Daimler, Volkswagen, Opel „Versagen der Einkäufer“ – Chipkrise führt bei Autobauern zu heftigen Verwerfungen

Vor allem im September hat sich der Halbleiter-Mangel bei der Daimler-Tochter ausgewirkt.
München Der anhaltende Engpass an Mikrochips trifft den Auto- und Lastwagenhersteller Daimler schwer. Der Mercedes-Hersteller konnte wegen fehlender Bauteile von Juli bis September lediglich 435.000 Pkw der Marke mit dem Stern sowie von Smart ausliefern. Das entspricht einem Minus von 30,5 Prozent im Vergleich zum coronabelasteten Vorjahr.
Noch heftiger fällt der Absatzeinbruch in Relation zum dritten Quartal 2019 aus, also vor der Pandemie. Damals verkaufte Mercedes mit 590.000 Autos um 155.000 Einheiten mehr als derzeit. Insbesondere im September habe Daimler den globalen Mangel an Halbleitern zu spüren bekommen, teilte der Konzern mit. Auch im Truckgeschäft bekommen die Stuttgarter die Krise immer stärker zu spüren. Viele Sattelschlepper müssen derzeit auf Halde produziert werden.
Besserung ist nicht in Sicht. „Die Liefersituation bei Halbleitern bleibt volatil und wird sich voraussichtlich auch in den kommenden Quartalen auf die Produktion und den Absatz auswirken“, erklärte Daimler. Ferdinand Dudenhöffer wertet die schlechten Mercedes-Verkäufe als Vorbote für weitere Schocknachrichten in der deutschen Autoindustrie. „Die nächsten drei Monate werden richtig hart“, konstatiert der Leiter des Center Automotive Research (CAR).
Der Grund: Die Fahrzeugbestände bei den Händlern seien mittlerweile „leer gefegt“, so Dudenhöffer. Da der Chipengpass aber noch mindestens sechs bis neun Monate andauern werde, seien negative finanzielle Effekte unvermeidbar. „Die Ergebnisse bei allen Autoherstellern und Zulieferern werden jetzt kräftig nach unten gehen“, prognostiziert der CAR-Experte.
Konzerne wie Volkswagen oder Daimler hatten in ihrem Ausblick fürs Gesamtjahr bereits eine geringere Marge im zweiten Halbjahr einkalkuliert. Gerade bei einigen Zulieferern könnten in den kommenden Wochen aber noch einige Gewinnwarnungen bevorstehen. Ende September hatte Hella bereits seine Umsatz- und Ergebniserwartung deutlich nach unten geschraubt.
Erheblichere Belastung als angenommen
Insgesamt dürfte der Chipmangel die globale Fahrzeugindustrie weit stärker und erheblich länger belasten als bislang angenommen. Allein dieses Jahr dürften der Branche Umsätze in Höhe von 210 Milliarden Dollar entgehen, berechneten jüngst die Berater von Alix Partner. Im Mai waren sie selbst noch von einer etwa halb so hohen Belastung ausgegangen.
Gerade in Europa stehen mittlerweile die Bänder in vielen Fabriken über Wochen oder gar Monate infolge des Chipmangels still. Die Stellantis-Tochter Opel schließt ihr Werk im thüringischen Eisenach sogar bis Jahresende komplett. Derweil drosselt der Lkw-Hersteller MAN aktuell die Produktion in München, Nürnberg und Salzgitter. Branchenweit müssen Zehntausende Beschäftigte bei heimischen Autoherstellern und -zulieferern immer wieder in Kurzarbeit.
Erstaunlicherweise gelingt es aber einigen Konzernen trotz des rauen Umfelds, satte Gewinne zu erzielen. So erhöhte kürzlich beispielsweise BMW seine Prognose und stellt nun eine operative Umsatzrendite für 2021 von bis zu 10,5 Prozent in Aussicht. Positive Preiseffekte bei Neu- und Gebrauchtwagen würden die negativen Absatzeffekte „überkompensieren“, erklärte BMW.
Ähnlich sieht es beim Erzrivalen Mercedes-Benz aus. Trotz der aktuell miserablen Verkaufszahlen versprechen die Schwaben ihren Aktionären weiterhin zweistellige Umsatzrenditen. Möglich wird dies, indem der Konzern verstärkt auf Klasse statt Masse setzt und bei der Chipzuteilung klar priorisiert.
