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World Holocaust Forum Streit zwischen Polen und Russland überschattet die Auschwitz-Gedenkfeier

Spitzenvertreter aus fast 50 Ländern gedenken der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz. Polen und Russland nutzen das Forum für einen Machtkampf.
23.01.2020 - 15:32 Uhr Kommentieren
Die Gedenkveranstaltung zur Befreiung des Konzentrationslagers in Auschwitz findet zum fünften Mal statt. Quelle: Reuters
World Holocaust Forum

Die Gedenkveranstaltung zur Befreiung des Konzentrationslagers in Auschwitz findet zum fünften Mal statt.

(Foto: Reuters)

Moskau, Tel Aviv Die Teilnehmerliste ist imposant. Aus Russland ist Präsident Wladimir Putin und aus Paris Emmanuel Macron angereist, aus Washington US-Vizepräsident Mike Pence und Parlamentspräsidentin Nancy Pelosi, aus Brüssel Ratspräsident Charles Michel und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, aus London Prinz Charles und viele andere mehr. 75 Jahre nach der Befreiung des Todes- und Konzentrationslagers Auschwitz durch die Rote Armee soll die prominent besetzte Gedenkfeier eine ausdruckstarke Kampfansage an den Antisemitismus sein.

Das World Holocaust Forum, das heute zum fünften Mal stattfindet, zeigt aber auch Risse in der Gedenkarbeit. Polens Staatspräsident Andrzej Duda boykottiert die Feier, weil er – im Gegensatz zu Putin – nicht als Redner eingeladen wurde. Schließlich sei Auschwitz in Polen, meint er, und zudem hätten polnische Bürger, nach den Juden, am meisten im Todeslager gelitten.

Er sei nicht bereit, Putins anti-polnischem Narrativ des Zweiten Weltkriegs zuzuhören, ohne die Chance zu haben, ihm zu widersprechen, erklärte Duda. Er will am Jahrestag der Befreiung, am 27. Januar, in Auschwitz die polnische Sicht über Anfang und Ende des Zweiten Weltkriegs präsentieren. Daran wiederum will Putin nicht teilnehmen.

Dass es zur Befreiung des berüchtigsten Nazi-Lagers zwei Feiern gibt – an diesem Donnerstag in Jerusalem und am Montag in Oswiecim, wie Auschwitz auf Polnisch heißt – zeigt, wie politisch belastet die Vergangenheit ist. Duda wurde als Redner beim Holocaust-Forum übergangen, weil Polen nicht zu den Nationen gehört habe, die Auschwitz befreiten, heißt es offiziell in Jerusalem.

Doch letztlich steht hinter der Entscheidung Israels zunehmend wichtiger werdende Beziehung zu Russland. Putin will das Land im Mittleren Osten als neuen Machtfaktor etablieren, vor allem in Syrien. Israel sieht die Ausdehnung des iranischen Einflusses in Syrien mit größter Sorge und braucht die Zustimmung Moskaus, um in Syrien gegen iranische Truppen und Waffenlieferungen vorgehen zu können.

Erfolg für russische Außenpolitik

Der Auftritt Putins in Israel ohne die Anwesenheit von Duda ist ein großer Erfolg für die russische Außenpolitik. Der Kreml hat sich so die Deutungshoheit in einem Streit gesichert, der sich nur vordergründig um die Interpretation der Vergangenheit dreht. Moskau nutzt sie auch in der Tagespolitik. So dient sie etwa der Rechtfertigung des neuen Militarismus in Russland, der sich alljährlich in der Waffenschau auf dem Roten Platz am „Tag des Sieges“ manifestiert.

Zugleich ist Moskau mit der vom kremlnahen Oligarchen Wjatscheslaw Kantor organisierten und finanzierten Veranstaltung in Yad Vashem die Revanche für die Ausladung Putins bei den Auschwitz-Gedenkfeiern geglückt.

