitis durch Zahlen der Anwaltskanzlei Freshfields, die dem Handelsblatt exklusiv vorliegen. Aus Sorge vor einer Rezession haben Unternehmen in Deutschland demnach 765 Milliarden Euro an Bargeld und kurzfristigen Einlagen angehäuft – so viel wie noch nie. Die absoluten Zuwächse lagen zwischen Januar und September bei 49,5 Milliarden Euro, nur im Corona-Jahr 2020 waren sie noch höher. Grundlage der Freshfields-Erhebung sind Statistiken der Bundesbank und der Europäischen Zentralbank über die Einlagen von mehr als einer Million Unternehmen.
Typischer Auslöser der Sparitis: Zukunftssorgen. Viele Firmen blicken eher pessimistisch ins nächste Jahr, wollen sich die Liquidität als Notpolster erhalten, treten deshalb auf die Kostenbremse und stellen Investitionen zurück. Andere Konzerne saugen sich auch deshalb mit Liquidität voll, weil sie im kommenden Jahr einen besonders hohen Investitionsbedarf sehen, etwa um auf grüne Energieversorgung umzustellen oder geschwächte Wettbewerber zu übernehmen.
Hinweis: Zu Therapiemöglichkeiten fragen Sie Ihren Unternehmensberater oder Wirtschaftsprüfer.
Wir bleiben beim Thema Gesundheit: Das System der Fallpauschalen sorgt in Deutschland dafür, dass kleine Krankenhäuser bisweilen komplizierte Operationen anbieten, um Einnahmen zu erzielen. Doch sie kommen nicht auf die nötigen Fallzahlen, um eine verlässlich hohe Qualität zu bieten.
Das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) hat in seinem aktuellen „Qualitätsreport“ erhoben, wie groß der Missstand tatsächlich ist. Der Report liegt dem Handelsblatt exklusiv vorab vor.
So wurde jede fünfte Brustkrebspatientin im Jahr 2020 in einer Klinik mit weniger als 25 Fällen pro Jahr behandelt. Im Jahr 2016 war es noch knapp jede vierte. „Man muss sich vor Augen halten, dass 25 OPs pro Jahr etwa einem Eingriff alle zwei Wochen entsprechen“, erklärt Jürgen Klauber. Der WIdO-Geschäftsführer sagt weiter:
Unter diesen Umständen kann man nicht davon ausgehen, dass es ein eingespieltes Team mit ausreichend Routine und eine eingespielte Prozesskette gibt. Die Folge dieser, so Klauber, „Gelegenheitschirurgie“: mehr Todesfälle als nötig.
Immerhin: Eine von Gesundheitsminister Karl Lauterbach angestoßene Klinikreform zielt zudem darauf, dass aufwendige Behandlungen künftig nur noch in darauf spezialisierten Kliniken mit einer entsprechend hohen Fallzahl vorgenommen werden.
Gestern habe ich an dieser Stelle von dem Interview berichtet, das unser US-Team mit dem Gründer der insolventen Kryptobörse FTX geführt hat. Nun wurde Sam Bankman-Fried überraschend auf den Bahamas festgenommen. Das teilte der zuständige Generalstaatsanwalt Ryan Pinder mit.

Der Schritt sei erfolgt, weil die USA eine strafrechtliche Klage gegen den 30-Jährigen Bankman-Fried eingereicht hatten und seine Auslieferung fordern könnten, wie es in der Mitteilung weiter heißt. Im Raum stehen Betrugsvorwürfe in Milliardenhöhe. Bankman-Fried hatte im Interview mit dem Handelsblatt Fehler eingeräumt, jedoch kriminelle Verantwortung von sich gewiesen.
Ein eingetragener Verein braucht in Deutschland mindestens sieben Mitglieder. Die Rechtsform würde also gut passen zum Klimaclub der G7-Staaten, dessen Gründung Bundeskanzler Olaf Scholz in den vergangenen Monaten vorangetrieben hat.
Gestern verabschiedeten die Staats- und Regierungschefs der sieben wichtigsten westlichen Wirtschaftsmächte eine Satzung. Die Idee: Länder mit großen Ambitionen gehen im Klimaschutz gemeinsam voran, zum Beispiel durch...
Im besten Fall soll das Beispiel der G7-Staaten inspirierend auf andere Länder wirken, die dann dem Klimaclub beitreten können. Klingt nach einer guten Idee – die jetzt nur noch mit Inhalt gefüllt werden muss.
Eine große Mehrheit der EU-Staaten hat sich gestern Abend auf das Einfrieren von für Ungarn vorgesehenen Zahlungen aus dem EU-Haushalt verständigt. Die gesperrte Summe soll jedoch nicht so hoch ausfallen wie von der EU-Kommission vorgeschlagen, bestätigten mehrere Diplomaten der Deutschen Presse-Agentur nach einer Sitzung der ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten in Brüssel. Statt 7,5 Milliarden sollen nur 6,3 Milliarden Euro eingefroren werden bis die rechtsnationale Regierung von Ministerpräsident Viktor Orban ihre Versprechen zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit komplett umgesetzt hat.

Ebenfalls geeinigt haben sich die EU-Staaten auf eine Richtlinie zur internationalen Mindeststeuer. Ziel der Richtlinie ist es, die Verlagerung von Unternehmensgewinnen in Steueroasen zu verhindern. Internationale Firmen mit mindestens 750 Millionen Euro Umsatz pro Jahr sollen demnach unabhängig von ihrem Sitz mindestens 15 Prozent Steuern zahlen.
Und dann ist da noch Manuel Göttsching, Pionier der elektronischen Musik, der wie gestern bekannt wurde bereits am 4. Dezember gestorben ist. Sie fühlen sich jetzt ein bisschen banausig, weil Ihnen der Name des Herren nichts sagt? Ich kannte ihn auch nicht, bis ich gestern Abend in der „Süddeutschen Zeitung“ seinen Nachruf las und mich spontan beim Schreiben dieses Morning Briefings von Göttschings Schlüsselwerk „E2-E4“ von 1981 musikalisch begleiten ließ. Laut „Süddeutsche“ eine „Meditation über zwei Akkorde, um die herum Sequencer- und Drumcomputer-Motive mäandern“. Und ein Vorgriff auf ganz Vieles, was in den Dekaden danach an Ambient- und Technomusik entstanden ist.
Beeindruckend, womit manche Menschen in West-Berlin so ihre Zeit verbrachten, während der Rest der Republik „Die Hitparade der Schlümpfe“ hörte. Die stand nämlich 1981 neun Wochen an der Spitze der deutschen Album-Charts.
Ich wünsche Ihnen einen Tag mit geglückter Eröffnung.
Herzliche Grüße
Ihr

Christian Rickens
Textchef Handelsblatt
PS: Die Gasspeicher sind zu 95 Prozent gefüllt. Trotzdem erreicht Deutschland nicht sein Sparziel, die Gas-Einsparungen liegen bei nur 13 Prozent. Uns interessiert Ihre Meinung: Was können Bund und Länder noch tun, um mehr Energie zu sparen? Finden Sie das überhaupt notwendig angesichts der gut gefüllten Speicher? Und wie sparen Sie privat oder in Ihrem Unternehmen Gas? Schreiben Sie uns Ihre Meinung in fünf Sätzen an forum@handelsblatt.com. Ausgewählte Beiträge veröffentlichen wir mit Namensnennung am Donnerstag gedruckt und online.