Margenstarke Modelle werden vorrangig produziert
Alle verfügbaren Elektrobauteile werden vorrangig in die Produktion von margenstarken Modellen wie der S-Klasse oder wuchtigen SUVs wie GLE und GLS gelenkt. Die Fertigung von Fabrikaten mit eher geringen Deckungsbeiträgen wie A-Klasse oder B-Klasse wird dagegen gedrosselt und teils gänzlich gestoppt. Die Folge: Mercedes liefert anteilsmäßig mehr Modelle mit hohen Deckungsbeiträgen aus.
Drei Beispiele dafür: Obwohl die Auslieferungen der Marke mit dem Stern nach neun Monaten auf dem Niveau von 2020 stagnieren, als viele Autohäuser coronabedingt wochenlang geschlossen bleiben mussten, schoss der Absatz der noblen Submarke Maybach um fast 42 Prozent in die Höhe.
Mehr als 10.800 Fahrzeuge der edelsten und teuersten Mercedes-Kategorie konnten die Schwaben bereits verkaufen. Damit hat Daimler nach drei Quartalen schon fast so viele Maybach-Karossen abgesetzt wie im gesamten Jahr 2019. Ähnlich sieht die Lage bei AMG aus. Trotz der Krise hat die Mercedes-Tuningtochter von Januar bis Ende September bereits 116.400 Fahrzeuge verkauft. AMG muss damit in den kommenden Wochen nur noch 16.000 Einheiten ausliefern, um den eigenen Verkaufsrekord von vor zwei Jahren zu übertreffen.
Auch die Absatzzahlen des Geländewagens G-Klasse bewegen sich auf einem absoluten Spitzenniveau. Fast 32.000 Einheiten hat Mercedes von dem 2,5 Tonnen schweren Koloss dieses Jahr bereits an Kunden übergeben. Das ist in etwa so viel wie nach zwölf Monaten im Jahr 2019 und ein Plus von rund 30 Prozent in Relation zum Vorjahreszeitraum.
Maybach, AMG und G-Klasse treiben den Gewinn von Daimler zwar in die Höhe, doch die Einschläge beim restlichen Portfolio fallen immer heftiger aus. Von Monat zu Monat weitete sich zuletzt das Minus bei den Auslieferungen aus. Und zwar nicht nur bei Mercedes, sondern branchenweit. Wie das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) kürzlich mitteilte, wurden in Deutschland im September lediglich 197.000 Pkw verkauft. Das entspricht einem Rückgang von fast 26 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Produktion und Exporte sacken ab
Die Produktion in den deutschen Automobilwerken sackte sogar um 44 Prozent ab. Ähnlich stark brachen laut dem Verband der Automobilindustrie die Exporte ein.
Branchenkenner Dudenhöffer führt die Misere auf ein „Versagen der Einkäufer“ zurück. „Die Einkaufsabteilungen bei den Autokonzernen beschäftigen sich zu sehr mit Preisspielerein und viel zu wenig mit der Absicherung von strategisch wichtigen Lieferketten“, kritisiert der CAR-Direktor.
Wie schlimm die Lage mitunter ist, zeigt sich einmal mehr bei Daimler. Der Konzern musste nun sogar einräumen, mitunter nur Fahrzeuge mit abgespeckter Ausstattung ausliefern zu können. Eine spätere Nachrüstung sei aus technischen Gründen nicht möglich, erklärte der Mercedes-Hersteller und riskiert damit, einige Kunden zu verärgern. Wie viele bestellte Autos das Unternehmen mit reduzierter Ausstattung bereits ausgeliefert hat, ist allerdings unklar.
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Die Meinung Herrn Dudenhöffers teile ich nicht. Einkäufer werden regelmäßig mit Vorgaben belastet, die einzig auf "Kosten"-Ersparnis abzielen. Die Vernachlässigung von Lieferketten ist dabei ein Kollateralschaden, denn Lieferantenpflege lässt sich nicht in Zahlen fassen. Der Erfolg oder Misserfolg des Einkäufers wird vom Controlling beziffert.