Die Debatte um die Ursache des Zweiten Weltkriegs und damit auch die Schuld an Millionen von Toten ist noch lange nicht verstummt. Im Gegenteil: Zwischen Russland und Polen sind die Schuldzuweisungen in jüngster Vergangenheit eskaliert. Lange Zeit stand der Kreml wegen des Nicht-Angriffsabkommens, das die Sowjetunion mit dem Deutschen Reich („Hitler-Stalin-Pakt“) geschlossen hatte, außenpolitisch unter Druck. Bis in die 80er Jahre hatte die Sowjetunion das geheime Zusatzprotokoll über die Aufteilung Osteuropas schlicht geleugnet.

Der russische Präsident spricht auf der Gedenkveranstaltung. Quelle: AP
Wladimir Putin

Der russische Präsident spricht auf der Gedenkveranstaltung.

(Foto: AP)

Die aktuelle Führung im Kreml geht nun zum historischen Gegenangriff über. Sie erklärt Polen selbst zum Mitschuldigen am Kriegsausbruch. Die Polen hätten sich als Erste bei der Aufteilung der Tschechoslowakei 1938 ihren Teil einverleibt, also wenig Recht, ein ähnliches Vorgehen bei den Russen zu beanstanden.

Bei seiner großen Pressekonferenz im Dezember hatte der über Nacht zum Historiker mutierte Putin versprochen, einen Artikel über die Kriegsursachen zu veröffentlichen, um der ewig vom Westen betriebenen „Geschichtsfälschung“ zur Beschmutzung des russischen Heldentums ein eigenes Narrativ entgegen zu stellen.

In Moskau sieht man die Rote Armee lediglich als Befreier, die jahrzehntelange Besatzung Osteuropas wird ausgeblendet. Die Kritik an den Verbrechen Stalins wiederum dient laut der Kremlführung dazu, die Verdienste der Sowjetunion beim Kampf gegen den Hitlerfaschismus herunterzuspielen.

Freund-Feind-Bild

Der außenpolitische Konflikt dient auf beiden Seiten dazu, das Freund-Feind-Bild zu schärfen, die patriotische Stimmung im Land zu stärken und die eigene Schuld zu relativieren – sei es am Tod jüdischer Mitbewohner, oder an der Beteiligung an einem völkerrechtswidrigen Krieg.

Die Töne in Moskau und Warschau werden dabei immer schriller. Während die polnische Regierung sich gern als reines Opfer inszeniert, bezeichnete Putin polnische Diplomaten der Vorkriegszeit zuletzt als „antisemitische Schweine“ und gab den Polen die Mitschuld am Tod der Juden im Land.

Warschau bezeichnet das russische Narrativ sinngemäß als Geschichtsfälschung. Laut Polens Premier Mateusz Morawiecki wurde zwar der westliche Teil Europas mit dem Ende des Dritten Reichs befreit. Aber für Osteuropa begann die Besatzung durch die Sowjetunion, die 45 Jahre dauern sollte. Sie habe Millionen von Menschen das Leben gekostet und Polen sowie anderen osteuropäischen Ländern die Freiheit geraubt und eine normale wirtschaftliche Entwicklung verhindert.

Macron weist israelische Sicherheitskraft in Jerusalem zurecht

Moskaus Allianz mit Hitler habe zudem den Zweiten Weltkrieg ermöglicht. Die Rote Armee habe zwar Auschwitz befreit, so Morawiecki in einem Beitrag für die Zeitung „Politico“. Aber das Lager hätte schon „ein halbes Jahr“ früher befreit werden können, wenn die Rote Armee vor Warschau nicht erst den Abzug der Nazi-Truppen abgewartet, sondern sofort angegriffen hätte.

Polen könne es nicht hinnehmen, als Täter und nicht als Opfer hingestellt zu werden. „Sechs Millionen Polen wurden umgebracht“, so Morawiecki, „darunter drei Millionen polnische Juden.“ Das Echo aus Moskau folgte sofort. Außenamtssprecherin Maria Sacharowa beschimpfte Morawieckis Artikel als „weiteren verbrecherischen Versuch, die Geschichte umzuschreiben“.

Die harsche Wortwahl zeigt, wie sehr auch 75 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz das Thema die Gemüter noch immer bewegt.

Mehr: Seit Jahrzehnten klärt die italienische Politikerin über die Verbrechen des Nationalsozialismus auf. Nun muss sie dabei erstmals geschützt werden.

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